# taz.de -- Porträtband jüdische Intellektuelle: Begegnungen eines deutschen … | |
> Der Historiker Julius H. Schoeps stellt in seinem Band Weggefährten | |
> seines Lebens vor. Nicht immer geht er freundlich mit ihnen um. | |
Bild: Schrieb ein Buch über 20 intellektuelle Weggefährten: Autor Julius H. S… | |
Es ist eine Bilanz der besonderen Art. Der emeritierte Historiker Julius H. | |
Schoeps stellt mit „Begegnungen“ kleine und subjektive Porträts von | |
Menschen vor, die ihm im Lauf seines Lebens über den Weg gelaufen sind. | |
Manche dieser Begegnungen waren intensiv, andere blieben, wie der Autor | |
selbst einräumt, schemenhaft oder distanziert. Fast alle Vorgestellten aber | |
sind oder waren Menschen, die, wie der Autor selbst, um die Beziehung von | |
Deutschen und Juden rangen. | |
So sind in „Begegnungen“ nicht einfach 20 Biografien von Intellektuellen | |
aus dem 20. Jahrhundert versammelt. Die 20 stehen auch pars pro toto für | |
die Schwierigkeit von Juden, nach der Schoah in Deutschland oder eben nicht | |
in Deutschland zu leben, sich mit diesem Land zu beschäftigen oder nur zu | |
arrangieren, seinen Bewohnern zu vergeben oder nicht zu vergeben. | |
Fast alle haben sie vergeben, doch die Konsequenzen, die sie daraus gezogen | |
haben, waren höchst unterschiedlich. Manche sind zurückgekehrt, andere in | |
Israel oder in einem anderen Land geblieben. Noch unterschiedlicher aber | |
waren die Folgen, die sich aus dieser ganz persönlichen Konsequenz ergaben. | |
Da ist Philipp Auerbach, der Staatskommissar für rassisch, religiös und | |
politisch Verfolgte in Bayern nach dem Krieg, dem Schoeps als kleiner Junge | |
in seinem Elternhaus begegnete. Der Remigrant stieß mit seinen Forderungen | |
nach einer konsequenten Restitution auf wachsenden Widerstand. Seine | |
Festnahme und der Prozess wegen Betrugs waren begleitet von der wohl ersten | |
antisemitischen Kampagne nach 1945, die auch Schoeps' Vater, den aus dem | |
Exil zurückgekehrten Religionshistoriker, erfasste. Schoeps senior wehrte | |
sich mit einem offenen Brief an Bundespräsident Heuss. Auerbach aber, zu | |
zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nahm sich in der Haft das Leben. | |
## Nicht immer nur freundlich | |
Wenn Auerbach für das vollständige Scheitern des Versuchs steht, als Jude | |
in Deutschland nicht nur zu leben, sondern die Gesellschaft auch zu | |
verändern, dann repräsentiert Ernst J. Cramer das Gegenteil. Der hatte als | |
Einziger in seiner Familie die NS-Zeit überlebt und kehrte als US-Soldat | |
zurück. Auch Cramer entschied sich zum Bleiben, um, wie er selbst schrieb, | |
„ein wenig dabei mitzuhelfen, dass in Deutschland wieder Vernunft, Anstand | |
und Gerechtigkeit herrschen“. Der konservative Cramer machte später | |
Karriere als Journalist bei Axel Springer und sorgte mit dafür, dass in den | |
Konzernblättern Antisemitismus zum absoluten No-Go wurde – der reaktionäre | |
Kurs der Springer-Zeitungen steht auf einem anderen Blatt. | |
Nur eine kleine Minderheit der deutschsprachigen Juden verlangte es nach | |
1945 danach, wieder in die alte Heimat zurückzukehren. Zu denen, die in | |
Israel geblieben sind, zählte der Historiker Walter Grab, der in Tel Aviv | |
das Institut für deutsche Geschichte gründete. Grab blieb sein Leben lang, | |
ganz im Gegensatz zu Cramer, ein Linker. Uri Avnery dagegen, geboren als | |
Helmut Ostermann, musste erst vom Nationalismus konvertieren, bevor er zu | |
einem der wichtigsten Friedensaktivisten in Israel geworden ist, der den | |
Mut besaß, Kontakte zur PLO aufzunehmen, als das in Israel noch | |
unvorstellbar war. | |
Nicht immer geht Schoeps in seinen Erinnerungen nur freundlich mit den ihm | |
Begegneten um. Bisweilen sind seine Bemerkungen auch nicht frei von | |
Eitelkeit. Fast scheint es so, als würden da längst vergangen geglaubte | |
Kämpfe darüber ausgetragen, wer das deutsche Judentum angemessen zu | |
repräsentieren in der Lage ist. Ignatz Bubis, dem 1999 verstorbenen | |
Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, wirft Schoeps vor, | |
sein Bekenntnis zum deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens habe nicht | |
gestimmt, da er „sicher kein Jude (war), der sich den Werten und Normen des | |
einstigen deutschen Judentums verpflichtet gefühlt hat“. Schoeps verweist | |
auf Bubis’Lebenszeit in Polen, den osteuropäischen Akzent, die Ankunft in | |
Deutschland als eine von hunderttausenden Displaced Persons, seine | |
Geschäfte zu Beginn der 1950er Jahre. | |
Schoeps’Abneigung aber sagt mehr über den Autor als über den Porträtierten | |
aus. Hier schreibt ein stolzer deutscher Jude, der es überhaupt nicht | |
nachvollziehen kann, dass der verstorbene Bubis es vorzog, sich in Israel | |
begraben zu lassen, und der daraus den Schluss zieht, Bubis habe daran | |
gezweifelt, dass Deutschland ein Ort für Juden sei. Julius H. Schoeps ist, | |
so scheint es, ganz im Sinne seines Vaters eben auch ein preußischer Jude | |
geblieben. | |
17 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
europäische Juden | |
Politisches Buch | |
Holocaust | |
Antisemitismus | |
NS-Verfolgte | |
zionismus | |
Raubkunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ARD-Doku über deutschen Antisemitismus: Täter ohne Namen | |
Er ist da. Mal verdeckt, mal offen. Immer bedrohlich. In der Doku „Jude. | |
Deutscher. Ein Problem?“ fragt Uri Schneider nach Antisemitismus. | |
Band zu Entschädigung von NS-Opfern: Gib endlich Ruhe! | |
Nina Schulz und Elisabeth Mena Urbitsch schildern den Kampf von | |
NS-Verfolgten um Anerkennung und Entschädigung. | |
Kolumne Gott und die Welt: Der Drill der frühen Siedler | |
Die vom Historiker Julius Schoeps publizierte Studie „Der König von Madian“ | |
zeigt, dass alles Erhabene und Tragische im Lächerlichen wurzelt. | |
Deutsche Raubkunst: Licht ins Depot bringen | |
Wie viele von den Nazis geraubte Kunstwerke in Deutschland lagern, weiß | |
niemand. Nun soll eine Kommission das Problem lösen. |