| # taz.de -- Kulturstiftungs-Direktorin zu Gurlitt-Fund: „Aktionismus ist hier… | |
| > Das Debakel um die Gurlitt-Funde betrübe sie, sagt die Chefin der | |
| > Kulturstiftung der Länder. Die Bilder müssten nun in Ruhe untersucht | |
| > werden. | |
| Bild: „Straßenbahn“ von Bernhard Kretschmar aus dem Gurlitt-Fund könnte a… | |
| sonntaz: Frau Pfeiffer-Poensgen, zurzeit redet alle Welt von der in München | |
| entdeckten Sammlung von Cornelius Gurlitt, die Raubkunst und Stücke aus der | |
| Aktion „Entartete Kunst“ beinhalten könnte. Die Kulturstiftung der Länder | |
| kümmert sich um Provenienzforschung. Wussten Sie etwas von der Sammlung? | |
| Isabel Pfeiffer-Poensgen: Nein, wir haben das auch aus der Presse erfahren. | |
| Provenienzforschung, also die Erforschung der Herkunft von Kunstwerken, ist | |
| noch nicht so lange Aufgabe der Kulturstiftung. Wann wurde das angestoßen? | |
| Im Jahr 2004, als ich hier anfing, kamen einige schwierige Fälle von | |
| ehemals jüdischem Kunstbesitz auf den Tisch. Mir war klar, die Museen | |
| müssen ihre Bestände erforschen. Sie dürfen nicht warten, bis der Anwalt | |
| vor der Tür steht. Mit dem großen Kirchner-Fall im Brücke-Museum wurde dann | |
| die Bundesregierung aktiv. Und Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat dann, | |
| in der Art, wie er das ja oft sehr erfolgreich getan hat, sehr schnell das | |
| Geld besorgt. Er stellte jährlich eine Million Euro für dezentrale | |
| Forschungsprojekte zur Verfügung. Die Länder zogen mit der Einrichtung der | |
| Arbeitsstelle für Provenienzforschung nach, die sie mit 200.000 Euro pro | |
| Jahr finanzierten; dort wird alles organisiert, verwaltet und Auskunft | |
| erteilt. | |
| Das hat sich bewährt? | |
| Unbedingt. Das ist sehr gut angelaufen. Letztes Jahr hat Herr Neumann noch | |
| einmal eine Million draufgelegt. Und die Kulturstiftung der Länder gibt | |
| jetzt 358.000 Euro. Damit wurde die Arbeitsstelle erweitert. Sie müssen | |
| sich das so vorstellen, kleine Häuser mit wenig Personal, die eine | |
| Ausstellung nach der anderen produzieren müssen, brauchen einfach eine | |
| Hilfestellung, um ein Forschungsprojekt vorzubereiten und einen | |
| qualifizierten Antrag stellen zu können. Dafür haben wir die | |
| Beratungskapazitäten in der Arbeitsstelle geschaffen. | |
| Ich frage deshalb, weil sich die Staatsanwaltschaft Augsburg an die | |
| Forschungsstelle „Entartete Kunst“ bei der FU Berlin, nicht an die | |
| Arbeitsstelle Provenienzforschung wandte. | |
| Wenn man nur an Bilder aus der Aktion „Entartete Kunst“ denkt, ist die | |
| Forschungsstelle hier in Berlin die richtige Anlaufstelle. | |
| Hat die Kulturstiftung der Länder Kontakt zur Forschungsstelle „Entartete | |
| Kunst“? | |
| Wir hatten immer Kontakt mit der Forschungsstelle. Ich habe noch | |
| mitdiskutiert auf einem Podium zum zehnjährigen Bestehen der | |
| Forschungsstelle, das jetzt im September gefeiert wurde. Sie macht sehr | |
| gute, verdienstvolle Arbeit, eben zur Aktion „Entartete Kunst“, also der | |
| staatlichen Beschlagnahmung von Kunst, die gesetzlich sanktioniert wurde. | |
| Das ist nicht das Gleiche wie Raubkunst: die Verfolgung und Erpressung | |
| jüdischer Sammler, um an ihr Vermögen und eben auch ihre Kunst zu kommen. | |
| Das sind zwei verschiedene Themen und auch Forschungsbereiche. | |
| Jetzt werden 590 problematische Bilder in der Datenbank Lost Art | |
| veröffentlicht. Erst wird alles geheim gehalten. Dann kann es nicht schnell | |
| genug öffentlich gemacht werden. Ist das nicht ebenso problematisch? | |
| Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung, die seit 2008 existiert, hat | |
| sehr gut gearbeitet. 163 Forschungsanträge wurden bewilligt. 33 Projekte | |
| sind inzwischen abgeschlossen und die Ergebnisse bei Lost Art | |
| veröffentlicht. Es hat eine Reihe von Restitutionen gegeben. Das ist im | |
| Ausland sehr positiv wahrgenommen worden. Umso mehr betrübt mich jetzt | |
| dieses Debakel. Und Aktionismus ist fehl am Platz. Die Bestände müssen | |
| jetzt in Ruhe professionell untersucht werden. | |
| Als vor 25 Jahren die Kulturstiftung der Länder gegründet wurde, was war | |
| damals eigentlich die vordringlichste Aufgabe? | |
| Die Idee war, sehr banal ausgedrückt, eine Einkaufsgemeinschaft der Länder | |
| zu gründen, um ganz besonders große Kunstkäufe tätigen zu können in Fälle… | |
| in denen es um Kunstwerke ging, die unbedingt in Deutschland gehalten | |
| werden sollten. Dafür braucht man häufig Mittel, die ein Bundesland oder | |
| eine Stadt gar nicht mobilisieren kann. | |
| Wie kommt es, dass Kunstschätze abzuwandern drohen? | |
| Die Situation ist wie immer in Deutschland regional sehr unterschiedlich. | |
| Das beginnt mit ehemals fürstlichen Sammlungen, die die Familien oft nicht | |
| mehr halten können, die sich dann schweren Herzens entschließen, zu | |
| verkaufen. Das betrifft dann die verschiedenen Arten der Restitution, mit | |
| der wir uns beschäftigen. Das Spektrum der Gründe, warum verkauft wird, ist | |
| sehr groß. Der geringste Teil ist die Spekulation mit Kunst. | |
| Sind Sammlungen auch aus Unwissenheit gefährdet, so wenn man an Stralsund | |
| denkt, wo Teile der städtischen Bibliothek verkauft wurden? | |
| Ja, auch das passiert. Stralsund hat eine sehr bedeutende Bibliothek zur | |
| Schulgeschichte im weitesten Sinne. Welche Bedeutung diese Sammlung hat, | |
| wurde von den dortigen Verantwortlichen im Archiv, glaube ich, nicht | |
| wirklich erkannt. Und obwohl wir nach 25 Jahren doch bekannt sind, kam | |
| niemand auf die Idee, mal hier anzurufen und zu fragen: Was kann ich tun? | |
| Unsere Arbeit hat sich dahin gehend stark erweitert, Museen, Archive und | |
| Bibliotheken in solchen Fällen zu beraten. | |
| Die Expertise, die Sie dazu benötigen, ist die bei Ihnen im Haus vorhanden | |
| oder wird sie von außen geholt? | |
| Wir sind eine ganz kleine Organisation. Genau vier Leute bearbeiten die | |
| Projekte in 16 Bundesländern inhaltlich. Wir holen uns also immer externen | |
| Sachverstand dazu. Bei Erwerbungen sind das zwei Gutachten von externen | |
| Fachleuten, die uns hinsichtlich Qualität, aber auch Bedeutung einer | |
| Sammlung bis zu Fragen der Provenienz und natürlich auch der Angemessenheit | |
| des Preises beraten. Für die Ausstellungsförderung haben wir ein kleines | |
| Komitee aus unserem Kuratorium und suchen gemeinsam mit diesen Experten die | |
| Ausstellungen aus, die uns besonders förderungswürdig erscheinen. | |
| Sie kümmern sich auch um den deutsch-russischen Museumsdialog. Wie zuletzt | |
| bei der Eröffnung der großen Bronzezeit-Ausstellung in Sankt Petersburg | |
| deutlich wurde, als Frau Merkel keine Redezeit bekommen sollte, um ja nicht | |
| den deutschen Rechtsstandpunkt deutlich machen zu können, bewegt sich in | |
| der Beutekunstfrage nicht viel, oder? | |
| In den Regierungsgesprächen hat sich auf diesem Gebiet tatsächlich wenig | |
| bewegt. Deshalb haben wir den Kontakt auf der Arbeitsebene gesucht. Noch | |
| mit Klaus-Dieter Lehmann, dem damaligen Präsidenten der Stiftung | |
| Preußischer Kulturbesitz, haben wir diesen Dialog angestoßen, um | |
| langfristig Kontakte aufzubauen und die Wege der Kunst genauer zu | |
| untersuchen. Es wird zwar viel über Beutekunst gesprochen, aber niemand in | |
| Deutschland hat detaillierte Kenntnisse vom Verbleib der Kunstwerke. Ein | |
| privater Mäzen hat uns die Möglichkeit gegeben, Forscher mit der Auswertung | |
| der Archivalien der russischen Truppen zu beauftragen. 70 Prozent dieser | |
| Listen sind von zwei jungen engagierten russischen Kunsthistorikern in den | |
| neunziger Jahren in Kopie nach Deutschland gebracht worden. Mit dem | |
| Auswerten des ersten Teils sind wir jetzt fertig. Man sieht heute schon | |
| klarer, welche Dinge überhaupt von den sowjetischen Truppen mitgenommen, | |
| wie viel schon hier zerstört wurde oder auch anderswo hingekommen ist. | |
| Wissen die Russen ihrerseits über ihre Verluste Bescheid? | |
| Im Rahmen unsrer Gespräche mit russischen Kollegen wurde schnell klar, dass | |
| auch dort noch ganz viel unaufgearbeitet ist. Deswegen haben wir ein | |
| zweites Projekt gegründet, das uns die VW-Stiftung finanziert und das sich | |
| mit den russischen Verlusten befasst. Es geht etwa um die Zarenschlösser im | |
| Nordabschnitt der deutschen Front sowie die Städte Nowgorod und Pskow. Das | |
| ist eine sehr kleinteilige Arbeit, dazu gehören Archivbegehungen und | |
| persönliche Befragungen. Das ist ein Stück langfristige Aufarbeitung der | |
| Geschichte, ohne schnelle Erfolge. | |
| Neben Ihrer benutzerfreundlichen Website, die über Ihr Programm informiert, | |
| von dem wir jetzt nur wenige Punkte angesprochen haben, geben Sie noch eine | |
| Zeitschrift heraus. Was ist das Anliegen? | |
| Die Mission von Arsprototo ist, für das Kulturerbe zu werben, in einer | |
| ansprechenden Form. Die Zeitschrift hat eine Auflage von 15.000 Exemplaren | |
| – das ist für eine Kunstzeitschrift ganz ordentlich. Ursprünglich dachte | |
| man, als die Stiftung gegründet wurde, man kauft die Kunst für die Museen, | |
| und das ist es. Aber die Zeiten haben sich geändert und wir müssen über | |
| unsere Arbeit schon deshalb sprechen, weil wir bei jedem Ankauf Partner | |
| brauchen. Wir finanzieren ja bis zu maximal ein Drittel der Gesamtsumme | |
| eines Ankaufs und brauchen deshalb weitere Partner, etwa Stiftungen und | |
| Mäzene. Wir wollen mit Arsprototo zeigen, was es alles noch Interessantes | |
| auch jenseits der zeitgenössischen Kunst oder an Orten gibt, die man noch | |
| nicht so gut kennt und die zu entdecken sich lohnt. | |
| 23 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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