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# taz.de -- Buch über NS-Raubkunst: Räuber der Bilder und des Lebens
> In ihrem neuen Buch "Verlorene Bilder, verlorene Leben" erzählt Monika
> Tatzkow die Schicksale der jüdischen Sammler und Sammlerfamilien, die der
> NS-Raubkunst zum Opfer fielen.
Bild: Auch Thema im Buch: Das Werk "Goldene Adele" von Klimt, das 2006 an die E…
Wann immer zuletzt Raubkunst der Nazis, die ihren jüdischen Eigentümern
geraubt oder abgepresst worden war, zurückgegeben wurde, gab es Debatten
über die Rechtmäßigkeit der Restitution. Von Rekorderlösen war die Rede,
die die Bilder auf Auktionen erzielten, von Lücken, die in Museumsbestände
gerissen würden, oder gar von "Amputation". Nach der Rückgabe von Ernst
Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" im Sommer 2006 durch das Land
Berlin schreckten Kritiker keineswegs davor zurück, die Erbin selbst und
ihre Anwälte anzugreifen und sie der Geldgier zu bezichtigen.
Dass sich mit den Fällen stets die Schicksale von Verfolgten verknüpfen,
darauf hinzuweisen blieb Ausstellungen wie jüngst im Jüdischen Museum
Berlin und engagierten Historikern wie Monika Tatzkow vorbehalten. Die
Provenienzforscherin, noch in der DDR an der Humboldt-Universität
promoviert und nach der Wiedervereinigung als Expertin zunächst vorrangig
mit DDR-Enteignungsfällen befasst, wirkte seit Ende der 90er-Jahre als
Gutachterin an zahlreichen Restitutionsfällen von NS-Raubkunst mit;
außerdem beleuchtete sie mit Monografien Sammlerbiografien und Umstände des
Raubs. In dem neu erschienen Band "Verlorene Bilder, verlorene Leben" geht
Tatzkow nun gemeinsam mit der Wiener Journalistin Melissa Müller den
Geschichten von 15 Sammlern und Sammlerfamilien nach, die von den
Nationalsozialisten als jüdisch oder "jüdisch versippt" verfolgt worden
sind.
Darunter befinden sich Prominente wie der österreichische Zweig der
Rothschild-Familie oder das Ehepaar Adele und Ferdinand Bloch-Bauer, deren
Erben im Jahr 2006 Gustav Klimts "Goldene Adele" zurückerhielten und für
angeblich 135 Millionen US-Dollar versteigerten. Aber auch kaum bekannte
oder vergessene Schicksale werden beleuchtet - wie das des Kunsthändlers
Walter Westfeld. Als "Devisenschieber" verhaftet, hatte der Wuppertaler
Galerist im Polizeigefängnis Düsseldorf auf einem Stofffetzen sein
Testament verfasst, bevor ihn die Behörden nach Theresienstadt
verschleppten. In Auschwitz wurde er ermordet.
Der Breslauer Industrielle Max Silberberg, ebenfalls lange in Vergessenheit
geraten, besaß eine der wichtigsten Sammlungen der Zeit, mit Bildern des
Münchner Kreises um den Maler Wilhelm Leibl, französischer Realisten und
Impressionisten, mit Gemälden von Georges Braque, Paul Klee und Henri
Matisse. Dann begann seine systematische Ausgrenzung, Entrechtung und
Enteignung, bis sich seine Spur und die seiner Frau Johanna Silberberg im
Vernichtungslager Auschwitz verlieren.
Noch 1933 verlor Max Silberberg alle öffentlichen Ämter, 1935 erpresste der
SS-Sicherheitsdienst den Verkauf seiner Villa. Gemälde, die Bibliothek,
wertvolle Teppiche sowie Antiquitäten wurden auf einer Berliner
"Judenauktion" versteigert - unter der "großen Anteilnahme der deutschen
und ausländischen Händler- und Sammlerwelt, der Museumskreise und des
kunstfreudigen Publikums der Reichshauptstadt", wie die Autorinnen eine
zeitgenössische Quelle zitieren.
Im Novemberpogrom 1938 verschleppten die Nazis Silberbergs Sohn Alfred ins
Konzentrationslager Buchenwald. Nur unter der Auflage, das Land zu
verlassen, kam er wieder frei. Gegen seinen Vater Max erhoben die Behören
eine "Reichsfluchtsteuer", obwohl weder dieser noch seine Frau das Land
verließen. Die Silberbergschen Fabriken, Grundstücke und
Geschäftsverbindungen wurden "arisiert", Schmuck und verbliebene Kunstwerke
beschlagnahmt. Das letzte Lebenszeichen, das der Sohn im Londoner Exil
erhielt, datiert auf Ende 1941: "Deine Schwiegereltern wohnen nicht mehr in
Breslau, auch Onkel und Tante Paula nicht, und wir ziehen in den nächsten
Tagen auch hier weg, ebenso wie Tante Lisa."
Oftmals, so heben die Autorinnen hervor, sind die Kunstgegenstände die
letzten Erinnerungsstücke an die Angehörigen. Und fast immer münden die
erzählten Geschichten nach dem Krieg in langwierige Nachforschungen,
erfolglose Prozesse, demütigende Vergleiche mit heutigen Besitzern, Museen,
Bürokratien. In vielen Fällen warten die Eigentümer und Hinterbliebenen
noch immer auf eine "faire und gerechte Lösung", wie sie die 1998
vereinbarten Washingtoner Prinzipien vorsehen: ob Camille Pissarros Gemälde
"Rue Saint-Honoré am Nachmittag bei Regen" aus der Sammlung Lilly und
Claude Cassirers, das sich heute im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid
befindet, oder Wilhelm Leibls "Kopf eines bayerischen Mädchens mit Inntaler
Hut" aus dem Eigentum Max Silberbergs, heute in der Sammlung Schäfer in
Schweinfurt.
Dabei können die Autorinnen die Ansprüche der Erben mit zum Teil zuvor
unzugänglichen Quellen stützen. Für den Text über Paul Westheim etwa nahm
Monika Tatzkow Einsicht in dessen Bilderlisten und die Briefe seiner
Treuhänderin Charlotte Weidler, die sich heute im Militärarchiv Moskau
befinden. Der Berliner Kunstkritiker, 1933 als Förderer verfemter Kunst
unmittelbar gefährdet, hatte seine Sammlung der nichtjüdischen Freundin
anvertraut. Als er sich nach Kriegsende bei der 1939 nach New York
exilierten Charlotte Weidler nach dem Verbleib erkundigte, hüllte sie sich
jedoch in Schweigen. Westheim starb 1963 in dem Glauben, die Bilder seien
zerstört.
Warum Charlotte Weidler mit ihm brach, lässt das Buch offen. Tatsächlich
hatte sie die Bilder aber bei einem befreundeten Bildhauer versteckt, wo
sie den Krieg überstanden, und verkaufte später einzelne Werke, darunter
Jean Pougnys "Stillleben mit weißer Flasche", das sich heute in Berlin in
der landeseigenen Berlinischen Galerie befindet. Es wird vermutlich der
nächste größere Restitutionsfall werden. Laut Medienberichten steht die
Rückgabeforderung der Erben unmittelbar bevor.
18 Feb 2009
## AUTOREN
Robert Schröpfer
## TAGS
NS-Raubkunst
Raubkunst
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