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# taz.de -- Buch über NS-Raubkunst-Rettung: Das Pharaonengrab
> 1945 wollten NS-Schergen den für das „Führermuseum“ geraubten Kunstscha…
> in die Luft sprengen. Ein Buch zeigt, wie das verhindert wurde.
Bild: Bergwerk in Altaussee: Arbeiter mit Boxen, in denen Raubkunst und Werke a…
Der Retter der unersetzbaren Kunstwerke, für das „Führermuseum“ in Linz
gedacht, war ein Nationalsozialist. Es war ein Mann, der Hitler in puncto
Brutalität und moralischer Verkommenheit um nichts nachstand: Ernst
Kaltenbrunner, Chef des Sicherheitshauptamtes, zweiter Mann der SS, gleich
hinter Reichsführer Heinrich Himmler.
Als der Endsieg zur Fata Morgana geworden war, elf Tage vor Hitlers
Selbsttötung, hatte der geborene Österreicher Kaltenbrunner sich aus dem
Berliner Führerbunker in seine Heimat abgesetzt. Seine Frau und seine drei
Kinder waren bereits in Bad Ischl, rund 20 Kilometer südöstlich von
Salzburg in Sicherheit. Kaltenbrunner aber kroch lieber ein paar Kilometer
weiter in Altaussee bei seiner Geliebten unter, der 25 Jahre alten
Offizierswitwe Gräfin Gisela von Westarp, die ihm zwei Monate zuvor
Zwillinge geboren hatte.
Alois Raudaschl, Bergmann aus Aussee, fragte sich in diesen Tagen: Wovon
sollen er und seine Kollegen in Zukunft leben, wenn der Gauleiter August
Eigruber aus Linz Hitlers „Nero-Befehl“ vollstreckt, die Zerstörung aller
Infrastruktur, aller Werte im untergehenden Dritten Reich.
Gauleiter Eigruber, ein brutaler Trunkenbold, war zum Letzten entschlossen.
Er hatte bereits 500 Tonnen schwere Bomben in das Salzbergwerk bringen
lassen. Nur auf die Sprengstoffexperten wartete er noch, die jeden Tag
eintreffen und das tief in einem Salzbergwerk verborgene Kunstdepot in die
Luft jagen, die Reste der Meisterwerke für ewig begraben sollten.
## Deckname „Dora“
Während die Rote Armee von Osten, die U.S. Army von Westen auf die
„Alpenfestung“ im Salzkammergut vorrückten, formierte sich der Widerstand
gegen die zerfallende Nazidiktatur, besonders unter den Arbeitern des
Salzbergwerks bei Altaussee. Einer von ihnen wird später die Rettung des
Kunstschatzes für sich reklamieren. Ein österreichischer Agent des
britischen Geheimdienstes wird ebenfalls die Lorbeeren für sich
beanspruchen. Doch in Wahrheit waren es weder die Widerstandskämpfer noch
Mitglieder der Bergwerksleitung oder die „Monuments Men“ der Briten und
Amerikaner, die den Schatz von Altaussee vor der Vernichtung retteten.
Licht in das Dunkel der zahlreichen und widersprüchlichen Heldenlegenden
hat jetzt der Wiener Journalist Konrad Kramar gebracht, mit seinem Buch
„Mission Michaelangelo“, einem ausgesprochen informativen Report. Nach den
Recherchen Kramars und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Inge Korneck
begann die Geschichte des Kunstdepots bei Altaussee bereits Anfang 1943. Da
fasste der Leiter des Denkmalamtes in Wien das Bergwerk oberhalb des
idyllischen Feriendomizils Altaussee als Bergungsort für Kunstwerke ins
Auge. Er ließ die Stollen mit Balken stützen und mit Holz auskleiden.
Zunächst wurden wertvolle Kunstwerke aus Wien eingelagert, im Dezember 1943
wurde das Bergwerk zum „zentralen Bergungsort der Sammlungen des Führers.“
Die Einlagerung von Hitlers Raubkunst lief unter dem Decknamen „Dora“,
insgesamt 40.000 Quadratmeter hatte das unterirdische Depot.
Mit schweren Schleppern transportierten Bergungsarbeiter die Kisten den
Berg zu den Stollen hinauf. Bis zu hundert Bergleute schufteten für die
Sicherung der im Namen Hitlers zusammengerafften Kunstwerke. Der letzte
Transport verließ den Wiener Westbahnhof am 30. März 1945 – als die Spitzen
der Roten Armee schon vor der österreichischen Hauptstadt standen.
Michelangelos „Brügger Madonna“ lag schließlich auf einer schmutzigen
Matratze tief im Bergwerk, die Gemälde „Der Astronom“ und „Maler in sein…
Atelier“ von Jan Vermeer, Ölbilder von Rembrandt und Rubens, Tausende von
Gemälden: ein Pharaonengrab der europäischen Kunst.
## Schnelle Genehmigung Kaltenbrunners
Alois Raudaschl geht es Anfang Mai 1945 nicht so sehr um die Rettung der
Kunstwerke als um das Bergwerk, das ihm und seinen Kollegen Lohn und Brot
gibt. Er ist kein Widerstandskämpfer, sondern Mitglied der NSDAP. Und er
hat gehört, dass Ernst Kaltenbrunner in Aussee untergeschlüpft ist. Der
SS-General, denkt er, kann den Wahnsinn der Sprengung des Bergwerks
stoppen.
Raudaschl geht nachts zu einer alten Freundin, die Kontakt zu Kaltenbrunner
hat und ihn zu ihm bringt. Es ist der Abend des 3. Mai 1945, als er von
bewaffneten SS-Männern zu dem SS-Führer eskortiert wird. Hitler hat sich
drei Tage zuvor in Berlin erschossen.
Der Bergmann ist selbst überrascht, wie schnell ihm Kaltenbrunner die
Genehmigung erteilt, die Bomben aus dem Bergwerk zu holen. Unmittelbar nach
dem Treffen mit dem SS-Führer macht sich Raudaschl mit rund zehn Bergleuten
auf. Sie schaffen die jeweils 500 Kilogramm schweren Sprengbomben mühsam
aus den Stollen und verstecken sie im Wald.
Doch vor Mitternacht pochen zwei Soldaten an die Tür von Kaltenbrunners
Unterschlupf. Gauleiter August Eigruber aus Linz hat sie mit dem Befehl
losgeschickt, Kaltenbrunner zu verhaften. Aber als sie dessen SS-Eskorte
sehen, überlegen sie es sich anders und drehen wortlos um.
Kurz nach Mitternacht ruft Gauleiter Eigruber bei Kaltenbrunner an. Der
brüllt los. „Momentan bin ich der Chef des Sicherheitsbüros, die Bomben
bleiben draußen.“ Eigruber brüllt zurück, aber seine Soldaten hören nicht
mehr auf ihn. Am nächsten Morgen verschütten Bergleute die Zugänge zum
Bergwerk. Die Kunstschätze sind in Sicherheit.
## „Eitle kriechende Kröten“
Erst 13 Tage nachdem Raudaschl und Kaltenbrunner die Kunstwerke gerettet
hatten, kamen die „Monuments Men“ in Altaussee an, die Kunstschützer der
britischen und amerikanischen Armee. Sie lassen die Kunstwwrke aus dem
Bergwerk holen, inventarisieren und in den Collecting Point nach München
bringen. 6.557 Gemälde wurden gezählt. Britische Experten schätzen den Wert
des gesamten Kunstschatzes auf 100 Millionen Pfund, das entspräche heute 5
Milliarden Euro.
Der Chef der Monuments Men, Oberleutnant George Stout, versuchte nach dem
Ende der Bergungsarbeiten herauszubekommen, wer die Kunstwerke tatsächlich
gerettet hatte. Er gab bald entnervt auf. „Ich habe endgültig genug von
diesen Heuchlern“ schrieb er in einem Bericht. „Eitle kriechende Kröten“
nannte der amerikanische Kunstschützer die vielen angeblichen
Widerstandskämpfer, „die auf nichts andres aus sind als auf egoistischen
Profit und Ruhm, den sie aus all dem Leiden schlagen wollen.“
22 Dec 2013
## AUTOREN
Michael Sontheimer
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