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# taz.de -- Rüdiger Mahlo über Münchner Kunstfund: „Alle Bilder online ver…
> Die bei Gurlitt gefundenen Kunstwerke müssen sofort vollständig publik
> gemacht werden. Das fordert Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims
> Conference.
Bild: Zwei Bilder von Otto Dix aus dem Fundus von Gurlitt
taz: Herr Mahlo, der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt soll bald die
ersten der vor anderthalb Jahren bei ihm gefundenen und beschlagnahmten
Kunstwerke zurückbekommen. Wie finden Sie das?
Rüdiger Mahlo: Wenn ausgeschlossen werden kann, dass es sich dabei um
NS-Raubkunst handelt, sollten und müssen die entsprechenden Bilder an Herrn
Gurlitt zurücküberstellt werden.
Hat es nach 1945 einen vergleichbaren Fund mutmaßlicher NS-Raubkunst
gegeben, wie den vor anderthalb Jahren mit 1.400 Werken in München?
Abgesehen von den Fahndungsergebnissen der alliierten Militärbehörden in
der unmittelbaren Nachkriegszeit ist uns kein vergleichbarer Fund bekannt,
insbesondere was Umfang und Qualität anbelangt. Niemand hätte geglaubt,
dass 70 Jahre nach Kriegsende eine so einmalige Sammlung verschollener
Kunstwerke auftauchen würde.
Wie sollte man jetzt damit umgehen?
Zunächst einmal muss dieser Fund die Raubkunst betreffend vollständig
publik gemacht werden. Alle Kunstwerke sollten im Internet veröffentlich
werden. Die Opfer oder ihre Nachfahren müssen die Chance auf Einsicht
bekommen, welche Kunstwerke in diesem Depot waren. Schließlich können sie
einen sehr aktiven Beitrag zur Identifizierung leisten. Man muss auch den
Stellenwert sehen, den ein Kunstwerk im Familiengedächtnis besitzt:
Gemälde, die im Salon oder über dem Esstisch gehangen haben, sind hohe
emotionale Werte, die häufig die einzige Verbindung zu der ermordeten
Familie herstellen. Gerade vor diesem Hintergrund ist auch Unmut und
Unverständnis entstanden.
Die Bundesregierung und die bayrische Landesregierung haben eine Taskforce
eingerichtet, die die Herkunft der Werke ermitteln soll. Die Jewish Claims
Conference musste darum kämpfen, in die Taskforce aufgenommen zu werden.
Warum wollten Politiker und Beamte sie nicht dabeihaben?
Das müssen Sie andere fragen. Unseres Erachtens gehört in eine solche
Taskforce unabdingbar eine internationale Nichtregierungsorganisation, die
die Interessen der Eigentümer und ihrer Erben vertritt. Die Jewish Claims
Conference, die ja 1951 gegründet wurde mit dem ausschließlichen Anliegen,
für Restitution und Entschädigung Sorge zu tragen, ist seit mehr als 60
Jahren Ansprechpartner der Bundesregierung in allen Fragen der Restitution
und Entschädigung. Wir haben darüber hinaus eine weiter reichende Expertise
und vertreten zudem die Interessen der Opfer. Ich glaube, das ist eine
hinreichende Qualifikation, um in dieser Taskforce vertreten zu sein. Das
hat mittlerweile die Regierungsseite auch akzeptiert.
Sind Sie bei Ihren eigenen Nachforschungen schon früher einmal auf
Hildebrand Gurlitt, den Vater von Cornelius Gurlitt, gestoßen?
Selbstverständlich, jeder Provenienzforscher, der die Herkunft von
Kunstwerken untersucht, stolpert früher oder später über ihn. Hildebrand
Gurlitt hatte einen Namen im Kunsthandel in der NS-Zeit. Teile seiner
Sammlung waren nach dem Krieg zunächst von den Amerikanern beschlagnahmt
worden. Dieses Konvolut wurde jedoch an Hildebrand Gurlitt zurückgegeben.
Wie das in vielen Fällen leider üblich war, hat er seinen
Entnazifizierungsschein bekommen; damit schien die Sache erledigt.
Warum hat nach Ihrer Einschätzung die Augsburger Staatsanwaltschaft den
Kunstfund so lange geheim gehalten?
Unser Eindruck ist: Der Aspekt der NS-Raubkunst oder auch die Interessen
möglicher Erben wurden völlig hintangestellt. Man hat die Dimension nicht
gesehen und konzentrierte sich auf nachrangige Fahndungsziele wie Zoll-
oder Steuervergehen. Ich glaube, sämtliche Beteiligten waren in dieser
Frage überfordert. Viele Fragen der Provenienzforscher hätten auf der Basis
der Veröffentlichung des Kunstbestandes längst geklärt werden können.
Sehen Sie diese Geheimhaltung als einen Verstoß gegen die Washingtoner
Erklärung von 1998, bei der sich 44 Staaten verpflichtet haben, für das
Auffinden und die Rückgabe von Raubkunst zu sorgen?
Die Washingtoner Erklärung greift hier nicht, sie ist eine
Selbstverpflichtung zur Rückgabe von Kunst aus öffentlichem Besitz. Aber
die Bundesregierung hat wohl inzwischen erkannt, dass es in diesem
aktuellen Fall einen moralischen Impetus zur Rückgabe an die rechtmäßigen
Eigentümer gibt. Dem sollte in der Tat gefolgt werden.
Wie reagieren Holocaust-Überlebende und Angehörige von Opferfamilien auf
den Kunstfund und den Umgang der deutschen Behörden damit?
Viele haben sich bei unserer Zentrale in New York gemeldet. Wir wissen von
zahlreichen Anfragen an die bayrischen Behörden, an deutsche Botschaften
und Konsulate, auf die es keine zufriedenstellenden Antworten gibt. Deshalb
herrscht nicht nur Unverständnis, darüber herrscht auch Unmut. Hier muss
dringend Abhilfe geschaffen werden. Das Schlüsselwort lautet Transparenz,
die von der Taskforce sicherlich geschaffen wird.
Der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt will auf die Kunstwerke mit dem
Argument nicht verzichten, dass sein Vater sie rechtmäßig erworben habe.
Was würden Sie ihm entgegnen?
Wir wissen nicht, ob sein Vater Hildebrand Gurlitt ihm Einblick in seine
Dienstgeschäfte gegeben hat. Wenn wir uns einfach an die Fakten halten,
dann ist es so, dass Hildebrand Gurlitt von den Nationalsozialisten mit der
Verwertung sogenannter entarteter Kunst und Raubkunst beauftragt worden
ist. Wenn Cornelius Gurlitt jedoch zur Aufklärung beitragen will, so sind
wir jederzeit zu einem Gespräch bereit.
Gibt es Indizien dafür, dass es weitere unentdeckte Sammlungen mit
NS-Raubkunst in privater Hand gibt?
Der Fall Gurlitt hat eine ganz besondere Dimension. Große und bedeutende
Werke sind in der Regel restituiert worden. Was jedoch gerne übersehen
wird: In vielen deutschen Haushalten befinden sich Kunstwerke und
Kulturgüter jüdischen Ursprungs, die einst für kleines Geld auf einer
Judenauktion erworben wurden. Die werden dort vermutlich auch für immer
bleiben, da oft gar nicht mehr bekannt ist, dass sie aus jüdischem Besitz
stammen. Nach denen hat nie jemand gefragt. Weil keiner mehr da war, der
nachfragen konnte.
20 Nov 2013
## AUTOREN
Pascal Beucker
Anja Krüger
## TAGS
Jewish Claims Conference
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