| # taz.de -- Kolumne Macht: Herr Gurlitt bleibt höflich | |
| > Angelina Jolie schenkt Brad Pitt eine herzförmige Insel. Der | |
| > Kunstliebhaber Cornelius Gurlitt dagegen besinnt sich seiner | |
| > Privatsphäre. | |
| Bild: Stehen zu gerne in der Öffentlichkeit: Angelina Jolie und Brad Pitt. | |
| Manche Leute verhalten sich eigenartig. Angelina Jolie hat sich für ihren | |
| Lebensgefährten Brad Pitt ein nettes Geschenk ausgedacht: Eine Insel in | |
| Herzform wird er bekommen, auf der praktischerweise schon zwei Villen | |
| stehen. 75 Kilometer nördlich von New York liegt sie, und erreichbar ist | |
| sie sowohl per Boot als auch per Hubschrauber. Ein Traum! Innerhalb von | |
| wenigen Minuten kann man dort sein, wo das Leben tobt – und genauso schnell | |
| wieder verschwinden, ganz unauffällig. Niemand weiß, wo man steckt. | |
| So könnte es sein, und neidisch könnte man werden. Wenn Angelina Jolie | |
| nicht so eine dumme Kuh wäre. Denn was tut sie, kaum dass sie einmal einen | |
| guten Einfall hatte? Sie erzählt es rum, und dann steht es in der Zeitung, | |
| und dann braucht sie die Insel eigentlich gar nicht mehr zu kaufen. | |
| Hubschrauber können nämlich auch Paparazzi mieten, und das war’s dann mit | |
| der Abgeschiedenheit. | |
| Cornelius Gurlitt wäre das nie passiert. Der Kunstliebhaber braucht nicht | |
| einmal eine Insel, um unauffindbar zu sein. Darf der das denn überhaupt | |
| sein? Ja, der darf das. | |
| Der darf noch viel mehr. Er ist nicht verpflichtet, sich einen Rechtsanwalt | |
| zu nehmen. Er muss keine Pressekonferenzen abhalten. Er macht sich nicht | |
| einmal strafbar, wenn er nicht zu Lanz in die Talkshow geht. (Unglaublich, | |
| aber wahr. Wissen eigentlich die anderen Gäste, dass das so ist?) | |
| ## Unbehelligt bleiben | |
| Cornelius Gurlitt muss auch dem Staat nicht behilflich sein. Wenn er keine | |
| Lust hat, dann braucht er sich sein beschlagnahmtes Eigentum nicht genau | |
| dann abzuholen, wenn es den Stellen, die es ihm weggenommen haben, gerade | |
| passt. Nein, so lange es keinen Haftbefehl gibt oder wenigstens einen | |
| Bußgeldbescheid oder eine Vorladung, so lange kann Gurlitt den Staat einen | |
| guten oder nicht so guten Mann sein lassen und sein Bürgerrecht wahrnehmen, | |
| unbehelligt zu bleiben. | |
| Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht in diesem Text | |
| nicht um die Frage, ob es eine rechtliche Möglichkeit gibt, den Nachkommen | |
| jüdischer Opfer des Dritten Reichs die Kunstwerke zurückzugeben, die denen | |
| von den Nationalsozialisten geraubt wurden. Was dringend zu wünschen wäre, | |
| und wenn Verjährungsfristen oder andere Hindernisse dem entgegenstehen, | |
| dann muss der Staat einspringen und wenigstens materielle Entschädigung | |
| leisten. Obwohl früheres Unrecht allenfalls gelindert, nicht jedoch geheilt | |
| werden kann. | |
| Es geht hier auch nicht darum, ob Cornelius Gurlitt im Zusammenhang mit der | |
| von seinem Vater geerbten Kunstsammlung moralische oder gar strafrechtliche | |
| Vorwürfe zu machen sind. Oder was von einem Staat zu halten ist, dessen | |
| Repräsentanten jahrzehntelang weggeschaut haben, jetzt aber öffentlich | |
| darüber nachdenken, ob man Gesetze nicht vielleicht rückwirkend erlassen | |
| kann. All das sind wichtige Themen. Hier geht es aber um etwas anderes: | |
| nämlich darum, was eigentlich geschieht, wenn sich jemand den Regeln der | |
| öffentlichen Auseinandersetzung verweigert. | |
| ## Wie beglückend! | |
| Nichts geschieht. Gar nichts. Und das ist der einzig beglückende Aspekt in | |
| dieser sonst aus vielen Gründen deprimierenden Affäre. Es ist möglich, auf | |
| dem Recht auf Privatsphäre zu bestehen – und es geht einem hinterher | |
| zumindest nicht schlechter als vorher. Wenn sich das herumspricht, dann | |
| bekommen viele Leute ein Problem. | |
| Bisher lassen sich Prominente zwingen, intimste Peinlichkeiten | |
| preiszugeben, wenn ihnen mit negativer Berichterstattung gedroht wird. Herr | |
| und Frau Jederfrau beugen sich telefonischen Belästigungen durch | |
| Meinungsforscher oder Finanzberater, als hätten die einen Anspruch auf | |
| Informationen oder auch nur auf die eigene Zeit. Und dem Staat wird von | |
| einer Mehrheit sogar das Recht auf Überwachung und Datenspeicherung | |
| zugebilligt – sonst könnte ja der Eindruck entstehen, man habe etwas zu | |
| verbergen. | |
| Herr Gurlitt tut nichts dergleichen. Herr Gurlitt bleibt unbeirrbar höflich | |
| und beharrt darauf, sich seine Gesprächspartner aussuchen zu wollen. | |
| Wunderbar. | |
| 29 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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