| # taz.de -- Autobiografie Kunstfälscher Beltracchi: Geknatter vom alten Meister | |
| > Wolfgang Beltracchi ist Fälscher und hat ein Buch über sich geschrieben: | |
| > „Selbstporträt“ offenbart die unangenehmen Seiten seines machohaften | |
| > Hippietums. | |
| Bild: Ein großer Fan seiner selbst: Wolfgang Beltracchi. | |
| Im Englischen gibt es eine schöne Beschreibung für Menschen, die in einem | |
| derartigen Ausmaß von sich überzeugt sind, dass sie anderen damit auf die | |
| Nerven gehen. Jemand ist „full of himself“. So ein Fall von „voll von sich | |
| selbst“ ist auch Wolfgang Beltracchi (geboren 1951 als Wolfgang Fischer). | |
| Der Maler hat über vier Jahrzehnte Kunstwerke gefälscht – nach eigenen | |
| Angaben um die 300 –, vor allem solche der klassischen Moderne. Im August | |
| 2008 wurde er wegen bandenmäßigen Betrugs verhaftet. | |
| Die Staatsanwaltschaft Köln klagte ihn nur wegen des Fälschens von 14 | |
| Bildern an, 2011 wurde er zusammen mit seiner Helene und einem Helfer | |
| verurteilt. Beltracchi kassierte sechs Jahre, bereits nach dem Urteil kam | |
| er in Freigang. Jetzt hat er seine Memoiren veröffentlicht und zusätzlich | |
| den Briefwechsel mit seiner Frau im Gefängnis. Zudem hat der Sohn seines | |
| Anwalts einen Dokumentarfilm gedreht, in dem er sich als genialer Fälscher | |
| präsentiert. | |
| Die Autobiografie mit dem Titel „Selbstporträt“ hat es in die | |
| Bestseller-Liste des Spiegel geschafft. Erstaunlich, denn bei dem | |
| 600-Seiten-Wälzer handelt sich um die länglichen Erinnerungen eines | |
| unsympathischen Egoisten. Symptomatisch für Beltracchis Ego ist eine | |
| Anekdote, die er von einer Reise mit einem Freund nach Südfrankreich | |
| kolportiert. | |
| Die beiden logieren in einem Schlosshotel, wo ein „ferienjobbender | |
| zugedröhnter Student“ sie zum Freundschaftspreis unterm Dach einquartiert. | |
| Dort vergisst Beltracchis ebenfalls bedröhnter Kumpel, den Wasserhahn | |
| zuzudrehen, und setzt das Hotel unter Wasser. Deshalb machen sich die | |
| beiden aus dem Staub. Während der Kumpel sich sorgt, dass der Studienfreund | |
| Probleme bekäme, sagt Beltracchi nur: „Der Penner, den Job ist er auf jeden | |
| Fall los.“ | |
| ## Macho mit Harley | |
| Er verkörpert die unangenehme Seite des Hippietums der Kulturrevolutionäre | |
| der Sechziger, knattert mit einer Harley durch die Gegend, behandelt Frauen | |
| wie ein klassischer Macho und nimmt zu viele Drogen. | |
| Zum Fälschen kommt der Sohn eines Kirchenmalers schrittweise. Zunächst malt | |
| er Schlittschuhläufer in nordische Winterbilder, weil diese sich so besser | |
| verkaufen. Mit einem Schwager kauft er bei Antiquitätenhändlern Bilder und | |
| Leinwände auf. Von den alten Meistern arbeitet er sich langsam zur Moderne | |
| vor. | |
| Er legt sich eine Fachbibliothek zu, studiert fleißig die Werke der Maler, | |
| bevor er sie fälscht. Seine autodidaktisch erworbenen Kenntnisse in | |
| Kunstgeschichte sind beachtlich. Mittelsmänner und später seine Frau | |
| kümmern sich um Echtheitszertifikate, um Beltracchis Fälschungen teuer | |
| verkaufen zu können. Oft gelingt das, da viele Experten auf chemische | |
| Untersuchungen bei den Prüfungen verzichten. | |
| ## Ungezügelter Erwerbstrieb | |
| Kunsthändler und -käufer beschreibt Beltracchi als geldgierige Akteure, die | |
| vor lauter Profitstreben Falsches für echt halten. Gegen sie, so führt er | |
| aus, habe er rebelliert. Einen besonders ungezügelten Erwerbstrieb | |
| attestiert er dem renommierten Kunsthistoriker Werner Spies. Er habe bei | |
| sieben Fälschungen von ihm von Vermittlern und Käufern bis zu sechsstellige | |
| Provisionen kassiert und sie dafür in das Werksverzeichnis von Max Ernst | |
| aufgenommen. | |
| Das Geheime an seinem Treiben bereitet Beltracchi Freude. „Ich lachte in | |
| mich hinein“, schreibt er, „hatte ich doch heute Bilder im Wert von einer | |
| Million Mark gemalt.“ Worüber die Leserschaft seines Selbstporträts sich | |
| allerdings wundern sollte: Wie konnte ein derart genialer, | |
| perfektionistischer Fälscher jemals auffliegen? Doch Selbstkritik ist | |
| Beltracchis Sache nicht. Selbst die Produktion von primitiven Aufklebern | |
| des Galeristen Alfred Flechtheim, die schließlich zur Entdeckung etlicher | |
| Fälschungen führte, feiert er als cleveren Schachzug. | |
| Mit Hohn und Spott übergießt Beltracchi andere, zum Beispiel den | |
| Journalisten Stefan Koldehoff, der ein Bild, das angeblich von dem | |
| Spätkubisten André Lothe stammen soll, als „dynamische Darstellung“ | |
| beschrieb, ein anderes als „dilettantische Kopie“. Beltacchi hatte beide | |
| gemalt und sieht das Fehlurteil Koldehoffs als Beweis, dass „meine Gemälde | |
| von hoher Qualität sind und dass sie hervorragende Werke bleiben“. | |
| Beltracchi mokiert sich zwar über den nimmersatten Werner Spies und seine | |
| üppigen Provisionen oder er verdächtigt einen Partner, ihn betrogen zu | |
| haben, letztlich ist aber auch er nur hinter dem großen Geld her. Sein Ziel | |
| ist und bleibt es, mit wenig Arbeit in Saus und Braus zu leben; Milchkaffee | |
| trinken und aufs Meer schauen. Ein von seiner Kunst beseelter und | |
| besessener Maler ist etwas anderes. Ein guter Autobiograf ohnehin. | |
| 19 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Sontheimer | |
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