| # taz.de -- Kunstmarkt im Nationalsozialismus: Glänzende Geschäfte | |
| > Der Fall Gurlitt zeigt: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich | |
| > gesellschaftliche Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ | |
| > übernehmen. | |
| Bild: Unbehelligt nach 1945: Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (Mitte) 1… | |
| Sensation? Ja. Überraschung? Nein. Das Auftauchen von über 1.400 Bildern | |
| aus dem Nachlass der Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt verweist auf ein | |
| grundsätzliches Problem, das bis heute noch nicht hinreichend aufgeklärt | |
| ist: die Kollaboration des deutschen und internationalen Kunsthandels mit | |
| den Mächtigen des „Dritten Reiches“. Der Fall Gurlitt ist hier ein | |
| extremer, aber kein einzelner Fall. | |
| Hildebrand Gurlitt, der Vater des 80-jährigen Cornelius Gurlitt, in dessen | |
| Münchner Wohnung die Bilder gefunden wurden, war eine zentrale Figur auf | |
| dem deutschen Kunstmarkt zwischen 1933 und 1945. Er gehörte zu der | |
| exklusiven Gruppe von Händlern, die im Auftrag des Reiches ab 1938 | |
| sogenannte entartete Kunst ins Ausland verkauften. | |
| Die Wahl fiel auf ihn, weil er wie seine Kollegen Bernhard Böhmer, Karl | |
| Buchholz und Ferdinand Möller über internationale Verbindungen verfügte, | |
| die für den Absatz der unter den Nationalsozialisten ungeliebten Meister | |
| der klassischen Moderne geeignet erschienen. | |
| Diese internationalen Verbindungen nutzte auch Adolf Hitler. Von 1939 an | |
| baute er mit viel Geld die Sammlung des „Sonderauftrages Linz“ auf. Sein | |
| Ziel war dabei, in der Stadt Linz an der Donau und an anderen Orten Museen | |
| zu gründen. Gurlitt leistete wertvolle Dienste. Insgesamt 168 Werke gingen | |
| durch seine Hände, bis sie in die Sammlung des „Sonderauftrags“ kamen. Er | |
| brachte besonders viele Werke nach Deutschland, die nach der Besetzung | |
| Frankreichs durch deutsche Truppen auf dem aufgeheizten Kunstmarkt in Paris | |
| in Umlauf gesetzt wurden. | |
| Seine bevorzugte Ware waren Meister der niederländischen Malschule des 17. | |
| Jahrhunderts und Gemälde der französischen Malschule des 18. Jahrhunderts. | |
| So wie Gurlitt gab es eine ganze Reihe von Kunsthändlern, die eine | |
| gestiegene Nachfrage nach Kunst während des „Dritten Reiches“ zu | |
| befriedigen und ihre Einkommen zu erweitern wussten. | |
| ## Göring träumte von einer Galerie | |
| Der Wunsch vieler Nationalsozialisten, eine eigene Kunstsammlung aufzubauen | |
| – Hermann Göring etwa hegte Pläne für eine „Norddeutsche Galerie“ –,… | |
| dazu, dass die Preise auf dem deutschen Markt und in den von Deutschland | |
| besetzten westlichen Ländern extrem stiegen. Dies wiederum war für viele | |
| Privatbesitzer Anlass, sich von ihren Werken zu trennen und damit den Markt | |
| in Schwung zu bringen. | |
| Zusätzlich wurde der Markt in dieser Zeit durch die erzwungene Auswanderung | |
| und Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten angeheizt, die ihr | |
| Eigentum an Kunst durch Zwangsverkäufe oder Enteignungen verloren. Diese | |
| Werke gelangten oft ebenfalls auf den Kunstmarkt und waren für den Handel | |
| ein glänzendes Geschäft. | |
| Innerhalb des deutschen und des auswärtigen Kunsthandels in den besetzten | |
| Gebieten gab es verschiedene Formen der Kollaboration mit dem Regime. Sie | |
| reichten von der offenen Einschleusung von geraubten Werken aus jüdischem | |
| Besitz in den Markt über die bewusste oder unbewusste Weitergabe solcher | |
| belasteter Objekte bis zur bloßen Hilfestellung beim Aufbau von Sammlungen | |
| nationalsozialistischer Gewaltherrscher. Die Kunsthändler wurden nicht nur | |
| von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Das zeigt der Fall Karl | |
| Haberstock. Der Berliner Händler war ebenfalls ein Hauptlieferant Hitlers | |
| und auch noch Mitglied der NSDAP. | |
| In diesem Geflecht von materiellen und ideologischen Motiven stand auch | |
| Hildebrand Gurlitt. Der Händler war jedoch so umsichtig, sich mit keinem | |
| Werk zu belasten, das durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung auf den | |
| Markt gekommen war. Seine Einlieferungen an Hitler stammen aus Quellen, die | |
| nach derzeitigem Stand der Forschung als unbelastet gelten. | |
| Hier gab es in Paris ein extremes Gegenbeispiel: Der deutschstämmige | |
| Kunsthändler Gustav Rochlitz war offen in den Handel mit jüdischem Eigentum | |
| verstrickt. Rochlitz beteiligte sich aktiv an den 28 Aktionen, bei denen | |
| die Kunstrauborganisation des „Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) | |
| zwischen März 1941 und November 1943 Werke moderner französischer Künstler, | |
| die aus beschlagnahmten Sammlungen stammten, gegen alte Meister tauschte. | |
| ## Es gab keine Verurteilungen | |
| Auch das Schicksal von Gurlitt nach 1945 ist beispielhaft für den deutschen | |
| Kunsthandel. Schon während des Krieges konnte der amerikanische | |
| Geheimdienst viele Mechanismen des Kunstmarkts im deutschen | |
| Herrschaftsbereich aufklären. Dies führte dazu, dass nach der Kapitulation | |
| gezielt Kunsträuber, belastete Kunsthändler und Kunsthistoriker gesucht und | |
| eingehend verhört wurden. In keinem Fall kam es aber in Deutschland zu | |
| einer Anklage gegen die Akteure des Marktes. | |
| Die Händler konnten sich vielfach retten, indem sie freimütig mit den | |
| Besatzungsmächten zusammenarbeiteten und zur Aufklärung des Schicksals | |
| verschollener Sammlungen beitrugen. Ein Umstand, der wiederum sie zu | |
| wichtigen Zeugen in den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher machte. | |
| Nur einer kleiner Zahl von sechs Beteiligten wurde nach dem Krieg in Paris | |
| der Prozess gemacht. | |
| Die Welle der juristischen Verfolgung von Händlern und anderen Teilnehmern | |
| des Kunstmarktes hatte kaum nachteilige Wirkung. Karl Haberstock, Ferdinand | |
| Möller und auch Gustav Rochlitz arbeiten in den fünfziger Jahren wieder als | |
| Händler, ebenso wie viele andere, die in unterschiedlicher Weise mit dem | |
| Regime zusammengearbeitet hatten. Hildebrand Gurlitt spielte ebenfalls ab | |
| 1948 wieder eine aktive Rolle im westdeutschen Kunstleben als Leiter des | |
| Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen. | |
| Der Fall Gurlitt verweist auf einen parallelen Fall: Der Kunsthistoriker | |
| Bruno Lohse hatte während des Krieges für Göring in Paris Kunst gesucht und | |
| war dabei in Kontakt mit den Tauschaktionen des ERR gekommen. Lohse wurde | |
| jedoch nie persönliche Bereicherung durch Handel mit Raubkunst | |
| nachgewiesen. 2007 wurde bekannt, dass sich in seinem Nachlass Gemälde | |
| befanden. Darunter war auch Camille Pissarros Bild „Le Quai Malaquais et | |
| l’Institut“ aus der beschlagnahmten Sammlung des Berliner Verlegers Samuel | |
| Fischer. Das Gemälde soll er nach Angaben von Medien jedoch erst 1957 | |
| erworben haben. | |
| ## Tauschgeschäft mit Kunsträubern | |
| Ein paralleler Sachverhalt scheint auch in dem Nachlass Gurlitts | |
| vorzuliegen. Das Gemälde von Henri Matisse, „Sitzende Frau mit Kopftuch und | |
| Fächer“, das wahrscheinlich aus der jüdischen Sammlung Paul Rosenberg | |
| stammt, hatte nicht Gurlitt, sondern Rochlitz in Paris durch ein | |
| Tauschgeschäft mit den Kunsträubern Rosenbergs erworben und kurz vor der | |
| Befreiung der Stadt nach Deutschland geschafft. | |
| Auch hier spricht einiges dafür, dass der Händler es nach dem Krieg auf dem | |
| Markt absetzte und es so in die Hände von Gurlitt kam. Nach Angaben von | |
| Rechtsanwalt Willy Hermann Burger, dem bestellten Testamentsvollstrecker | |
| von Lohse, wurde das Gemälde von Pissarro freiwillig an die Erben des | |
| jüdischen Sammlers restituiert, also den Erben von Samuel Fischer | |
| zurückgegeben. Ähnlich könnte es sich auch mit dem Matisse aus der Sammlung | |
| Gurlitt verhalten. Bislang sind Rückgaben aus den Sammlungen der Händler | |
| aber die Ausnahme. | |
| Die Hauptaufgabe der Restitution übernimmt neben den Museen in Deutschland | |
| zurzeit die Verwaltung des Kunstbesitzes des Bundes, in der sich viele | |
| Werke befinden, die für Hitler und Göring gesammelt wurden. Außer Rückgaben | |
| hat es seit 2000 auch Entschädigungen der Erben in Form von Zahlungen oder | |
| Rückkäufen gegeben. Die hinter diesen Werten stehenden Gewinne wurden aber | |
| einst in den privaten Kunsthandlungen realisiert. | |
| Die Tendenz des deutschen Kunstmarkts, Gewinne aus der NS-Zeit zu | |
| privatisierten und die Kosten zu sozialisieren, ist ungebrochen. Während | |
| die deutsche Industrie mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, | |
| Zukunft“ bereits gesellschaftliche Verantwortung für die Ereignisse im | |
| „Dritten Reich“ übernommen hat, steht dies für den Bereich des Kunstmarkt… | |
| noch aus. | |
| 17 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Hanns C. Löhr | |
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