| # taz.de -- Peter Sempel über sein Leben: „Protest gegen die normale Welt“ | |
| > Hamburgs Punkrock-Filmemacher Peter Sempel macht seit über 40 Jahren | |
| > wilde Filme über wilde KünstlerInnen. Am Sonntag feiert er seinen 70. | |
| > Geburtstag. | |
| Bild: Immer wieder Filme über Außenseiter gemacht, weil er selbst erfahren ha… | |
| taz: Peter Sempel, Glückwunsch zum Geburtstag! Sie machen seit über 40 | |
| Jahren wilde Filme über wilde KünstlerInnen. Wie kam es dazu? | |
| Peter Sempel: Ich bin in Hamburg geboren, als Baby mit meinen Eltern nach | |
| Australien ausgewandert und als Zwölfjähriger mit dem Schiff wieder | |
| zurückgekommen. In Australien wurde ich als Nazischwein beschimpft; obwohl | |
| ich als kleiner Junge nicht verstand, was Nazis sind, konnte das nicht gut | |
| sein. Zurück in Hamburg wurde ich dann als „Känguru“ ausgelacht. So war i… | |
| immer ein Außenseiter – das kann der Grund dafür sein, dass meine 14 | |
| Langfilme immer Außenseiter zeigen, beobachten und bewundern. Als eine Art | |
| Protest … gegen die normale Welt. | |
| Leute wie Nick Cave, Blixa Bargeld, Nina Hagen, Lemmy Kilmister, Allen | |
| Ginsberg, Patti Smith, Jonas Mekas, der Freejazzer Peter Brötzmann oder | |
| Dieter Meier von der Band Yello – die Promi-Dichte bei Ihren Filmen ist | |
| beachtlich. | |
| Viele Leute glauben, ich laufe den berühmten Leuten hinterher. Aber nee, | |
| das hat sich immer so ergeben. Lemmy, zum Beispiel … | |
| … Bassist und Reibeisenstimme der Band Motörhead … | |
| … lernte ich über Nina Hagen kennen: Er meinte, ich solle ihn filmen. | |
| Zuerst wollte ich gar nicht. Ich war unsicher, weil er doch so groß war, | |
| ein Star. Aber nachher lobte er den Film: schriftlich, auf Papier, per | |
| Hand. Für mich wie ein echter Oscar! | |
| Und wie war das mit [1][Nina Hagen]? | |
| In meinem Leben habe ich nur eine Person gezielt gefragt, bei einem Film | |
| mitzumachen, und das war [2][Blixa Bargeld]. | |
| Von Einstürzende Neubauten, unter anderem. | |
| Ich glaube, ihn beeindruckt zu haben beim Würfeln um Drinks: Ich gewann | |
| fast immer, Screwdrivers. Und er schlug [3][Nick Cave] vor, der beim ersten | |
| Dreh mit Blixa in der Berliner Bar „Clip“, Yorkstraße, würfelte: zehn | |
| Minuten lang, eine ganze Kodak-16-mm-Negativrolle. Nina Hagen sah uns | |
| später am Tempodrom drehen und meinte, sie würde auch gerne … und sie | |
| brachte gleich noch Lene Lovich mit. Das war wie ein Schneeballsystem. | |
| Interessant, weil der Zufall immer auch Thema war. | |
| Eine Konstante in Ihrem Schaffen ist die Musik. | |
| Mein Hobby war, am selben Abend in die Staatsoper zu gehen – und zu | |
| Punk-Konzerten. Letztlich werden da doch die gleichen Geschichten erzählt, | |
| nur in anderer Form. Und im Kino erlebte ich selten die Musik, die ich | |
| mochte – obwohl sie wunderbar zu Bildern passt, nicht nur als | |
| „Bestätigungskunst“, sondern als Befreiung. So ging es 1981 los: kleine | |
| Kurzfilme auf Super 8, wie Collagen, die ich in Cafés, Kneipen und | |
| Kulturzentren aufführte. Ich bin auf Tour gegangen damit, Rekord waren 48 | |
| Städte in 50 Tagen. | |
| Der erste Eintrag in Ihrer offiziellen Filmografie hat den schönen Titel | |
| „Blitze im Eierbecher“. Was kann man sich darunter vorstellen? | |
| Das war eine Musik-Dia-Show mit Bildern aus New York, Tokyo, Lübeck, São | |
| Paulo, Cuxhaven, Marokko, der Hamburger Mönckebergstraße oder dem | |
| Schwarzwald … sehr schnell hintereinander geschnitten, dazu Musik von David | |
| Bowie, DAF, Neubauten, Heino, aber auch Verdi, Bach, Maria Callas. Von | |
| Urheberrechten wusste ich nichts, heute ginge so was nicht. | |
| Und wie kam das Debüt an? | |
| Das Publikum war schon nach den ersten 13 Minuten erledigt. Es gab sogar | |
| Punks, die rausgingen, weil es ihnen too much war. Ach ja: Eigene Gedichte | |
| hab ich auch vorgetragen, eigene Performances. Zum Beispiel den Satz: „Die | |
| meisten Menschen sind festgefahren“, zehn bis 20 Minuten lang, wie ein | |
| Automat. Mein Rekord waren 90 Minuten – sehr anstrengend. Von 100 | |
| Zuschauern wollten zwölf nicht gehen. | |
| Da war also schon im Kern enthalten, was Ihre späteren Filme ausmacht. | |
| In der taz stand damals ein wunderbarer Artikel, eine ganze Seite von | |
| Bartholomäus Grill. Titel: „Nur der Fremde ist in der Fremde fremd“. | |
| Den hat er aber von [4][Karl Valentin] geklaut! | |
| Das wusste ich gar nicht. Aber umso besser – Karl Valentin ist einer meiner | |
| Helden. | |
| Der Mensch, dem Sie insgesamt gleich vier Filme gewidmet haben, war kein | |
| Musiker, sondern der New Yorker Filmemacher und -kurator [5][Jonas Mekas]. | |
| Wie kam es dazu? | |
| Ich war 1988 nach New York gereist, um da meinen Film „Dandy“ zu zeigen. | |
| Weil ich meinte, dass der mit seiner Overdrive-Mischung aus Klassik und | |
| Underground bestens nach New York passen würde. Aber kein Kino wollte ihn | |
| ins Programm nehmen. Zuletzt habe ich es dann eben bei Jonas Mekas’ | |
| „Anthology Film Archives“ versucht, und der meinte, es sei zwar kein | |
| Meisterwerk, aber er spüre viel Schmerz und Humor darin. Mekas hat „Dandy“ | |
| dann lange bei sich gezeigt, es war ein großer Erfolg. Wir wurden gute | |
| Freunde und einmal sagte er wie nebenbei: „Mach’ doch mal einen Film über | |
| mich!“ | |
| Was Sie taten. | |
| Viele haben mir davon abgeraten, weil er schon ein alter Mann war,. Aber | |
| ich hab’s gemacht, weil er mich gefragt hat, und dann war es schön zu | |
| beobachten, dass er noch gewachsen ist, zu einer Ikone wurde. So machte ich | |
| dann alle zehn Jahre einen weiteren Film über ihn und seine faszinierende | |
| Welt. | |
| So wie Ihre Filme die Grenzen zwischen Hoch- und Popularkultur sprengen, | |
| werden sie auch an sehr unterschiedlichen Orten gezeigt: in der Hamburger | |
| Kunsthalle, dem Pariser Centre Pompidou – oder an Bushaltestellen. | |
| Kokettierend könnte man sagen, es ist wie ein Abrutschen. Weil meine Filme | |
| nicht mehr soviel in Kinos, sondern in Kunsthäusern und Museen gezeigt | |
| werden. | |
| Umso schöner, dass Ihr Geburtstag nun in zwei Hamburger Kinos gefeiert | |
| wird, oder? | |
| Wie gesagt: Im Metropolis lief einst mein allererster Film auf einer großen | |
| Leinwand, das war wie eine Geburt. Jetzt zeige ich zwei. Und dazu noch, im | |
| Abaton, meinen Film über Dieter Meier von Yello, oh yeah! Ich bin allen | |
| Kinos und allen Zuschauerinnen und Zuschauern dankbar … und den | |
| VorführerInnen! Was wären wir ohne Kino? | |
| 23 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ich-bin-eine-Kosmopolitikerin/!635976/ | |
| [2] /Kolumne-Durch-die-Nacht/!5461576 | |
| [3] /Kinotipp-der-Woche/!5968490 | |
| [4] /75-Todestag-von-Komiker-Karl-Valentin/!5913224 | |
| [5] /Filmischer-Poet-Jonas-Mekas/!5849732 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
| ## TAGS | |
| Film | |
| Hamburg | |
| Filmemacher | |
| Musik | |
| Dokumentarfilm | |
| Feministische Kunst | |
| Deutscher Film | |
| Film | |
| Dokumentarfilm | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Porträtfilm „Artistas“: Ein filmischer Kniefall | |
| Fasziniert von Frauen in der Kunst: Seine jüngste Arbeit „Artistas“ widmet | |
| der Hamburger Indie-Filmemacher Peter Sempel 42 Künstlerinnen. | |
| Kieler Filmgruppe Chaos: Filmen ohne Rücksicht | |
| Die Kieler Filmgruppe Chaos lebt seit 1975 ästhetische Autonomie. Dafür | |
| trennt sie zwischen Kunst und Erwerbsarbeit und arbeitet unverdrossen | |
| analog. | |
| Regisseur Peter Sempel über Künstler-Dokus: „Ich filme, was ich nicht verst… | |
| Seit 33 Jahren dreht der Hamburger Independent-Filmemacher Peter Sempel | |
| seine eigenwilligen Musik-Psycho-Dokumentationen. Die Musik ist für ihn | |
| dabei genauso wichtig, wie die Menschen es sind. | |
| Dokumentarfilmer Peter Sempel: Der Seelenverwandte | |
| Die wilden Künstler-Porträts des Hamburger Filmemachers Peter Sempel zeugen | |
| von Zuneigung und Vertrauen. |