# taz.de -- Dokumentarfilmer Peter Sempel: Der Seelenverwandte | |
> Die wilden Künstler-Porträts des Hamburger Filmemachers Peter Sempel | |
> zeugen von Zuneigung und Vertrauen. | |
Bild: Mag Klassik und Punk: Der Filmemacher Peter Sempel. | |
BREMEN taz | Am liebsten bastelt er Postkarten. Zu sehen sind darauf | |
beispielsweise Nina Hagen, ein Bild von einer Kunstaktion von Jonathan | |
Meese, eine Kneipenszene mit Nick Cave und Blixa Bargeld oder ein | |
Kupferstich von Goya. Die Motive stammen alle aus Peter Sempels Filmen, aus | |
denen er sie mit der Schere und im Copyshop extrahiert. | |
Sempels Filme wirken ganz ähnlich wie diese kleinen Filmposter. Denn nichts | |
scheint ihm wichtiger zu sein, als seine Protagonisten in den Filmporträts | |
gut aussehen zu lassen. Weil er sie liebt, gelingt ihm dies auch immer | |
wieder. Und weil sie seine Zuneigung spüren, vertrauen sie ihm und lassen | |
es zu, dass er mit seiner Kamera erstaunliche Momenten mit ihnen einfängt. | |
Dabei kümmert es ihn herzlich wenig, ob die Zuschauer immer genau wissen, | |
was oder wen sie da gerade auf der Leinwand sehen. In der ersten | |
Einstellung seines neusten Films „Jonas in the Jungle“ liest etwa der Sohn | |
des litauischen Regisseurs Jonas Mekas Sebastian an einem Fenster stehend | |
ein paar Zeilen aus Dantes Inferno vor – auf Italienisch und ohne | |
Untertitel. | |
Sempel begann Filme zu machen, weil er Bilder zu all der Musik machen | |
wollte, die ihn begeistert. In seinen Filmen kann man immer wieder etwas | |
von Verdi, Bach, Mozart und Schubert hören, aber die interessanteren | |
Menschen machten andere Musik, nämlich: Punk. | |
Die Protagonisten: Blixa Bargeld, Campino, Nick Cave | |
So waren 1988 die Protagonisten in seiner ersten großen, 93-minütigen | |
Dokumentation „Dandy“ die Musiker Blixa Bargeld, Campino, Nick Cave, Nina | |
Hagen und in ein paar besonders merkwürdigen Szenen Dieter Meier von Yello. | |
Heute fällt auf, wie gut hier das Lebensgefühl und die Musik dieser Zeit | |
getroffen sind. | |
Vor allem ist „Dandy“ aber die Urzelle von Sempels Filmkarriere, denn durch | |
den Film wurden Freundschaften geknüpft, die dann zu weiteren Filmprojekten | |
führten. So machte Sempel elf Jahre später das Nina-Hagen-Porträt „Punk & | |
Glory“. Einer der Musiker, mit denen Hagen damals spielte, war der | |
Motörhead-Bassist und Sänger Lemmy Kilmister – mit ihm drehte Sempel 2002 | |
das Porträt „Lemmy“. Dieser Film ist ihm besonders wichtig, weil für ihn | |
keine andere Band so deutlich gegen die Scheinheiligkeit anrennt wie | |
Motörhead. | |
Den Regisseur und Kurator Jonas Mekas lernte Sempel kennen, weil dieser der | |
einzige war, der in New York in seinem Kino den Film „Dandy“ zeigte. Daraus | |
entwickelte sich eine enge Freundschaft und 1994 drehte Sempel mit „Jonas | |
in the Desert“ den ersten Teil seiner „Jonas“-Trilogie. Der wild | |
assoziative Stil von Sempel eignete sich ideal für ein Porträt des damals | |
schon über 70 Jahre alten „Paten des amerikanischen Avantgardefilms“ und | |
mit Gastauftritten von Andy Warhol, Yoko Ono, Al Pacino, Martin Scorsese, | |
Kenneth Anger, Nick Cave und Blixa Bargeld ist die Prominentendichte des | |
Films enorm. | |
Treffen zweier seelenverwandter Künstler | |
Vor allem aber haben sich hier vor und hinter der Kamera zwei | |
seelenverwandte Künstler getroffen. So wurde „Jonas in the Desert“ nicht | |
nur Sempels bekanntester und angesehenster Film, sondern die beiden machten | |
im Abstand von jeweils zehn Jahren mit „Jonas At the Ocean“ und „Jonas in | |
the Jungle“ zwei weitere Filme. | |
Im neuesten ist der inzwischen 92-jährige Mekas ein heiterer Weiser | |
geworden, der sich für die Occupy-Bewegung einsetzt, Retrospektiven in Köln | |
und Paris besucht, und sich in seiner Heimat Litauen an seine Flucht vor | |
den Russen erinnert. Auch hier taucht kurz Martin Scorsese auf. Aber viel | |
wirkungsvoller sind die Sequenzen, in denen Mekas einfach nur in seiner | |
Küche sitzt und dort etwa den Traum von einem durch Urwaldtiere bevölkerten | |
Manhattan erzählt – wozu dann all die Aufnahmen von Zootieren passen. In | |
der berührendsten Szene des Films betrinkt sich Mekas mit einem Freund aus | |
Litauen und singt dann mit ihm die Nationalhymne seines Heimatlandes. | |
Peter Sempel ist in Altona geboren, zog aber als Kind mit seinen Eltern | |
nach Australien, wo er von den anderen Kindern als „Nazischwein“ beschimpft | |
wurde. Als Zwölfjähriger kehrte er zurück nach Hamburg und wurde hier dann | |
prompt als „Känguru“ gehänselt. Kein Wunder, dass die Protagonisten seiner | |
Filme immer Außenseiter sind und dass er sich ihnen mit solch einer | |
zärtlichen Solidarität nähert. | |
Sempel drehte in Ägypten, Indien, Japan | |
Kein Wunder auch, dass er in seinen Filmen gerne das ihm Fremde sucht. So | |
lernte er erst beim Drehen des Films „Just Visiting this Planet“ den | |
japanischen Tänzer Kazuo Ohno und dessen Butoh-Tanztheater kennen. Und mit | |
„Flamenco Mi Vida“ hat er 2007 aus reiner Neugierde einen Film über den | |
spanischen Volkstanz gedreht, für den er TänzerInnen nicht nur in | |
Andalusien, sondern auch in Ägypten, Indien und Japan filmte. | |
Mit „Die Ameise der Kunst“ hat Sempel zwar einen für ihn ganz typischen | |
Film gemacht, dessen Montage eher musikalischen als dramaturgischen | |
Prinzipien folgt. Weil seine Protagonisten hier bildende Künstler wie | |
Jonathan Meese und Daniel Richter sind, wird der Film seit einiger Zeit | |
auch in Tempeln der Hochkultur wie dem Centre Pompidou in Paris und der | |
Berliner Volksbühne gezeigt. | |
Dass seine Filme nun auch in der Hamburger Kunsthalle zu sehen sind, ist | |
für ihn „wie ein kleiner Oscar“: Als Zwölfjähriger hatte Sempel, frisch … | |
Australien zurückgekehrt, angesichts der geballten Schönheit in der | |
Kunsthalle ein Erweckungserlebnis. Auch darum macht er heute aus seinen | |
Filmen auch Postkarten. | |
## „Jonas in the Jungle“: 27. März, City 46, Bremen; 6. April, Koki im | |
Künstlerhaus, Hannover; der Künstler ist jeweils anwesend | |
## „Die Ameise der Kunst“: 12. April, Kunsthalle, Hamburg | |
12 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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