# taz.de -- Regisseur Peter Sempel über Künstler-Dokus: „Ich filme, was ich… | |
> Seit 33 Jahren dreht der Hamburger Independent-Filmemacher Peter Sempel | |
> seine eigenwilligen Musik-Psycho-Dokumentationen. Die Musik ist für ihn | |
> dabei genauso wichtig, wie die Menschen es sind. | |
Bild: Peter Sempel vor einem Foto von Jonas Mekas. Mit dem "Paten des US-amerik… | |
taz: Herr Sempel, was interessiert Sie an so unterschiedlichen Menschen wie | |
Blixa Bargeld, Nick Cave, Nina Hagen, Allen Ginsberg oder Jonathan Meese? | |
Peter Sempel: Alle Filme, die ich mache, sind so eine Abenteuerfahrt in ein | |
Thema, das ich faszinierend finde, von dem ich aber nicht viel weiß. Wenn | |
ich es vorher weiß, muss ich es nicht filmen. Ich habe ein Thema, an dem | |
arbeite ich zwei Jahre, und dann weiß ich ein bisschen was. Man kommt der | |
Sache näher. Das läuft vieles unbewusst, meine Filme tragen viel | |
Unbewusstes mit sich. Ich filme Sachen, die ich nicht verstehen kann, aber | |
ich weiß: Sie sind da. Es sind die Sachen, die ich nicht erklären kann, die | |
mich beschäftigen. | |
In Ihren Filmen treffen jede Menge prominente Künstler aufeinander. Wie | |
viel Plan steckt dahinter? | |
Man unterstellt mir oft, dass ich den Leuten hinterherlaufe, aber der | |
Einzige, den ich jemals gefragt habe, ob ich ihn filmen kann, war Blixa | |
Bargeld. Der fragte dann, als wir 1988 „Dandy“, meinen Klassiker, drehten: | |
Kann Nick Cave auch mitmachen? Das hat sich dann so entwickelt: Nina Hagen | |
war zu Gast in „Dandy“ und hat mich gefragt, ob ich einen Film über sie | |
machen kann. Lemmy Kilmister war zu Gast in dem Nina-Hagen-Film, Jonas | |
Mekas war Gast im Kazuo-Ohno-Film. Ich habe die nie gefragt. Ich mische | |
gern, Bekannte und Unbekannte, warum sollte ich die Bekannten weglassen? Es | |
sind so tolle Leute, da kann ich nicht Nein sagen. Aber ich habe nie | |
jemanden gefilmt, der nur berühmt war, aber nichts konnte. Das gibt es ja | |
auch oft genug. | |
Sie haben mit dem Filmen begonnen, weil Sie begeistert waren von Musik, von | |
den Einstürzenden Neubauten oder der Punkband Abwärts. Ist Musik noch immer | |
das Herz Ihrer Leidenschaft für den Film? | |
Ganz klar. Ich ging immer ins Kino, in die Oper und ins Punkkonzert. Das | |
waren drei Hobbys und ich habe die im Kino nie zusammengesehen. Aber Bilder | |
zwingen sich auf bei der Musik. | |
Ihre Filme wirken oft wie Musik komponiert, Sie schneiden sehr assoziativ. | |
Man wirft Ihnen deshalb manchmal vor, Geschichten abzubrechen, wenn sie | |
interessant werden. | |
Du hast ein Thema und musst dem aus allen möglichen und unmöglichen | |
Blickwinkeln nahe kommen, auch beim Schnitt. Ich habe oft einen Profi, | |
einen Cutter bei mir, der protestiert: Das kann man nicht so schneiden, das | |
geht nicht – obwohl die mich kennen. Nachher sehen sie: geht ja doch. | |
Gerade beim Schnitt musst du Sachen versuchen, wo du sagt: Das hat gar | |
keinen Sinn. Bazon Brock, dem schneide ich mitten ins Wort, das macht kein | |
Cutter. Aber das Leben besteht nicht nur aus langen Geschichten, sondern | |
aus kleinen Fetzen oder kleinen und großen Kreisen. Es ist doch eine große | |
Collage, das Leben. Und jeder Moment ist eine Geschichte. | |
Ihre Filme sind keine klassischen Biografien. Sie nennen sie | |
„dokumentarische Musikpsychofilme“. | |
Ich interessiere mich nicht nur für den Menschen beziehungsweise den | |
Künstler, sondern für den Tanz oder die Musik, die er vertritt. Das sind | |
nun mal die Größten dieser Musikrichtungen: Underground, Pop-Rock, | |
Heavy-Rock, Flamenco, jedes Mal eine andere Welt der Musik. Jetzt bin ich | |
gerade mitten im Schnitt: Peter Brötzmann, Free-Jazz. Und ich hoffe, | |
demnächst einen Film in die Klassikwelt hinein zu machen. Es sind keine | |
klassischen Dokumentationen, aber man lernt jeden kennen in seiner Welt, | |
seiner Umwelt und seiner Innenwelt. Es kommt auf den Zuschauer an, was er | |
sieht. Ich erkläre nichts, es geht eher um Emotion als um Verstand. | |
Wie kann man Emotionen von Menschen filmisch einfangen? | |
Man zeigt, wie sie sich bewegen und wie sie machen. Wenn der Kazuo Ohno in | |
New York auf dem Dach tanzt, dann guckst du und staunst und weißt gar | |
nicht, was das bedeutet. Aber es ist faszinierend. Bei vielen dieser Leute | |
staunst du und es gibt dir ein Gefühl des Seins, nehme ich an. | |
Zugleich wollen Sie mit Ihren Filmen auch Inhalte transportieren. Wie | |
gelingt das? | |
Wenn man zum Beispiel Kazuo Ohnos Tanz sieht: Der drückt eine Lebensfreude, | |
eine Dankbarkeit ans nackte Leben aus, das ist sein Inhalt. Nicht einfach | |
Unterhaltung, die ist dabei. Viele Zuschauer denken: Oh wie schön, wie | |
ästhetisch. Aber eigentlich geht es bei bei allen Künstlern um Dankbarkeit | |
ans nackte Leben. Wenn du dankbar bist, protestierst du auch gegen die | |
Ungerechtigkeiten in der Welt. | |
Retrospektive: Mi, 9.7., bis Fr, 25.7., Hamburg, Metropolis | |
4 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Film | |
Hamburg | |
Retrospektive | |
Film | |
Konzert | |
Dokumentarfilm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Peter Sempel über sein Leben: „Protest gegen die normale Welt“ | |
Hamburgs Punkrock-Filmemacher Peter Sempel macht seit über 40 Jahren wilde | |
Filme über wilde KünstlerInnen. Am Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag. | |
Konzert der Einstürzenden Neubauten: Ketten auf Stahl | |
Die Einstürzenden Neubauten stellen in Berlin „Lament“ vor: ein | |
Konzeptalbum zum Ersten Weltkrieg – mit ächzendem Getöse und | |
Friedensliedern. | |
Dokumentarfilmer Peter Sempel: Der Seelenverwandte | |
Die wilden Künstler-Porträts des Hamburger Filmemachers Peter Sempel zeugen | |
von Zuneigung und Vertrauen. |