| # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Verlust der Schutzzone | |
| > Seit den 70ern gibt es eine kollektive Arbeit an der Unterscheidung | |
| > geheim/publik. Das Veröffentlichen von Privatem ist ein Befreiungsakt. | |
| Bild: Die Kommunikation auf „privatsphärenfreundlich“ umstellen? Unwahrsch… | |
| Wieso verschlüsseln nicht längst alle ihre E-Mails? Mittlerweile ist das | |
| Staunen über Edward Snowdens Enthüllungen genauso groß wie das Staunen über | |
| unsere Reaktion darauf: Die Empörung über den Zugriff auf alle unsere Daten | |
| bleibt überschaubar. | |
| Aber vielleicht wird ja 2014 das Jahr der Verschlüsselung, wie der Chaos | |
| Computer Club meint, vielleicht verbreiten sich ja all die Programme, die | |
| es dem Einzelnen erlauben – wie unbedarft auch immer er dem Internet | |
| gegenübersteht –, seine Kommunikation auf „privatsphärenfreundlich“ | |
| umzustellen. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. | |
| Nicht aus technischen Gründen (man kann davon ausgehen, dass die Marktlücke | |
| „idiotensicheres Verschlüsseln“ sehr schnell geschlossen wird), nicht mal | |
| aus politischen Gründen: Denn selbst wenn diese Probleme gelöst werden | |
| könnten, gäbe es immer noch ein riesiges Hindernis, das dem fröhlichen | |
| Verschlüsseln entgegenstünde. | |
| Seit den 70er Jahren gibt es eine kollektive Arbeit an der Unterscheidung | |
| geheim/publik. Das öffentliche Bekenntnis wurde umcodiert, das Publikmachen | |
| von Privatem hat sich von einem Skandal in einen Befreiungsakt verwandelt. | |
| Wie sonst hätte etwa das sehr öffentliche Coming-out eines homosexuellen | |
| Fußballers solche Reaktionen ausgelöst? Bis ins Bundeskanzleramt wurde ihm | |
| Respekt gezollt, sein Mut gelobt – für etwas, wofür er vor gar nicht so | |
| langer Zeit nur Schimpf und Schande geerntet hätte (wie der Film „Liberace“ | |
| erst unlängst in Erinnerung gerufen hat). | |
| ## Pädagogisches Ziel: Sei der, der du bist | |
| Wenn wir also so ein Coming-out gut finden, dann ging dem eine massive | |
| kulturelle Umwälzung voran. Jahrelang wurde – im Mainstream, nicht als | |
| Nischenprogramm – eine Kultur aufgebaut, die sagt: Sei der, der du bist! | |
| Bekenne dich zu dir! Mache dein Innerstes öffentlich. All die Legionen | |
| amerikanischer Filme, wo das „Ich stehe zu mir“ zum neuen pädagogischen | |
| Ziel, zum Höhepunkt jeder Entwicklungsgeschichte wird! Das öffentliche | |
| Bekennen ist wichtiger geworden als Normierung und Anpassung. | |
| Es war ein langer Weg bis dahin. Natürlich wurde auch vorher über das | |
| Geheime geredet. Es war nicht geheim, weil nicht darüber geredet wurde, | |
| sondern weil nur im geschützten Raum darüber geredet wurde – im | |
| Beichtstuhl, auf der Couch des Analytikers (noch ein profitables | |
| Bettgeflüster nannte das Foucault). Es war ein langer Weg vom geschützten | |
| zum öffentlichen Sprechen. Und dabei kam es zu einer Verkehrung: Das | |
| Sprechen wurde wichtiger als das, was gesagt wurde. Das Sichtbarmachen | |
| wurde wichtiger als das, was gezeigt wurde. | |
| Wenn heute so viele Hitzelsperger zujubeln, dann nicht, weil sie Schwulsein | |
| toll finden. Sie jubeln, weil das Going Public heute als Königsweg der | |
| individuellen Emanzipation gilt. Denn öffentlich Bekennen bedeutet, | |
| öffentlich zu sich zu stehen (auch wenn nicht ganz klar ist, als wer man da | |
| zu wem steht). Und diese Art des Selbstbewusstseins ist die höchste Stufe | |
| von Gesellschaftlichkeit, die wir heute zu bieten haben. Hier wartet die | |
| Erlösung in Form von gesellschaftlicher Anerkennung. | |
| Aber um auf diese Stufe zu gelangen, muss man das Versteck verlassen und | |
| sich im ungeschützten Raum den Blicken preisgeben, man muss die Scham | |
| überwinden – erst dann winkt das Glück des Bekennens. Das ist das Ergebnis | |
| der langen kulturellen Umwälzung. | |
| ## Umcodierung verinnerlicht | |
| Im Beifall fürs Outing zeigt sich, wir haben die Umcodierung verinnerlicht. | |
| Das wurde jahrzehntelang in einer schwierigen Praxis eingeübt. Und jetzt | |
| sollen wir unsere Botschaften wieder verschlüsseln? Gerade haben wir erst | |
| mühsam gelernt, dass Offenheit gut und Heimlichkeit schlecht ist – und da | |
| sollen wir zurück ins Geheimnis? Da sollen wir uns in den geschützten Raum | |
| der verschlüsselten E-Mails einsperren? | |
| Es geht nicht darum, das Ausspionieren durch Beschleunigen, die NSA durch | |
| Post Privacy zu überholen. Aber man muss verstehen, dass das Hindernis, das | |
| der umfassenden Verschlüsselung unserer Kommunikation im Wege steht, nicht | |
| nur ein technisches, nicht nur ein politisches Hindernis ist. Es ist auch | |
| und vor allem ein zutiefst verankertes kulturelles Hindernis. | |
| 1 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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