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# taz.de -- Deutsche Raubkunst: Licht ins Depot bringen
> Wie viele von den Nazis geraubte Kunstwerke in Deutschland lagern, weiß
> niemand. Nun soll eine Kommission das Problem lösen.
Bild: Gestohlene Kunstwerke sind „die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten We…
BERLIN taz | Immer braucht es einen spektakulären Fall, damit Schneisen in
das Dickicht der Erinnerung geschlagen werden. 1998 war es wieder einmal so
weit. Als das New Yorker Museum of Modern Art am 1. Januar eine
Egon-Schiele-Retrospektive eröffnete, wurden zwei Bilder des
österreichischen Künstlers aus der Schau heraus vorübergehend
beschlagnahmt. Weil sie aus der Sammlung des im KZ Dachau ermordeten Wiener
Kabarettisten Fritz Grünbaum stammten.
Ohne die New Yorker Ausstellung hätte es nicht die Washingtoner Konferenz
gegeben, auf der im Dezember 1998 die „Washingtoner Erklärung“
verabschiedet wurde. Damals hatten sich in der US-Hauptstadt 44 Staaten, 12
nichtstaatliche Organisationen und der Vatikan verpflichtet, die während
der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke zu
identifizieren, die Vorkriegseigentümer oder deren Erben ausfindig zu
machen und eine „gerechte und faire Lösung“ für diese Fälle zu finden.
Hätten deutsche Behörden diese rechtlich nicht bindende Erklärung
tatsächlich mit Leben erfüllt, es wäre vielleicht nie zum „Fall Gurlitt“
gekommen.
Immerhin: Mit dem Fund von 1.500 Kunstwerken von Marc, Matisse, Picasso und
Dürer in dem Schwabinger Apartment des achtzigjährigen Kunsthändlersohns
Cornelius Gurlitt stiegen plötzlich Erinnerungsgespenster wie das
„Einziehungsgesetz“ von 1938 ins deutsche Massenbewusstsein. Damit hatten
die Nazis das Beschlagnahmen von Werken der „Entarteten Kunst“ aus
deutschen Museen legitimiert. Und siehe: In der Bundesrepublik war das
Machwerk nie aufgehoben worden.
Ohne den „Fall Gurlitt“ hätte die Bundesregierung vermutlich nie eine
„Taskforce“ eingerichtet, die jetzt die Herkunft der Gurlitt`schen
„Sammlung“ durchleuchten soll. Vermutlich hätte es nie die bayerische
Bundesratsinitiative gegeben, die absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren
partiell aufzuheben, auf die sich auch die Besitzer von NS-Raubkunst bis
heute berufen können – obwohl eine Londoner Konferenz 1943 den Raub von
jüdischem Eigentum als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ deklariert
hatte.
## Deutsche Provenienzforschung
Vermutlich wäre auch niemandem die kümmerliche Ausstattung der deutschen
Provenienzforschung aufgefallen. Erst 2008, 60 Jahre nach Kriegsende, wurde
bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Stelle eingerichtet – mit
einer Handvoll Wissenschaftlern und einem schlappen Etat von einer Million
Euro. Angesichts dieser Mischung aus Beschweigen und Verschleppen sah die
viel gepriesene deutsche Erinnerungskultur in Sachen NS-Diktatur plötzlich
wieder ziemlich löchrig aus.
Solch zähe Hinhaltetaktik lässt sich wohl nur mit einem Anstoß von außen
auflösen. Und derjenige, den Ronald S. Lauder am Donnerstag in Berlin gab,
war deutlich und von kalkuliertem Symbolwert. Pünktlich zum Jahrestag von
Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 kritisierte der Präsident des
Jüdischen Weltkongresses in der Berliner Gedenkstätte Topographie des
Terrors Deutschlands Versäumnisse im Umgang mit NS-Raubkunst und forderte
die Einrichtung einer Kommission, die das deutsche Raubkunstproblem
endgültig löst.
Der 70-jährige US-Unternehmer, Philanthrop und Kosmetikkonzernerbe, im
Nebenberuf Präsident des Museums of Modern Art (MoMA), mag ein
konservativer Republikaner sein. Er machte aber immer Front gegen rechts.
Lauder verteidigte schon nach 1987 das US-Einreiseverbot für Österreichs
Bundespräsident, den Ex-UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, einen Mitläufer
des Nazi-Regimes.
Als Vorsitzender der 1997 gegründeten Commission for Art Recovery engagiert
sich Lauder seit Langem für die Rückgabe von während der Nazi-Zeit
geraubter Kunst. Seine eigene Lauder-Stiftung unterstützt jüdische Gedenk-
und Bildungseinrichtungen in der ganzen Welt. Schon Ende vorigen Jahres
hatte sich Lauder in die deutsche Raubkunstdebatte eingeschaltet und im
Fall Gurlitt die „Vergeudung wertvoller Zeit“ angeprangert, weil die
Staatsanwaltschaft die bei Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Bilder fast
zwei Jahre unter Verschluss gehalten hatte.
## Kultur ist „Ländersache“
Lauders Wort von den „Kunstwerken als letzten Kriegsgefangenen des Zweiten
Weltkriegs“ mag pathetisch sein. Die Vorteile seines Vorschlags liegen auf
der Hand. Die „Taskforce“ untersucht nur den Fall Gurlitt. Und die
„Limbach-Kommission“ kann nur Streitfälle schlichten, wenn sie angerufen
wird. Eine international besetzte Kommission, deren Mitglieder „die Zähne
und die Befugnis haben, die Bestände aller Museen zu durchforsten“, wie
Lauder sagte, könnte für objektivere Aufklärung sorgen und sie
beschleunigen.
Wie notwendig schnelles Handeln ist, zeigen die Zahlen: 600.000
Kunstgegenstände raubten die Nazis in ganz Europa. Mutmaßlich 10.000 bis
100.000 schlummern noch unentdeckt in öffentlichen und privaten Sammlungen.
Das Zentrum für Raubkunst und die Verdopplung der Provenienzforschung, die
die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) einen Tag vor Lauders
Intervention ankündigte, sind überfällig.
So schnell dürfte das die „Mauer der Abwehr und des Schweigens“ aber kaum
durchbrechen, die der Potsdamer Historiker Julius H. Schoeps auf der
Veranstaltung mit Lauder beklagt hatte. Von den 6.000 deutschen Museen, das
ergab jüngst eine Untersuchung, haben erst 350 ernsthaft begonnen, die
Herkunft ihrer Sammlungen zu durchleuchten.
Lauders Vorschlag rüttelt allerdings am Allerheiligsten, an der
Grundgesetzformulierung, nach der Kultur „Ländersache“ ist. Daran war 1998
schon Michael Naumann gescheitert. Als der erste Kulturstaatsminister nach
der Washingtoner Erklärung einen Brief an die Chefs der deutschen Museen
schickte und um Mitwirkung bei der Suche nach Raubkunst bat, antwortete ihm
nur ein einziger: Klaus-Dieter Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz. Auf einen neuen Skandal sollte Deutschland aber
nicht warten, um endlich Licht in eines der letzten düsteren Kapitel der
Nazi-Barbarei zu bringen.
2 Feb 2014
## AUTOREN
Ingo Arend
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