# taz.de -- Die Kunst des Kunstraubs: Picasso al forno | |
> Kunstwerke zu klauen ist was für Dilettanten. Schwerer ist es, die Werke | |
> wieder loszuwerden. Der Prozess gegen die Bilderdiebe von Rotterdam geht | |
> weiter. | |
Bild: Hier hing mal ein Matisse: Rotterdamer Kunsthalle | |
BERLIN taz | Eigentlich sollte Edvard Munchs Gemälde „Zwei Freunde“ als | |
eines der Highlights im Moderna Museet Malmö hängen. Tatsächlich fand es | |
sich bei einer Hausdurchsuchung vor drei Jahren im schwedischen Landskrona | |
wieder. Dass es dem Museum abhandengekommen war, hatte dort bis dahin | |
niemand bemerkt. Das Bild ist etwa 1 Million Euro wert. | |
Auch das berühmte goldene Salzfass des italienischen Renaissancekünstlers | |
Benvenuto Cellini, Schätzwert 50 Millionen Euro, kam 2003 eher zufällig | |
abhanden. Ein Wiener ließ die Saliera morgens um vier Uhr, auf dem Heimweg | |
von der Disko, mitgehen. Als er am eingerüsteten Kunsthistorischen Museum | |
vorbeikam, fand es der angeschickerte Mann eine gute Idee, über das | |
Baugerüst in das Museum einzudringen, um sich an dessen Schätzen zu | |
bedienen. Um halb neun Uhr in der Früh entdeckte dann der Oberaufseher den | |
Diebstahl. | |
Im Film sieht die Sache mit dem Kunstraub merkwürdigerweise immer ganz | |
anders und sehr viel aufregender aus. Für Hollywood ist die Logik des | |
Kunstraubs vor allem seine Logistik. Und die hat es in sich, schaut man | |
sich „Ocean’s 12“ an oder die Neuauflage der „Thomas Crown Affäre“. | |
Da müssen Räumlichkeiten unverdächtig ausgekundschaftet und Alarmanlagen | |
erst gecheckt und danach höchst kompliziert entschärft werden. Das | |
blitzschnelle Rein-raus-Spiel am Ende ist dabei immer die dramatische | |
Apotheose einer aufwendigen Dramaturgie der Planung von langer Hand. | |
## Mit dem Schraubenzieher | |
Das blitzschnelle Rein-raus-Spiel in der Rotterdamer Kunsthalle im Oktober | |
2012, das gestern vor einem Gericht in Bukarest verhandelt werden sollte, | |
bedurfte übrigens nur des Wissens, wie man einen Schraubenzieher benutzt. | |
Innerhalb von 2 Minuten und 48 Sekunden konnten mit ihr sieben Meisterwerke | |
von unschätzbarem Wert von der Wand genommen werden. | |
Das Museum hatte auf Wachpersonal verzichtet, weil es sich auf die Technik | |
seines Sicherheitssystems glaubte verlassen zu können. Sie funktionierte | |
auch. Doch bis freilich die Sicherheitskräfte eintrafen, waren die Diebe | |
mit den Werken von Picasso, Monet, Matisse, Gauguin, Meyer de Haan und | |
Lucian Freud längst verschwunden. | |
Die Täter: eine Handvoll Kleinkrimineller und ihr mutmaßlicher Anführer, | |
die sich an diesem Kunstraub verhoben haben. Die sechs Rumänen raubten in | |
Holland und Belgien Wohnungen aus, manipulierten Bankomaten und schickten | |
ihre Freundinnen auf den Strich. Dass sie vor ihrem Raub jemals ins Museum | |
gegangen wären, ist nicht bekannt. | |
Als sie dann aber irgendwie mitbekamen, dass sich Kunstgegenstände auf dem | |
Schwarzmarkt gut verkaufen lassen, „da haben sie in ihr Navi als Zielort | |
’Museum‘ eingegeben“, [1][erzählte der rumänische Journalist Attila Biro | |
der ARD]. „Auf diese Weise kamen sie zum Museum für Naturgeschichte und | |
dann erst zur Rotterdamer Kunsthalle.“ | |
## Gutachten zur Asche | |
Je länger man sich mit der Geschichte der Kunstdiebstähle befasst, desto | |
mehr erscheint sie als eine Geschichte der individuellen, aber auch der | |
gesellschaftlichen Überforderung durch die Kunst. Und das gilt für die | |
Bestohlenen genauso wie die Diebe selbst. Das belegt gerade die tragische | |
Pointe im jetzt verhandelten Raubfall von Rotterdam. Olga Dogaru, die | |
Mutter des Hauptverdächtigen Radu Dogaru, [2][will die Gemälde verbrannt | |
haben], um die Beweise zu vernichten. Zwar zog sie ihre Aussage wieder | |
zurück, doch ein Gutachten zur Asche aus ihrem Badezimmerofen spricht | |
dagegen. Für den Experten und Direktor des Rumänischen Historischen | |
Museums, Ernest Oberländer-Tarnoveanu, deuten die in der Asche gefundenen | |
gelben, roten und grünen Farbpigmente sowie die Kupfernägel und Eisenhaken | |
darauf hin, dass in dem Ofen Gemälde verbrannt wurden. Ob es sich um die | |
geraubten Kunstwerke handelt, ist bislang aber nicht bestätigt. | |
Tatsächlich gehen Kunstwerke bei Diebstählen vor allem deshalb verloren | |
oder werden ruiniert, weil die Diebe mit der Beute oder zumindest Teilen | |
davon nichts anzufangen wissen. Die Arbeiten gehen dann im kriminellen | |
Milieu von Hand zu Hand, bis sich ihre Spur ganz verliert. Dass man mit | |
ihrer bewussten Vernichtung rechnen muss, zeigt die Festnahme von Vrejan | |
Tomic und seinen Komplizen, einem Antiquar sowie einem Experten für alte | |
Uhren, im letzten Jahr. | |
Der Raub im Pariser Palais de Tokyo hatte am 20. Mai 2010 für weltweite | |
Schlagzeilen gesorgt. Tomic war angeheuert worden, ein Werk des Kubisten | |
Fernand Léger aus dem Musée d’art moderne de la Ville de Paris zu besorgen. | |
Als er dann bei seinem nächtlichen Einbruch bemerkte, wie einfach sich der | |
Diebstahl gestaltete, nahm er gleich noch einen Braque, einen Modigliani, | |
einen Picasso und „La Pastorale“ von Henri Matisse mit. Kunstwerke im Wert | |
von insgesamt rund 100 Millionen Euro, die – obwohl sie offenkundig Paris | |
nie verlassen haben – bis heute nicht gefunden wurden. Auch hier steht die | |
Behauptung im Raum, sie seien in der Müllverbrennungsanlage gelandet. | |
Während die Überforderung auf Seiten der Eigentümer, etwas ganz und gar | |
Einzigartiges und Unwiederbringliches zu besitzen, oft in | |
Sicherheitsvorkehrungen deutlich wird, die in groteskem Missverhältnis zum | |
Wert der Sammlung stehen, zeigt sich diese Überforderung auch auf Seiten | |
der Diebe im paradoxen Umgang mit den Kostbarkeiten. Der Wunsch, das | |
Diebesgut möglichst profitabel wieder zu veräußern, gerne auch an den | |
ursprünglichen Besitzer, wenn er zu zahlen bereit ist, kulminiert bei | |
schleppendem Fortgang in einer geradezu hysterischen Furcht, das Zeug nicht | |
rechtzeitig loszuwerden. | |
Die kuriose Tatsache, dass bestimmte Sammlungen oder Kunstwerke immer | |
wieder geraubt werden, hat bislang noch kein Film aufgegriffen. So wurde | |
bis heute schon vier Mal versucht, die Beit Collection in Irland mit | |
Kunstwerken von Goya, Vermeer, Rubens und Gainsborough auszurauben. 1974 | |
überfiel eine Gruppe der irischen Terrorgruppe IRA das Russborough House in | |
Blessington, Irland, und raubte 19 Gemälde. Dabei wurden die Familie Beit | |
und ihre Angestellten mit Pistolen bedroht und gefesselt – so viel zur | |
peniblen Planung eines Kunstraubs. Die Gruppe scheiterte mit dem Plan, zwei | |
IRA-Mitglieder aus der Haft freizupressen. Wenige Wochen später wurden die | |
Gemälde glücklicherweise wieder aufgefunden. | |
## Pfand für Heroin | |
1986 stattete dann Martin Cahill dem Haus einen Besuch ab. Der Überfall des | |
legendären Dubliner Kriminellen gilt als einer der größten Kunstraube der | |
Geschichte. Er erbeutete mit seiner Bande 18 Gemälde im Wert von 30 | |
Millionen Irischen Pfund. Auch hier wurden die Bilder bis auf zwei Gemälde | |
wiedergefunden. Ein Frauenporträt von Gabriel Metsu fand sich in Istanbul, | |
wo es interessanterweise als Sicherheit für eine Schiffsladung Heroin | |
hinterlegt worden war. 2001 und 2002 wurden in Russborough House, wo sich | |
ein Teil der Beit-Sammlung befand, zwei beziehungsweise fünf weitere | |
Gemälde, darunter zwei Rubens, gestohlen. Inzwischen wurde die Sammlung | |
nach Dublin verlegt, wo sie bislang unbehelligt blieb. | |
Den größten Kunstraub der US-amerikanischen Geschichte verübten zwei | |
vermeintliche Polizisten 1990, die nach der offiziellen Öffnungszeit | |
Einlass in das Isabella Stewart Gardner Museum in Boston erhielten. Dieses | |
Jahr im März, nach 23 Jahren, konnte das FBI zwei Männer aus dem Umfeld des | |
Bostoner Mafioso David Turner als die Diebe identifizieren. Die dreizehn | |
gestohlenen Gemälde, darunter ein Vermeer, drei Rembrandts, ein Manet und | |
ein Degas, im Gesamtwert von heute 500 Millionen Dollar sind allerdings | |
noch immer verschollen. | |
Das große Problem der Kunstdiebe ist es, einen Käufer für ihre heiße Ware | |
zu finden. Meist läuft es auf Erpressung hinaus. Statt Menschen werden | |
Kunstwerke gekidnappt, in der Hoffnung, die Eigentümer oder die | |
Versicherung kaufen die Bilder wieder zurück. | |
Auch in Bukarest wird mit erpresserischen Mitteln gearbeitet. Nach Angaben | |
des Anwalts des Hauptverdächtigen Radu Dogaru will sein Mandant fünf der | |
sieben Gemälde zurückzugeben, wenn ihm der Prozess in den Niederlanden | |
gemacht wird. Der Hintergrund: Dogaru wird in seiner Heimat wegen Mordes | |
und Menschenhandels gesucht. | |
Das Mitte August in Bukarest begonnene Verfahren gegen die insgesamt sechs | |
Angeklagten wurde kurz nach dem Beginn vertagt und wird nun am 10. | |
September fortgesetzt. Den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung des | |
aktuell verhandelten Falls lieferte eine rumänische Kunstexpertin. Der | |
Kuratorin Mariana Dragu vom Nationalen Kunstmuseum in Bukarest wurden einen | |
Monat nach dem Raub zwei der gestohlenen Bilder zur Begutachtung vorgelegt, | |
worauf sie die Staatsanwaltschaft informierte. | |
10 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tagesschau.de/ausland/kunstraub104.html | |
[2] /Mutter-verbrennt-Meisterwerke/!120195/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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