# taz.de -- Thomas Gainsborough-Ausstellung: Armut romantisch verklärt | |
> Hamburgs große Thomas Gainsborough-Schau zeigt dessen technisch versierte | |
> Landschaftsbilder. Gemalt sind die durchweg aus der Perspektive der | |
> Oberschicht. | |
Bild: Der Blick der Oberschicht: Gainsboroughs Werk „Mr. und Mrs. Andrews“,… | |
HAMBURG taz | Und wenn die Ziege das Wasser trinkt – genau dann kippt das | |
Bild. Dann weiß man nicht mehr, ob sie das Maul ins gemalte Wasser oder in | |
des Malers Farbe tunkt. Dann lässt sich nicht mehr entscheiden, ob das ein | |
watendes Tier ist oder Weiß vor Blau, durchscheinend gepinselt wie das | |
Wasser. Das ist so gewollt, denn in Thomas Gainsboroughs 1777 geschaffenem | |
Bild „Die Tränke“ geht es nicht darum Wasser getreulich abzubilden. Die | |
Konsistenz des Wassers selbst ist Thema geworden. | |
Von diesem Übergang von der gegenständlichen zur fast abstrakten Malerei | |
lebt die aktuelle Gainsborough-Schau in Hamburgs Kunsthalle, die erste | |
große monographische in Deutschland. Allerdings präsentiert sie den | |
englischen Maler anders als gewohnt: nicht als honorigen Porträtmaler, der | |
im England des 18. Jahrhunderts mit Joshua Reynolds konkurrierte, sondern | |
als Maler von Landschaften. | |
Die soll der in Südengland geborene, später nach Bath und London gezogene | |
Gainsborough stets geliebt und in vielerlei Varianten ausprobiert haben. | |
Das war Forschung und Hobby für ihn; folgerichtig, dass er Landschaften – | |
anders als die Porträts der Hautevolee – fast nie als Auftragswerke schuf. | |
Zudem waren im protestantisch-puritanischen England bis dato meist Porträts | |
gefragt, sodass die Landschaftsmalerei auf niedrigem Niveau stagnierte. | |
So kam es, dass Gainsborough für seine privaten Studien die hoch | |
entwickelte niederländische und französische Landschaftsmalerei eines | |
Jean-Honoré Fragonard, Jacob Isaacksz van Ruisdael und Peter Paul Rubens | |
nutzte, rund 100 Jahre früher entstanden und von weit höherem Niveau als | |
die englische. Fast wörtlich kopierte Gainsborough in den Anfängen die | |
ausländischen Kollegen, wie die Hamburger Schau anhand einiger Beispiele | |
zeigt. Doch Gainsborough emanzipierte sich zusehends, spielte immer | |
versierter mit dem Licht; auf einigen Bildern hat er quasi jeden Grashalm | |
einzeln beleuchtet, als sei die Natur selbst schon Licht. | |
Gainsborough wollte Natur nicht bloß beschreiben, die äußere Form | |
nachzeichnen und kenntlich machen. Für ihn war Natur Spiegel subjektiver | |
Stimmungen, ganz gemäß dem „Empfindsamkeits“-Credo jener Zeit, das schon | |
auf die Romantik vorauswies. Um alle Nuancen genau auszuleuchten, hat | |
Gainsborough sogar einen Guckkasten entworfen, in den er auf Glas gemalte | |
Bilder schob, verschieden hell beleuchtete und mit verschiedenfarbigem | |
Hintergrund zeigte. | |
Auch die – winzig, aber kenntlich – in die Landschaft gesetzten Menschen | |
verkörpern diese neue, subjektive Einfühlung in die Natur. Da sitzt ein | |
Bauer im Wald, staunt über die Bäume, die er jeden Tag sieht, und man fragt | |
sich: Wie kann das sein? Hat der nichts zu tun? | |
Antwort: Diese Figur ist bloßer Platzhalter und verkörpert den verklärenden | |
Blick des Großstädters auf die Natur. Denn dieses Bild hat – wie die | |
niederländischen und französischen Kollegen – ein Städter gemalt, der Natur | |
als Vehikel seiner eigenen Sehnsüchte nutzte – und der einer bestimmten | |
Gesellschaftsschicht. | |
Besonders das ländliche Dorf verklärte man zum fernen, an die vorgeblich | |
gute alte Zeit erinnernden Idyll. Ein eigentlich absurdes Bildmotiv zu | |
einer Zeit, in der Englands Parlament den Dörflern die Allmende – das | |
gemeinsam bewirtschaftete Land – nahm, es einzäunte und den Gutsbesitzern | |
zuschlug. Die Dörfler, ihrer Existenzgrundlage beraubt, mussten fortan für | |
jene Gutsherrn arbeiten oder in die Städte fliehen, wo sie zum | |
Industrieproletariat wurden. Ganz zu schweigen davon, dass der | |
wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg Großbritanniens im 18. Jahrhundert | |
auf seiner Schlüsselrolle als Kolonialmacht basierte, die exzessiven | |
Sklavenhandel betrieb. | |
Wer sich das vergegenwärtigt, liest das berühmte Bild „Mr. und Mrs. | |
Andrews“ – eines der wenigen Porträts der Schau – ganz anders. Stolz | |
verweilt das Gutsbesitzerpaar inmitten des eigenen Grundstücks, den Blick | |
aus dem Bild heraus auf das eigene Haus gerichtet. Im Hintergrund umzäunte | |
– und damit als Resultat der Enteignung kenntliche – Felder; das Dorf mit | |
seinen Arbeitern ist nicht in Sicht. | |
Counterpart sind Bilder von Hütten im Wald mit Frauen und Kindern, im | |
Abendlicht zum Idyll verklärt, als mache die Familie die Armut wett. Und | |
wenn mal ein ganz realer Erntewagen als Metapher der Landflucht auftaucht, | |
wird dieser Subtext wieder zurückgenommen, wenn vornehme Frauen und | |
rustikale Bauern in trauter Gemeinschaft auf dem Wagen sitzen. Konsequent | |
hat Gainsborough jedes sozialkritische Timbre ausgeblendet; vielleicht | |
wollte er es sich nicht mit seinen Auftraggebern verscherzen. | |
All dies mindert nicht die Professionalität und Originalität seiner | |
malerischen Experimente: Nicht nur, dass er manchmal Farben mit | |
Glaspartikeln versetzte, damit sie stärker leuchteten. Spannend sind auch | |
seine Versuche, Zeichnungen mit Butter oder entrahmter Milch zu überziehen, | |
damit sie wie Ölgemälde glänzten. | |
## Temperamentvoll hingeworfen | |
Diese auf braunes Papier gesetzten Küsten- oder Baumlandschaften sind | |
zeichnerisch exzellent und überschreiten gekonnt die Grenze zwischen | |
gegenständlicher Darstellung und fast kalligraphischer Abstraktion. Da | |
wirken Berg, Baum und Schaf nicht mehr wie getrennte Elemente, sondern | |
verschmelzen zu einer „Gesamt-Wesenheit“ namens Natur. Das Ganze oft | |
temperamentvoll hingeworfen wie eine schnell erzählte Geschichte. | |
Wobei Gainsborough persönlich so lebhaft wie streitbar gewesen sein soll: | |
Nicht nur, dass er sich mit der Royal Academy zerstritt, weil ihm die | |
Hängungshöhe seiner Bilder nicht behagte. Ein Gemälde soll er zerschnitten | |
haben, als der Auftraggeber daran herummäkelte. Ein Sammler ließ es wieder | |
zusammensetzen. Insgesamt eine feine, mit Muße und Scharfblick zu | |
genießende Schau, deren Besuch zu empfehlen ist. | |
Offen bleibt indes die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz der | |
Schau. Denn letztlich transportieren diese Bilder den Blick einer | |
Oberschicht, die von der Enteignung ihrer Landsleute sowie vom | |
Kolonialismus profitierte. Warum man dies in einer Situation einer breiter | |
werdenden sozialen Schere und einer lebhaften öffentlichen | |
Kolonialismusdebatte zeigt, ohne dies kritisch anzumerken, bleibt | |
unerklärt. | |
9 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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