| # taz.de -- Protest gegen Fracking: Ein Dorf hat Angst | |
| > Im niedersächsischen Leese möchte Exxon Mobil nach Erdgas suchen – mit | |
| > der umstrittenen Frackingmethode. Im Ort sind die meisten Leute dagegen. | |
| Bild: Treffpunkt der Anti-Fracking-Demonstranten: Fass mit Protestslogan. | |
| Bremen taz | Den Brief hat Volker Hartmann aufgehoben. Das Kuvert ist | |
| schwarz umrandet, im Stil einer Todesanzeige. „Die Gemeinde frackingfrei“, | |
| liest Hartmann vor, „und du wirst blutfrei.“ Der Diplom-Ingenieur kämpft im | |
| niedersächsischen Leese, im Süden des Landkreises Nienburg, gegen eine | |
| umstrittene Methode zur Erdgasförderung – das „Hydraulic Fracturing“, ku… | |
| Fracking. Dass ihn jemand deswegen tot sehen will, hätte er sich niemals | |
| vorstellen können, sagt Hartmann: „Das war persönlich schockierend.“ | |
| Am 27. Januar dieses Jahres erklärte der Gemeinderat Leese den Ort für | |
| „frackingfrei“. Rechtliche Bedeutung hatte das keine: Bergrecht ist | |
| Bundesrecht und kann von den Kommunen nicht beeinflusst werden. Aber das | |
| Symbol zählt. Es war Hartmanns Initiative. Kurz darauf lag der Drohbrief in | |
| seinem Briefkasten. Seine Adresse ist auf den Trauerumschlag gedruckt, der | |
| Poststempel blass und nur schwer lesbar. „Da hat sich jemand viel Mühe | |
| gegeben.“ Hartmann erstattete Anzeige gegen unbekannt – ohne Erfolg: Die | |
| Staatsanwaltschaft Verden hat das Verfahren eingestellt. | |
| Leese ist ein verträumtes Dorf: alte Bauernhöfe und Einfamilienhäuser dicht | |
| an dicht, man kennt sich hier, hält auf der Straße Smalltalk. Lediglich die | |
| viel befahrene Bundesstraße 215 führt Auswärtige durch das | |
| 1.600-Einwohner-Dorf. Viel los ist nicht. Ein Laster hält an einer roten | |
| Ampel, der Fahrer wartet auf grün. Ob sein Blick auf eines der vielen | |
| Schilder gegen das Fracking fällt? Die hängen hier an vielen Zäunen, in | |
| Vorgärten oder an den Hauswänden. Die einen warnen mit einer roten Hand vor | |
| der Erdgasförderung –die anderen mit einem aufgedruckten Totenkopf. | |
| Hartmann wohnt im Nordosten von Leese. Auf einem Feld, keine 300 Schritte | |
| von seinem Haus, möchte Exxon Mobil den Abbau von Gas zunächst erproben, | |
| bei Erfolg später auch richtig fördern. Die Bohrplattform könnte Hartmann | |
| von mehreren Zimmern seines Hauses aus sehen. „Das würde nicht nur optisch | |
| stören, sondern auch akustisch.“ Schon weil Exxon Mobil im Schichtbetrieb | |
| bohren würde – 24 Stunden am Tag. Gerade wegen der hohen Lebensqualität | |
| aber habe er Leese ausgewählt, als er 1998 ins Dorf zog, sagt Hartmann: | |
| „Sie wäre damit dauerhaft zerstört.“ | |
| Weiter nördlich grenzt das Feld an den Trimm-dich-Pfad. Hobbysportler | |
| laufen den Weg entlang, auch Traktoren fahren gelegentlich vorbei. Noch | |
| gibt es keine Förderplattform. Ein Fass mit grell-gelber | |
| Anti-Fracking-Aufschrift verrät aber, was hier entstehen soll. Es ist der | |
| Treffpunkt der Frackinggegner für ihre Aktionen. Auch Niedersachsens | |
| Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) stand schon hier. | |
| Oliver Ziebolz ist Sprecher der Bürgerinitiative, die den Leeser | |
| Fracking-Widerstand organisiert. „Wir sind hier nicht in einer Gegend, wo | |
| niemand lebt, sondern direkt bei den Menschen“, sagt der 50-Jährige und | |
| zeigt auf die Siedlung im Hintergrund, die Siedlung, in der auch Hartmann | |
| wohnt. Nach den Plänen von Exxon Mobil werde zunächst vertikal gebohrt. Das | |
| Schiefergestein in der Tiefe soll dann aber horizontal erschlossen werden, | |
| in Richtung Südwesten. „Das geht“, sagt Ziebolz, „bis unter unseren | |
| Kirchturm.“ | |
| Um an das Erdgas zu gelangen, wird beim Fracking unter hohem Druck mit | |
| Chemikalien versetztes Wasser in ein Bohrloch gepumpt, um die | |
| Gesteinsschichten aufzubrechen –gebundenes Gas kann so entweichen. „Niemand | |
| kann sagen, dass das der Umwelt nicht langfristig schaden könnte“, sagt | |
| Ziebolz. Er befürchtet Verunreinigungen der Böden und des Grundwassers. | |
| In den USA boomt das Fracking seit Anfang der 2000er-Jahre. Immer wieder | |
| allerdings tritt durch Lecks in den Pipelines giftiges Wasser aus: Bei der | |
| Förderung kommt neben dem Gas auch Wasser aus der Tiefe hoch. Dieses | |
| Lagerstättenwasser ist äußerst salzig, leicht radioaktiv und angereichert | |
| mit Quecksilber und Kohlenwasserstoffen. Damit ist es krebserregend. | |
| Auch Erdbeben stehen nachweislich im Zusammenhang mit Fracking: Die | |
| fördernden Erdgasfirmen pumpen das mit Schwermetallen belastete Wasser | |
| häufig zurück unter die Erde, aus Kostengründen. Die US-Geologiebehörde hat | |
| festgestellt, dass darauf einige Erdbeben zurückzuführen sind. | |
| Exxon Mobil scheint sich in die Rolle der Unschuld geflüchtet zu haben: „Zu | |
| dem Thema ist bereits alles gesagt“, erklärt Sprecher Klaus Torp und | |
| verweist auf das ausführliche Infomaterial im Internet. Dort heißt es, dass | |
| die Firma für Schiefergestein weder giftige noch umweltgefährdende Stoffe | |
| verwendet. Dass gegebenenfalls Lagerstättenwasser mitgefördert wird, räumt | |
| das Unternehmen ein. | |
| Wie in den USA soll es aufbereitet und anschließend in behördlich | |
| zugelassene „Versenkbohrungen“ gepumpt werden. Angst vor Erdbeben müsse | |
| niemand haben, erklärt Exxon Mobil: Die beim Fracking eingebrachte Energie | |
| genüge nicht, um „spürbare Erschütterungen“ zu verursachen – leichte | |
| Bodenbewegungen und Vibrationen seien in seltenen Fällen möglich. | |
| Bekannt sind die Förderpläne für Leese seit dem Jahr 2012: „Mehr als 200 | |
| Menschen kamen damals zur einer ersten Infoveranstaltungen“, sagt Ziebolz. | |
| Der Saal sei völlig überfüllt gewesen. Hier gründete sich auch die | |
| Bürgerinitiative. Drei Jahre später hat Exxon Mobil zwar alles geplant, | |
| genehmigt ist jedoch noch nichts: Das niedersächsische Landesbergbauamt | |
| (LBEG) hat Fracking letztmalig im Jahr 2011 erlaubt. Da gab es mehr als 300 | |
| Förderstellen, an denen die umstrittene Methode zum Einsatz kam – | |
| allerdings nur in sogenannten konventionellen Lagerstätten, nicht in | |
| Schiefergestein. Eine gesetzliche Regelung gibt es für beide Förderarten | |
| nicht. | |
| Oliver Ziebolz macht das unruhig. Er geht drei schnelle Schritte auf das | |
| Feld, drei wieder zurück. „Wir hängen mit einem Ohr immer an Berlin.“ Es | |
| ist kalt in Leese. Sein kurzärmeliges T-Shirt mit dem Anti-Fracking-Logo | |
| hat der 50-Jährige dennoch angezogen. | |
| Zu wichtig scheint das Thema für ihn zu sein, um es mit einer Jacke zu | |
| verdecken. Ziebolz ist Gebietsreferent beim Blutspendendienst des Deutschen | |
| Roten Kreuzes. Er sorgt sich um die Gesundheit der Menschen. „Niemand kann | |
| ausschließen, dass es in 50 Jahren keine Folgeschäden gibt.“ | |
| Das sehen auch Teile des Bundestags so: Die Abgeordneten arbeiten derzeit | |
| an einem Gesetzespaket. Unter strengeren Auflagen soll die Industrie das | |
| konventionelle Fracking fortführen dürfen. In Schiefergestein dürfte sie | |
| dann aber bis 2019 kein Erdgas fördern dürfen, wobei Probebohrungen erlaubt | |
| blieben. Im Juni sollte das Paket verabschiedet werden, doch es gibt Streit | |
| in der Großen Koalition –das Ende ist offen. | |
| Zwei Milliarden Euro würden seine Mitgliedsunternehmen in den kommenden | |
| zehn Jahren investieren, behauptet der Wirtschaftsverband Erdöl- und | |
| Erdgasgewinnung (WEG). Geld, das aber auch mitsamt Arbeitsplätzen und | |
| Know-how ins Ausland fließen könnte. „Wer das nicht will“, sagt der | |
| WEG-Vorsitzende Gernot Kalkoffen, „muss das Gesetzespaket auf den Weg | |
| bringen.“ | |
| Für Lobbyarbeit steht der Branche trotz des Stillstands offenbar genug Geld | |
| zur Verfügung: Noch bis zu diesem Schuljahr kooperierte der WEG mit sechs | |
| Schulen in der Region – gestartet unter der Schirmherrschaft des ehemaligen | |
| Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). | |
| Partnerunternehmen des WEG boten Betriebsbesichtigungen und | |
| Praktikumsplätze an, sponserten mit bis zu 10.000 Euro jährlich Ausstattung | |
| und Materialien für die naturwissenschaftlichen Fächer; auch Exxon Mobil | |
| machte mit. Von den Schulen verlangte der WEG im Gegenzug, Erdöl- und | |
| Erdgasthemen in den Schulunterricht aufzunehmen. Bei der Unterrichtsplanung | |
| half die Förderindustrie kräftig mit. | |
| Seit Kurzem ist damit Schluss. Das Kultusministerium in Hannover hat die | |
| Zusammenarbeit untersagt. „Eine solche Vertragsgestaltung eröffnet unseres | |
| Erachtens Möglichkeiten der Einflussnahme“, erklärt eine | |
| Ministeriumssprecherin. Das verstoße gegen die Antikorruptionsrichtlinie | |
| des Landes. Zu den Kooperationspartnern gehörten unter anderem die | |
| Gymnasien in den benachbarten Städten Sulingen und Diepholz. Sie alle | |
| liegen im potentiellen Einzugsgebiet von Fracking-Maßnahmen –reiner Zufall? | |
| „Die Kooperationen dienten ganz klar dazu, die Reputation der Branche zu | |
| stärken“, sagt Felix Kamella vom Verein Lobbycontrol. Im konkreten Beispiel | |
| sollte mehr Akzeptanz für den Erdgasabbau in der Region erreicht werden. | |
| „Mit Bildungsförderung geht das immer gut“, so Kamella: Sie erwecke den | |
| Anschein, als trage das Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung. | |
| Ziebolz wundert das nicht. „Sind halt Profis.“ Mittlerweile ist auch ihm | |
| kalt geworden. Zum Kaffeetrinken geht es in den „Leeser Dorfladen“. Den | |
| haben die Leute hier selbst gegründet: Sie haben Anteilsscheine zu je 100 | |
| Euro gekauft und in diesem Jahr den Laden eröffnet; einen klassischen | |
| Supermarkt gibt es hier nicht mehr. „Die Gemeinschaft“, sagt Ziebolz, | |
| „zeichnet dieses Dorf aus.“ Und die verdankt sich nicht zuletzt dem Protest | |
| gegen das Fracking. | |
| 19 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Laurin Meyer | |
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