| # taz.de -- Gendersprache in Baden-Württemberg: Twitter-Streit ums * | |
| > Gender in der Sprache ist mittlerweile weit verbreitet. In | |
| > Baden-Württemberg aber nicht. Da sorgt ein Sternchen für echten Zoff. | |
| Bild: Stern ja oder nein? In Baden-Württemberg sind sie sich nicht einig | |
| Berlin taz | Früher in der DDR gab es Lehrer, Erzieher, Kassierer. Die | |
| meisten dieser Berufe wurden hauptsächlich von Frauen ausgeübt. Trotzdem | |
| wurde in der Regel das generische Maskulinum verwendet, wenn man über sie | |
| sprach. Sie waren also keine Lehrerinnen, Erzieherinnen und Kassiererinnen. | |
| Und auch heute wehren sich noch immer einige (ältere) Ostfrauen dagegen, | |
| sich als Sängerin, Kranführerin oder Apothekerin zu bezeichnen. | |
| Diese Ostfrauen sind ein guter Beleg dafür, wie hartnäckig sich | |
| Geschlechterstereotype halten, nur weil die Sprache männlich geprägt ist. | |
| Das finden wir heute alles blöd. Ist es auch. Eine Ingenieurin ist eine | |
| Ingenieurin ist eine Ingenieurin. Und eine Aufsichtsrätin ist nun mal eine | |
| Frau und damit kein Aufsichtsrat. Letzteres ist ein Mann. | |
| In den meisten Fällen jedenfalls. Das sogenannte Gendern in der Sprache ist | |
| mittlerweile allgemeiner Konsens. Die Bundesregierung benennt auf ihrer | |
| Homepage „15 Ministerinnen und Minister“, das Bundeskriminalamt sucht | |
| gerade etliche „IT-Sachbearbeiter/innen“. | |
| Nur in Baden-Württemberg scheint das alles nicht angekommen zu sein. Besser | |
| gesagt bei der dortigen CDU. Da will die Landesregierung für mehr | |
| Demokratie sorgen und twittert am Mittwoch so zuversichtliche Dinge wie: | |
| „[1][Wir Baden-Württemberger*innen müssen mit Neugier, Entdeckerfreude, Mut | |
| und Zuversicht in die Zukunft gehen].“ „[2][Die Wähler*innen haben uns den | |
| Auftrag gegeben, einen neuen Weg zu gehen].“ Findet die CDU gar nicht | |
| lustig und sendet einen [3][Antwort-Tweet]: „Lassen Sie bitte die | |
| Genderschreibweise in Landesregierungs-Tweets!“ | |
| Nun ist Baden-Württemberg ein Bundesland, in dem manches anders ist. Zum | |
| Beispiel die Sprache. Die Leute dort sagen „sodele“, wenn sie mit irgendwas | |
| fertig sind. Oder „Du koscht mi mol am Zipfla lecke.“ Was so viel heißt | |
| wie: „Leck mich am Arsch.“ Manchmal versteht man sie gar nicht: „I kei di | |
| glei mitsamt deim Kretta de Kär nab.“ Es wird kolportiert, dass in | |
| Baden-Württemberg alle gern „Häusle baue“ und eine gute Verdauung haben, | |
| weil sie alle „Seidebachr-Müsli esse“. Von verstärktem Gedächtnisschwund | |
| vor allem bei Christdemokraten war bislang noch nicht so viel zu hören. Hat | |
| die CDU vergessen, dass sie neuerdings mit den Grünen regiert? | |
| ## Sprache ist ein offenes System | |
| Zur Erinnerung: Die Grünen, das ist die Partei mit den | |
| Frau-Mann-Doppelspitzen, mit PolitikerInnen, die sich schon in einer Zeit | |
| als schwul oder lesbisch geoutet hatten, als es Homosexuelle nirgendwo | |
| leicht hatten. Die seit Jahrzehnten gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit | |
| fordern und Frauen durch die gläserne Decke schieben wollen. Und die ihre | |
| Sprache gendern. Anfangs mit dem Binnen-I, einst sprachen die Grünen gern | |
| BürgerInnen an. | |
| Aber Sprache ist ein offenes System und entwickelt sich weiter. Dazu sind | |
| die Grünen – zumindest sprachlich – auch in der Lage. Die Grünen in | |
| Baden-Württemberg jedenfalls wollen offen sein für alle Wähler*innen, also | |
| nicht nur für Frauen und Männer, sondern auch für Lesben, Schwule und | |
| transidente Menschen. Letztere fühlten sich nämlich durch das Binnen-I, das | |
| manche an einen erigierten Penis erinnert, nicht angesprochen. Mit dem | |
| Sternchen fühlen sich die meisten mitgemeint. | |
| Liebe CDU in Baden-Württemberg, seid doch froh, dass die Twitterer in Eurer | |
| Landesregierung nur das * verwenden. Was würdet Ihr wohl sagen, würden sie | |
| Euch mit Christdemokrat_innen anschreiben? Oder als Christdemokrat@innen, | |
| Christdemokrat(innen)en? Und seid noch froher, dass Lann Hornscheidt von | |
| der Sprach-und Gendertheorie der Berliner Humboldt-Uni noch nicht auf Eure | |
| Anti-Gender-Tweets reagiert hat. Dann müsstet Ihr Euch nämlich | |
| Christdemokratx nennen. Das x, so die Hornscheidt-Vorgabe, vermeidet die | |
| Reduktion auf die ausgrenzende Zweigeschlechtigkeit. | |
| Und das hier noch als Tipp: Schaut einfach mal in eine der unzähligen | |
| Studien, die SprachwissenschaftlerInnen mit Kindern durchgeführt haben. | |
| Kleine Kinder denken und reden ja so vor sich hin, von Gendern und | |
| Geschlechterdemokratie haben sie in der Regel noch nicht so viel gehört. | |
| Aber sie können klar zwischen einem Bauarbeiter und einer Bauarbeiterin | |
| unterscheiden. Wenn sie Texte vorgelesen bekommen, in denen immer nur der | |
| Bauer die Hühner füttert, glauben sie, dass es auf Höfen nur Männer und | |
| keine Frauen gibt. So festigt man Geschlechterstereotype. Und das wollt Ihr | |
| doch nicht, oder? | |
| 1 Jun 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://mobile.twitter.com/RegierungBW/status/737920294510309377 | |
| [2] https://mobile.twitter.com/RegierungBW/status/737918607619960832 | |
| [3] https://mobile.twitter.com/CDU_BW/status/737931813889400832 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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