| # taz.de -- Schlagloch Männlich- und Weiblichkeit: Kann Mann Feminist sein? | |
| > Sie ist kompliziert, die Sache mit den Geschlechtern. Und der Feminismus | |
| > in seinen verschiedenen Ausprägungen auch. | |
| Bild: Interessiert sich nicht für Rollenbilder und Feminismusdebatten: der Uhu. | |
| Diese Frage kann nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantwortet | |
| werden, sondern nur mit: Es ist kompliziert. Der Gegenschlag des | |
| „Maskulinismus“ macht sie aber dringlicher, als uns bewusst ist. | |
| Zunächst einmal geht es nicht um Gesinnung oder Überzeugung. Es geht um | |
| schieren Egoismus: In einer gerechteren, weiblicheren, respektvolleren Welt | |
| lebt sich’s besser. Es geht, pathetisch gesagt, um das Glück. | |
| Kompliziert wird die Frage dadurch, dass „Feminismus“ zwei widersprüchliche | |
| Elemente enthält, die auch feministische Theorien nicht auflösen können. | |
| Auf der einen Seite geht es um Integration, Emanzipation und | |
| Gleichstellung, also um die Aufhebung von Differenzen. Auf der anderen | |
| Seite geht es um die Konstruktion von Identität, um das Weibliche als | |
| Essenz (ob sie nun an das „biologische“ Geschlecht gebunden ist oder | |
| nicht), also um Differenz. | |
| Natürlich ist das ein dialektischer Vorgang. Weiblichkeit wird neu | |
| definiert, in Prozessen, die so viel dekonstruktive wie konstruktive | |
| Elemente enthalten und die schmerzhaft nicht nur für die Antagonisten sind. | |
| Das führt zu zwei weiteren Widersprüchen. Der erste ist der zwischen der | |
| individuellen und der kollektiven Emanzipation. Im schlimmsten Fall kann | |
| eine Frau Karriere machen, indem sie sich mehr oder weniger gegen den | |
| Feminismus positioniert. Im zweitschlimmsten Fall verfehlt eine Frau eine | |
| Karriere, weil sie sich zu sehr für die Belange ihrer | |
| „Geschlechtsgenossinnen“ engagiert. | |
| Der zweite Widerspruch liegt in der Frage, ob es sich um eine Emanzipation | |
| innerhalb der bestehenden Ordnungen handelt oder ob es darum geht, diese | |
| Ordnungen feministisch zu verändern. So viel ist sicher: Bestimmte | |
| Positionen ändern sich kaum, nur weil sie weiblich besetzt werden. | |
| ## Neuordnung, so oder so | |
| Bedingungslos feministisch kann ein Mann bei dem sein, was man den | |
| politischen Feminismus nennen kann. Die Voraussetzungen sind einfach: | |
| Gleiches Recht für alle. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bedingungslose | |
| Chancengleichheit. Es gibt im öffentlichen Leben nichts, was ein Mann kann, | |
| soll oder darf, was eine Frau nicht auch kann, soll oder darf. Allerdings | |
| nutzt equal pay dort nichts, wo es auf eine generelle Abwertung der Arbeit | |
| trifft, und wo keine sozialen Bedingungen für eine Verwirklichung | |
| geschaffen sind. Mit Rechten und Freiheiten kann man sich nichts kaufen, | |
| solange man ökonomisch erpressbar ist. | |
| In diesem politischen Feminismus spukt also ein Klasseninteresse. Ich | |
| gestehe es: Es macht mich wütend, wenn mehr von der weiblichen Besetzung | |
| von Vorständen die Rede ist als von der Situation in Supermärkten, Fabriken | |
| und Friseursalons. In bestimmten privilegierten Regionen in Politik, Kultur | |
| und Ökonomie helfen vermutlich nur Quotenregelungen. Aber ein Feminismus | |
| darf sich nicht politisch nennen, wenn er vergisst, für Gerechtigkeit auch | |
| in Ausbeutungsverhältnissen zu sorgen. Denn nicht nur die Macht, sondern | |
| auch die Ohnmacht ist ungerecht verteilt. | |
| Zweitens haben wir den praktischen oder privaten Feminismus, der im zähen | |
| Kampf mit der Fortwirkung von Rollenverteilungen alltäglich neu entfaltet | |
| werden muss. Mit dem Kategorischen kommt man da nicht weiter, so wenig wie | |
| mit einer simplen Aufteilung der Haus- und Erwerbsarbeit. Denn auch dieser | |
| Innenraum ist ein Machtraum; neu verteilt werden muss nicht allein die | |
| Arbeit, sondern auch die Kompetenz. Der Alltag muss also, feministisch | |
| gesehen, nicht bloß neu organisiert, sondern auch neu erfunden werden. | |
| Vielleicht müsste es so etwas wie eine feministische Semantik des | |
| Alltagslebens geben, und vielleicht wären viele Menschen überrascht davon, | |
| was sie zutage brächte. | |
| Es gibt zum Dritten einen mythologischen oder poetischen Feminismus. | |
| Weiblichkeit wird nicht nur sozial und individuell konstruiert und | |
| begrenzt, sie wird auch erzählt und abgebildet. Das heißt, dass es ein | |
| Recht auf eine Erzählung von Weiblichkeit gibt, das durch feministische | |
| Kritik gegen den männlich hegemonialisierten Mainstream verteidigt werden | |
| muss. Es gibt auch einen esoterischen, religiösen, mystischen und magischen | |
| Feminismus. Allerdings gibt es kein Recht auf eine repressive Entzauberung. | |
| Wenn sich andererseits der Antifeminismus konsensfähig machen will, geht es | |
| darum, eine Widerstandslinie dazu zu ziehen. Nötig ist eine (Selbst-) | |
| Kritik der männlichen Erzählungen und Bilder. Critical Maleness als | |
| Gegenpol zu einer chauvinistischen Reaktion, etwa gegen jene | |
| „Männerrechte“, die in aller Regel nur von rechten Männern stammen, auch | |
| gegen konventionelle Codierungen männlicher Hegemonie. Mit der Political | |
| Correctness in der Sprache verhält es sich dabei wie mit der Quote: Es ist | |
| ein nicht wirklich glückliches Mittel gegenüber einer Situation zäher | |
| Behauptung. Political Correctness muss nur da verlangt werden, wo sich | |
| anders keine semantische Achtsamkeit bildet. | |
| ## Phantasma der Überwindung | |
| Vollends kompliziert wird es beim sexuellen oder biopolitischen Feminismus. | |
| So einfach die Etablierung und Respektierung des sexuellen | |
| Selbstbestimmungsrechts und die Forderung nach einem gesellschaftlich | |
| garantierten Schutz gegen sexuelle Gewalt scheint, so kompliziert ist die | |
| Analyse von Bevölkerungspolitik, Reproduktionsmedizin oder Life Sciences. | |
| Denn von dort kommt noch einmal eine vollkommen neue Definition von | |
| Geschlecht als Sex und Gender, und möglicherweise entsteht dort auch das | |
| Phantasma einer Überwindung von Weiblichkeit durch Technologie. Und dann | |
| geht es noch um Begehren und Lust. Auch das ist so kompliziert, dass man es | |
| am liebsten im rein Subjektiven auflöst. Aber gewiss ist die Spaltung in | |
| Biopolitik und guten/schlechten Sex ein Trick der Entpolitisierung. | |
| Kompliziert ist es auch beim interkulturellen Feminismus. Kann der | |
| Feminismus, der für die mitteleuropäische Mittelstandsfrau gilt, einer für | |
| die afrikanische Frau sein? Wann wird daraus ein Instrument des | |
| Postkolonialismus? Die Inszenierung von Männlichkeit und Weiblichkeit (and | |
| beyond) ist auf immer neue Art Teil der politischen, ökonomischen und | |
| kulturellen Macht. Es ist eben kompliziert. | |
| 17 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seesslen | |
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