Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rekonstruktion von Rothschild-Sammlung: Zeichen der Leere
> Die Künstlerin Anna Artaker zeigt Fotos von Bildern der zerstörten
> Rothschild’schen Gemäldesammlung am historischen Ort in Wien.
Bild: Anna Artakers Rekonstruktion der Rothschild'schen Gemäldesammlung in Wie…
Wenn man vor der Wende von Wien nach Berlin kam, bestand eine wesentliche
Befreiung darin, den intakten Fassaden entkommen zu sein. Denn Berlin war
kaputt und das Kaputte machte den Krieg und den unhintergehbaren
historischen Bruch sichtbar, spürbar, präsent – ganz im Unterschied zu der
polierten Kontinuität Wiens. Wie sich diese Berliner Erfahrung gehalten
hat, lässt sich etwa am Neuen Museum ablesen: Trotz Geld und Kapazitäten
hat man nicht den Originalzustand wiederhergestellt, sondern den „Wunden“
und Spuren Raum gegeben.
In Wien findet man kaum dergleichen. Im Freud-Museum etwa, das sich in
Freuds ehemaliger Praxis befindet, fehlt das entscheidende Objekt – die
Freud’sche Couch. Sie ist in London. Freud hat sie mitgenommen, als er Wien
1938 verlassen musste. Und nichts markiert diese Leerstelle, kein Hinweis
auf dieses symptomatische Fehlen. In Berlin stellt man sich dem Abgrund,
den die Geschichte eröffnet hat, während Wien nach wie vor eine Stadt der
ungebrochenen Fülle zu sein versucht.
Man muss sich dieses Ambiente vergegenwärtigen, um zu verstehen, was für
eine Intervention die neue Ausstellung der Wiener Künstlerin Anna Artaker
ist. „Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien“ lautet
deren ebenso nüchterner wie treffender Titel.
Die österreichische Linie der legendären jüdischen Bankiersfamilie
Rothschild war nicht nur reich, sondern auch kunstsinnig. Eine Kombination,
die sich in einer unglaublichen Gemäldesammlung materialisierte.
Diese umfasste hunderte Bilder mit Schwerpunkt auf der Malerei des 17. und
18. Jahrhunderts – van Dyck, Frans Hals, Rembrandt, Boucher, Fragonard
waren ebenso vertreten wie Tintoretto oder Gainsborough. Louis Rothschild
wurde noch am Tag des „Anschlusses“ mit Blick auf sein Vermögen verhaftet,
die Kunstsammlung umgehend arisiert.
## Fotos der Gemälde in Originalgröße
In ihrer Ausstellung präsentiert Anna Artaker nun Fotos in Originalgröße
jener Gemälde, die einmal die Rothschild’sche Sammlung bildeten. Dem ging
eine lange Recherchearbeit voraus, wie sich an der Beschriftung jeder
einzelnen Reproduktion ablesen lässt: Diese nennt neben Maler und Werk auch
den Zeitpunkt der Arisierung, den Verbleib während der Naziherrschaft, den
Fundort nach dem Krieg und den Zeitpunkt der Restitution – die ganze lange
Geschichte solcher Objekte im 20. Jahrhundert. Das ist die Rekonstruktion
einer Abwesenheit.
Bemerkenswert ist übrigens nicht nur die äußerst zögerliche Restitution,
die sich bis ins Jahr 1999 zog. Bemerkenswert ist auch, dass der Großteil
der arisierten Bilder für das geplante „Führermuseum“ in Linz bestimmt wa…
Das „Führermuseum“ sollte also wesentlich aus der Sammlung Rothschild
bestückt werden.
Einer der bevorzugten Kunsthändler dieses Museums soll übrigens Hildebrand
Gurlitt gewesen sein. Womit Artakers Ausstellung nicht nur thematisch,
sondern auch personell mitten im Geschehen ist, mitten in den aktuellen
Diskussionen um Raubkunst. Dazu gibt es übrigens neben dem Fall Gurlitt
auch noch ein österreichisches Pendant: die gerade heftig umstrittene
Sammlung des NS-Filmregisseurs Gustav Ucicky. Die Ausstellung erhält so
eine unerwartete und nicht intendierte Aktualität.
## Standort am historischen Ort des Palais Rothschild
Die spezifische Rekonstruktion, die Anna Artaker unternimmt, die
Rekonstruktion von Abwesenheit, geht aber noch weiter. Die Ausstellung
entstand im Auftrag und für den Standort der AK, der Wiener Arbeiterkammer
– der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen –, die sich damit nicht
nur der, sondern ganz speziell auch ihrer Vergangenheit stellt. Denn das
Gebäude der AK, das Gebäude, in dem Artakers Reproduktionen jetzt hängen,
steht genau an jener Stelle, wo früher das Palais Rothschild stand!
Was für eine Geschichte hatte dieser Ort. 1938 wurde das Palais Albert
Rothschild nicht nur enteignet, sondern auch zur „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ unter der Leitung von Adolf Eichmann. Nach dem Krieg
wurde das beschädigte Palais von der Familie Rothschild verkauft. Die AK
riss es ab und errichtete an dieser Stelle ihre Niederlassung.
## Zeichen für etwas, das nicht mehr existiert
Durch Anna Artakers Ausstellung hängen die Bilder also jetzt dort, wo sie
früher hingen. Sie sind zurückgekehrt. Aber als Wiedergänger. Als Zeichen
für etwas, das nicht mehr existiert. Nun existieren die Bilder ja –
verstreut auf der ganzen Welt. Was aber nicht mehr existiert, ist deren
Sammlung, sind die Personen, ist die Lebenswelt, die sie gemeinsam
bildeten.
Die Ausstellung rekonstruiert keine Präsenz. Sie markiert eine frühere
Fülle, sie rekonstruiert eine Leere. Ein anderes Wort dafür lautet:
Gespenst. Anna Artaker ist es gelungen, die gespenstische Dimension der
Materialität dieses Ortes und dieser Gemälde sichtbar zu machen. Auch das
kann Kunst. Keine kleine Leistung.
27 Nov 2013
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
Wien
Restitution
Hildebrand Gurlitt
Kunsthalle Hamburg
Raubkunst
NSA
Raubkunst
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt
Raubkunst
Der Spiegel
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt
Jewish Claims Conference
## ARTIKEL ZUM THEMA
Thomas Gainsborough-Ausstellung: Armut romantisch verklärt
Hamburgs große Thomas Gainsborough-Schau zeigt dessen technisch versierte
Landschaftsbilder. Gemalt sind die durchweg aus der Perspektive der
Oberschicht.
Deutsche Raubkunst: Licht ins Depot bringen
Wie viele von den Nazis geraubte Kunstwerke in Deutschland lagern, weiß
niemand. Nun soll eine Kommission das Problem lösen.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Verlust der Schutzzone
Seit den 70ern gibt es eine kollektive Arbeit an der Unterscheidung
geheim/publik. Das Veröffentlichen von Privatem ist ein Befreiungsakt.
Streit um legendären Welfenschatz: Zur Sache, Schätzchen
Die Auseinandersetzung um den Welfenschatz geht weiter. Nun tagt die
Limbach-Kommission. Auch die israelische Regierung mischt mit.
Münchner Kunstfund: Taskforce räumt Fehler ein
Erstmals erklärt die Leiterin der Taskforce zur Gurlitt-Sammlung, es seien
Fehler gemacht worden. Sie wünsche sich jetzt eine einvernehmliche Lösung.
Bild aus dem Gurlitt-Fund: Der Matisse der Rosenbergs
Für einen Matisse der Sammlung Gurlitt steht der rechtmäßige Vorbesitzer
fest: Ein Pariser Kunsthändler. Seine Nachfahren wollen das Bild zurück.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Gurlitt, der gute Erbe
Der „Spiegel“ stellt Gurlitt als einsamen, entrückten Herrn dar, der aus
der Zeit gefallen ist. Das ist dem Thema NS-Kunstraub nicht angemessen.
Kulturstiftungs-Direktorin zu Gurlitt-Fund: „Aktionismus ist hier fehl am Pla…
Das Debakel um die Gurlitt-Funde betrübe sie, sagt die Chefin der
Kulturstiftung der Länder. Die Bilder müssten nun in Ruhe untersucht
werden.
Rüdiger Mahlo über Münchner Kunstfund: „Alle Bilder online veröffentliche…
Die bei Gurlitt gefundenen Kunstwerke müssen sofort vollständig publik
gemacht werden. Das fordert Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.