# taz.de -- Produktwerbung in Schulbüchern: Gut beschirmte Warenwelt | |
> Schokolade, Schirme, Autos: In Deutschbüchern für Erwachsene wird schon | |
> mal das Werbeverbot ignoriert. Firmen wie Ritter Sport freuen sich. | |
Bild: Wunderbar | |
Der Schokoladenhersteller Ritter Sport ist ein guter Arbeitgeber. Er | |
erlaubt den Abbau von Überstunden, lässt die MitarbeiterInnen ihre | |
Arbeitszeit selbst bestimmen, zahlt PraktikantInnen 600 Euro im Monat und | |
bietet in der Kantine „sehr gutes und gesundes Essen“. | |
Das alles erfährt Sandra Feld am Telefon von Personalchef Peter Bayer. Die | |
Chemiestudentin will unbedingt ein Praktikum bei Ritter Sport machen. | |
Akribisch hat sie sich auf das Gespräch vorbereitet. Doch ihr Wissen über | |
die Unternehmenszahlen scheint den Personaler nicht zu beeindrucken. | |
Schließlich bettelt Sandra am Telefon: „Ich hab’ immer gedacht: Hier | |
arbeiten, ist sicher schön. Außerdem kenne ich Ritter Sport schon sehr | |
lange. Ich war schon oft mit Freunden in Waldenbuch, wir waren im Museum | |
Ritter und im SchokoLaden, ich mag Ihre Schokolade!“ | |
Ob Sandra das Praktikum bekommt, spielt keine Rolle. Das Bewerbungsgespräch | |
ist erfunden, Sandra Feld eine fiktive Person. Was hingegen eine Rolle | |
spielt: Das Gespräch ist eine Hörübung zu einem Deutschlernbuch des Verlags | |
Ernst Klett Sprachen. Der ist Teil der Klett Gruppe und gehört damit zu | |
einem der drei großen deutschen Bildungsverlage. Klett räumt dem | |
Schokoladenhersteller aus Waldenbuch bei Stuttgart in dem Deutschlernbuch | |
„DaF kompakt A1 – B1“ ganze sechs Seiten zur Selbstdarstellung ein – | |
inklusive Firmenporträts, abgedruckter Schokoladentafeln und mehrfacher | |
Erwähnung des Slogans „Quadratisch, praktisch, gut“. | |
In dem entsprechenden Kapitel sollen die DeutschschülerInnen lernen, wie | |
man sich um ein Praktikum bewirbt. Aber nicht nur: Eine Übung weist sie an, | |
Informationen zum Unternehmen wiederzugeben. Eine andere fragt nach Details | |
aus dem Bewerbungsgespräch. Warum will Sandra ausgerechnet bei Ritter Sport | |
ein Praktikum machen? Die Werbebotschaften des Unternehmens, sie dürften | |
sich bei den KursteilnehmerInnen gut einprägen. | |
Für Schulbücher gelten in Deutschland strenge Zulassungsauflagen. | |
Produktwerbung, selbst Firmennamen werden von den zuständigen Ministerien | |
beanstandet. Deutschbücher für Erwachsene hingegen werden nur dann geprüft, | |
wenn sie in Integrationskursen für Migranten oder Flüchtlinge zum Einsatz | |
kommen. Die Verlage schicken das Lehrwerk an das Bundesamt für Migration | |
und Flüchtlinge (Bamf), das es prüft und dann für die Verwendung in den | |
Kursen freigibt. Fragt man bei den Verlagen nach, hört man unisono: Im | |
Vergleich zu den Ministerien sind die Bamf-PrüferInnen nicht sehr streng. | |
## Hilft beim Lernen | |
Das Buch mit dem fingierten Praktikumswunsch musste Klett jedoch niemandem | |
vorlegen. Eine Prüfung auf Werbebotschaften oder einseitige Darstellungen | |
fand nicht statt. Deutsche Universitäten verwenden es ebenso wie das | |
Goethe-Institut. Theoretisch erreichen die Werbebotschaften von Ritter | |
Sport Deutschlernende an den 159 Goethe-Instituten im Ausland. Und das wäre | |
alles andere als ein Nachteil für Ritter Sport, das seine Schokotafeln in | |
100 Länder verkauft und nach eigenen Angaben ein Drittel seines | |
Jahresumsatzes – 150 Millionen Euro – im Ausland erwirtschaftet. | |
Für das Goethe-Institut ist die Produktwerbung kein Problem: „Dabei geht es | |
nicht um bestimmte Marken“, sagt Sprecherin Christina Steenken, „sondern um | |
das Üben der deutschen Wörter und den Bezug zu Deutschland.“ Bei | |
Wortschatzübungen zum Thema Lebensmittel würden auch Produkte aus | |
Deutschland ins Klassenzimmer gebracht. Auch der Klett-Verlag ist sich | |
sicher: Gedruckte Schokotafeln und Werbesprüche helfen beim Lernen. | |
„Im Ausland sind deutsche Produkte bekannt“, sagt der Geschäftsführer von | |
Klett-Langenscheidt, Herbert Bornebusch. „Lernende mit geringem | |
Sprachniveau erkennen und verstehen die Namen, können sie auch oft | |
aussprechen, aber nicht schreiben.“ Deshalb fänden sich in den | |
Klett-Deutschbüchern für Ausländer auch beispielsweise Autos der Marke | |
Volkswagen oder Knirps-Schirme. „Wir tun uns sonst schwer, die Wirklichkeit | |
abzubilden.“ | |
In eine deutsche Schule würde es das Buch mit den Ritter-Sport-Seiten nie | |
schaffen, räumt Bornebusch ein, der beim Schwesterverlag von Ernst Klett | |
Sprachen für die Erwachsenenbildung zuständig ist. „Ein Ministerium würde | |
uns das Buch um die Ohren hauen.“ Verwerflich findet er das jedoch nicht. | |
Und er verneint, dass der Verlag aus den Buchinhalten einen zusätzliches | |
Geschäft macht: „Ich bin mir sicher, dass wir für den Abdruck eines | |
Firmennamens oder Produkts noch nie von einem Unternehmen Geld bekommen | |
haben.“ | |
Das bestätigt auch die PR-Abteilung von Ritter Sport. Die großen | |
Bildungsverlage wie Cornelsen, Klett oder Langenscheidt fragten „gern“ beim | |
Schokoladenhersteller um PR-Fotos an – und könnten sie kostenlos drucken. | |
Das ist für beide Seiten lukrativ: Die Verlage sparen Kosten für | |
Fotolizenzen und natürlich auch die Arbeit, eigene Inhalte zu entwerfen. | |
Und für Ritter Sport ist es eine kostenlose PR-Maßnahme. „Etwas Besseres | |
als Werbung in Schulbüchern gibt es nicht“, sagt Sprecherin Elke Dietrich. | |
„Und wenn Ritter Sport dann auf drei, vier Seiten vorkommt, ist das | |
natürlich schön.“ | |
## Auch in Grundschulbüchern | |
Nicht so schön für Ritter Sport ist, dass das Unternehmen derzeit für seine | |
gezielte Werbung auch bei jüngeren Lernern in der Kritik steht. Weil in | |
kostenlosen Schulmaterialien Zweitklässler mit Schokotafeln (natürlich von | |
Ritter Sport) addieren üben. Weil in der Hochglanzbroschüre „Von der | |
Kakaobohne zur Schokolade“ nicht nur die Herstellung veranschaulicht, | |
sondern auch die Qualität der Produkte angepriesen wird. Die Kritik kann | |
die Ritter-Sport-Sprecherin nicht verstehen: „Dass der Verlag auch mal | |
erwähnt, wer die Broschüre bezahlt, ist doch normal.“ | |
Das sehen nicht alle so. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale bewertet | |
die Broschüre als „mangelhaft“, nicht nur wegen „fragwürdiger“ Äuße… | |
zur Gesundheit. Schokoladenkonsum werde „subtil positiviert“ und es werden | |
„Werbesätze eingestreut“. Für den Unterricht deshalb unbrauchbar. Seit | |
2010 haben die Verbraucherschützer rund 550 kostenlose | |
Unterrichtsmaterialien getestet. Ihr Fazit: Materialien aus der Wirtschaft | |
schneiden öfter mit „mangelhaft“ oder „ausreichend“ ab als die von | |
Stiftungen, NGOs oder Verlagen. Nur jede zweite Broschüre könne bedenkenlos | |
im Unterricht eingesetzt werden. Um offene Produkt- und Markenwerbung und | |
einseitig dargestellte Sachverhalte zu verhindern, müsse das Werbeverbot an | |
Schulen konsequent umgesetzt werden. | |
Und Werbung in der Erwachsenenbildung? Erfüllen die Lehrbücher die | |
Kriterien, auf die sich Didaktiker 1976 im Beutelbacher Konsens einigten? | |
Dort steht: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch | |
immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der | |
Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.“ Nur so könne sich der | |
„mündige Schüler“ ein eigenes politisches Urteil bilden. Warum das nicht | |
auch für die gelten soll, die die deutsche Sprache erst noch lernen, hat | |
sich offenbar noch niemand gefragt. | |
25 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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