# taz.de -- Streit um legendären Welfenschatz: Zur Sache, Schätzchen | |
> Die Auseinandersetzung um den Welfenschatz geht weiter. Nun tagt die | |
> Limbach-Kommission. Auch die israelische Regierung mischt mit. | |
Bild: Eine Muttergottes aus dem Jahr 1482, ausgestellt im Berliner Bode-Museum. | |
BERLIN taz | Eigentlich wollte die Limbach-Kommission schon im September | |
2013 zusammenkommen. Doch dann sagte Hermann Parzinger, Präsident der | |
Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die Anhörung ab. Grund: zwei zu | |
kurzfristig eingereichte Gutachten der Antragsteller. | |
Im Vorfeld hatte die Auseinandersetzung um den legendären Welfenschatz | |
sogar eine politische Dimension angenommen. Limor Livnat, die israelische | |
Ministerin für Kultur und Sport, hatte sich in einem Brief an ihren | |
deutschen Kollegen Bernd Neumann gewandt und bemerkt, Israel vertraue | |
darauf, dass die Kommission sich der Bedeutung bewusst sei, „die diese | |
Angelegenheit für das jüdische Volk insgesamt und besonders für die | |
Holocaust-Überlebenden“ habe. | |
Es ist eine brisante Aufgabe, vor die sich die Limbach-Kommission im Fall | |
des Welfenschatzes gestellt sieht. Die „Beratende Kommission“ unter Leitung | |
der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach | |
kümmert sich um Streitfälle bei NS-verfolgungsbedingt entzogenen | |
Kulturgütern, insbesondere aus jüdischem Besitz. Sie kann bei Differenzen | |
über die Rückgabe von Kulturgütern angerufen werden. | |
## Unverdächtige Stiftung | |
Diese Differenzen bestehen zwischen der SPK, in deren Eigentum der kostbare | |
Kirchenschatz – eines der wertvollsten Zeugnisse mittelalterlicher Kunst – | |
ist, und den Erben des Kunsthändlerkonsortiums, das ihn einst den Preußen | |
verkaufte. Die Erben fordern seine Rückgabe, schließlich sei der Verkauf | |
1935 dem Druck der Verfolgung der Juden geschuldet, der Kaufpreis nicht | |
angemessen und der Kauferlös nicht frei verfügbar gewesen. | |
All dies glaubt die SPK stichhaltig widerlegen zu können. Was die Sache | |
noch komplizierter macht: Seit Kurzem ist deutlich, dass weit mehr Personen | |
in den Deal verwickelt waren als bislang bekannt. | |
Die Preußen-Stiftung steht bislang nicht im Verdacht, in Restitutionsfragen | |
ihre moralischen Pflichten entsprechend der Washingtoner Erklärung von 1998 | |
zu ignorieren, die eine „gerechte und faire Lösung“ fordert. | |
Obwohl die SPK dabei aus nachvollziehbaren Gründen gerne schweigt, muss sie | |
jetzt die Öffentlichkeit suchen und kann ihre Position im Streit um den | |
Welfenschatz noch einmal öffentlich darstellen: | |
„Die Voraussetzungen für die Herausgabe des Welfenschatzes an die Erben der | |
Kunsthändler Goldschmidt, Hackenbroch, Rosenberg und Rosenbaum liegen nicht | |
vor. Der Verkauf des Welfenschatzes erfolgte nicht NS-verfolgungsbedingt | |
als Zwangsverkauf, auch wenn die Verkäufer NS-verfolgte Juden waren.“ | |
## Verluste durch Weltwirtschaftskrise | |
Bevor das Konsortium den Welfenschatz möglicherweise zwangsverkaufte, | |
stellte er sich als Fehlkauf heraus. 1929 hatte sich das finanziell klamme | |
Haus Braunschweig bemüht, den ihm zugefallenen Reliquienschatz des | |
Braunschweiger Domes meistbietend zu veräußern. Doch mögliche Käufer wie | |
das Deutsche Reich oder die Stadt Hannover mussten bei dem hohen Kaufpreis | |
und gleichzeitiger Massenarbeitslosigkeit passen. | |
Am Ende gingen die 82 Einzelexponate für 7,5 Millionen Reichsmark an die | |
Frankfurter Konsorten, wobei sich die Welfen vertraglich eine prozentuale | |
Beteiligung bei Verkaufserlösen sicherten; entsprechend beinhaltete der | |
Kaufvertrag die Verpflichtung zum Verkauf aller Stücke. | |
Doch dann machte die Weltwirtschaftskrise allen Beteiligten einen Strich | |
durch die Rechnung. Auf einer Verkaufstour durch die USA wurden nur rund 40 | |
kleinere Stücke an Museen und Sammler verkauft. Den Händlern, die mit ihrem | |
Schatz nach Amsterdam zurückkehrten, blieben große finanzielle Verluste und | |
die Hoffnung auf schnellstmöglich bessere Zeiten. | |
## Ausgerechnet die Nazis | |
Paradoxerweise kamen sie ausgerechnet mit den Nazis, durch deren | |
Rassepolitik sich die Verkäufer ansonsten im deutschen Wirtschafts- und | |
Alltagsleben entrechtet und verdrängt sahen. Der preußische | |
Ministerpräsident Hermann Göring betrachtete die „Rückführung“ des | |
Welfenschatzes als Gebot überragender kulturpolitischer Bedeutung. Unter | |
Vermittlung der Dresdner Bank kaufte das Land Preußen 1935 den | |
Kunsthändlern die verbliebenen 42 Exponate für 4,25 Millionen Reichsmark | |
ab. | |
Ist der Kauf zu beanstanden, wie die Erben meinen, die seit 2008 Ansprüche | |
auf Rückgabe der Kunstgegenstände geltend machen? Die Stiftung meint nein. | |
Der Verkauf des Welfenschatzes, dessen heutiger Kunstmarktwert mit knapp | |
400 Millionen Euro beziffert wird, habe im Ausland stattgefunden. Und | |
insofern sich der Welfenschatz in Amsterdam dem deutschem Zugriff ebenso | |
entzog wie die Geschäftsbetriebe, die einzelne Konsorten im Ausland | |
unterhielten, war Preußens einziges Druckmittel, dass es keine weiteren | |
Kaufinteressenten gab. | |
Die 4,25 Millionen stehen, so die SPK, in keinem Missverhältnis zu den | |
zuvor in den USA erzielten Erlösen, Dokumente belegen, dass diese Summe an | |
die Kunsthändler floss. Saemy Rosenberg, der Verhandlungsführer des | |
Konsortiums, durfte sich seinen Teil des Kaufpreises in den Berliner Museen | |
aussuchen: zwanzig Kunstwerke im Gesamtwert von rund 780.000 Reichsmark, | |
die er nach Holland transferierte. | |
## Einzelschicksale klären | |
Bleibt die Frage, ob die Verkäufer frei über das Geld verfügen konnten. | |
Diese Frage ist schwer zu beantworten, unter anderem deshalb, weil gar | |
nicht bekannt ist, wie sich das Konsortium genau zusammengesetzt hat. Der | |
Konsortialvertrag ist bis heute verschollen. | |
Nur so viel ist klar: Die Kunsthändler Zacharias Max Hackenbroch, Isaak | |
Rosenbaum, Saemy Rosenberg sowie Julius Falk und Arthur Goldschmidt | |
brachten höchstens 10 Prozent des Kapital sein. 25 Prozent kommen, wie man | |
inzwischen weiß, von dem Wiesbadener Juwelier Hermann Netter, über weitere | |
Geldgeber lässt sich nur spekulieren. | |
Die Rechtsanwältin der Erben von Hermann Netter, die im Verfahren lediglich | |
Gaststatus hat, besteht darauf, erst einmal das Verfolgungsschicksal | |
sämtlicher Konsorten aufzuklären. Die Anwälte der derzeitigen | |
Antragssteller argumentieren derweil, Netter und die weiteren Beteiligten | |
seien nur Investoren gewesen, eventuelle Ansprüche wollten sie separat | |
prüfen. | |
15 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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