# taz.de -- Gewerkschaftschef zur Energiereform: „Ich bin kein Klimakiller“ | |
> Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, sieht die Erderwärmung. | |
> Will aber weiter Kohle fördern, weil die Probleme woanders lägen. | |
Bild: Garzweiler 2013: Kohle aus der Landschaft, Strom ins Netz. | |
taz: Herr Vassiliadis, würden Sie einem 16-Jährigen heute dazu raten, eine | |
Ausbildung in der Braunkohle anzufangen? | |
Michael Vassiliadis: Unbedingt. Ob Elektroniker oder Maschinenführer, die | |
Ausbildung in vielen dort benötigten Berufen ist hervorragend. Die Leute | |
finden darum überall eine Stelle. | |
Die Steinkohle in Deutschland läuft 2018 aus. Wie lange geben Sie der | |
Braunkohle noch? | |
Deutsche Steinkohle ist teurer als die Konkurrenz vom Weltmarkt. Die | |
Braunkohle wird nicht subventioniert. Wenn man sie nicht politisch beendet, | |
hat sie zumindest wirtschaftlich eine gute Zukunft. | |
Müssten Sie dem 16-Jährigen nicht sagen: Mach Deine Ausbildung bei den | |
erneuerbaren Energien, die haben Zukunft und ruinieren nicht das Klima? | |
In die Windindustrie könnte er gehen, aber in der Solarbranche sind die | |
Jobs jetzt in China. Ich nehme den Klimawandel sehr ernst, aber deswegen | |
muss man nicht die Braunkohle holterdiepolter abschalten. Wir können mehr | |
für das Klima tun, wenn wir Energieeffizienz und Innovationen fördern. | |
Moderne Kraftwerke sparen zigtausend Tonnen CO2. Isolierung senkt radikal | |
den Wärmebedarf. Und wenn es der deutschen Forschung gelingt, mit | |
spezieller Tierpharmazie Methanausscheidungen von Kühen zu unterbinden, | |
wäre auch das hilfreich. Ansonsten ist Deutschland mit einem Anteil von | |
knapp 2,7 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß viel zu klein, um das Problem | |
zu lösen. | |
Und unser Anteil an der Weltbevölkerung liegt bei 1,1 Prozent. Aber wenn | |
Sie Innovation sagen, können Sie nicht ernsthaft an Braunkohle denken. | |
Die Braunkohle ist heute notwendig und verantwortbar. Wie lange, das muss | |
am Ende die Politik entscheiden. Aber das tut sie eben nicht, sondern sie | |
legt Ausbauziele für die Erneuerbaren fest, die weder technisch gesichert | |
noch finanziell vernünftig sind. Wir sollten in der Braunkohle bleiben, | |
solange wir sie brauchen, und beim Klimaschutz Verkehr und Gebäude nicht | |
aussparen. | |
Da wäre die IG BCE aus dem Schneider. Und: Ihre Einsparvorschläge sind | |
schwierig umzusetzen. | |
Was wäre denn besser? Das Aus für die Braunkohle zu beschließen, ohne dass | |
klar ist, wie wir dann eine sichere und bezahlbare Energieversorgung | |
garantieren? Selbst wenn die Erneuerbaren 60 bis 70 Prozent des Strommarkts | |
decken, bleibt eine Lücke, die zu schließen ist. Ganz davon abgesehen, dass | |
der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht ständig scheint. | |
Wenn wir heute neue Tagebaue wie Welzow II in Brandenburg beginnen, | |
schreiben wir die Braunkohle für die nächsten 40 Jahre fest. Wäre es nicht | |
ehrlicher, wenn Sie sagten: Wir lehnen die Klimaziele ab? | |
Ich bin weder Klimakiller noch Illusionist. Es gibt in der Energiewende | |
Zielkonflikte, denen man sich stellen muss. Meine Gewerkschaft weiß, was | |
struktureller Wandel bedeutet. Uns geht es um eine stabile industrielle | |
Basis und gute Lebenschancen für die Menschen. | |
Aber die Ziele sind ja nicht willkürlich. Der UN-Weltklimarat tagt gerade | |
in Berlin. Er sagt, wir dürfen bis 2050 nur noch 20 Prozent vom jetzigen | |
CO2-Ausstoß haben, um den Klimawandel in Grenzen zu halten. | |
Noch einmal: Wir müssen eine Balance finden zwischen wirtschaftlicher | |
Leistungsfähigkeit, sozialen Belangen und dem Klimaschutz. Unsere | |
Wirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems | |
liefern, aber dafür muss sie auch funktionieren. Ob wir das globale | |
2-Grad-Ziel erreichen oder verfehlen, das entscheidet sich nicht in | |
Deutschland. Wir sind schon Vorreiter, andere müssen folgen. | |
Sie tun so, als hätten Sie mit den Entscheidungen der Politik nichts zu | |
tun. Aber Sie sind einer der wichtigsten Akteure der deutschen | |
Energiepolitik. | |
Ich habe als Vorsitzender 2009 den Atomausstieg gefordert, in der | |
Ethikkommission habe ich die Energiewende unterstützt. Ich habe nie | |
Generalfront gemacht, aber ich bleibe kritisch. | |
Dann sind Sie jetzt mit der soeben beschlossenen Reform des | |
Erneuerbare-Energien-Gesetzes glücklich, weil sie den Umbau bremst? | |
Ich bin akut zufrieden, dass nicht viele gute Arbeitsplätze in der | |
Industrie verloren gehen, was ja drohte. Aber es ist unklar, wie es | |
weitergeht. Die Rede ist von einem EEG 3.0, ich weiß nicht, ob das eine | |
Drohung ist. | |
Sie klingen wie ein Arbeitgeber. Sollten Sie nicht eher beklagen, dass Ihre | |
660.000 Mitglieder als Stromkunden nicht entlastet werden? | |
Meine Mitglieder zahlen dreifach. Sie sind Stromkunden, in den Tarifrunden | |
drückt der teure Ökostrom auf den Verteilungsspielraum, hinzu kommt die | |
Sorge um den Arbeitsplatz. Für sie gibt es nicht nur eine Dimension. | |
Sie sind ein Vertreter des SPD-Kohleflügels. Wie mächtig ist der noch? | |
Den gibt es nicht! Aber sicher hat die SPD eine höhere Sensitivität für die | |
industrielle Basis unserer Wirtschaft. Im Kohleland Nordrhein-Westfalen | |
steht aber auch die größte Konzentration von Chemieanlagen in Europa. Wenn | |
da die Energie wackelt, dann geht es dem Land nicht gut. | |
Ist das der Grund, warum die SPD Energiepolitik als Industrie- und nicht | |
als Umweltpolitik begreift? | |
Die SPD versucht, unterschiedliche Ziele auszubalancieren. Das ist nicht | |
einfach, sondern durchaus konfliktreich. Genauso sind die Grünen bemüht, | |
ihre Politik wirtschaftskompatibler zu machen. | |
Aber Sie sind eines der größten Hindernisse für Rot-Grün. | |
Nein, wenn überhaupt, dann bin ich ein Garant für ein intelligentes | |
Rot-Grün. | |
Hat es deshalb nicht geklappt im Bund? | |
Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass es dafür keine Mehrheit gab. Fakt ist: | |
In vielen Fragen ziehen sich inzwischen die Gleichgesinnten in ihre eigenen | |
Clubs zurück. Ich suche nach Räumen, wo wir zur Sache reden können. Es ist | |
gefährlich, wenn wir etwa bei der Energiewende nur noch Überzeugungen | |
zulassen, die jeweiligen Vor- und Nachteile nicht mehr abwägen. | |
Ihre Lebensgefährtin Yasmin Fahimi kommt von der IG BCE und ist neue | |
Generalsekretärin der SPD. Wie nahe sind sich Partei und Gewerkschaften | |
wieder? | |
Das müssen Sie Sigmar Gabriel fragen, das war seine Entscheidung. Aber es | |
stimmt, SPD und Gewerkschaften sind dabei, einige Konflikte zu befrieden. | |
Die Korrektur der Rentenpolitik hat geholfen, auch der Mindestlohn. | |
Wie müssen wir uns das vorstellen: Legen Sie mit Frau Fahimi die Linie von | |
Gewerkschaft und Partei fest? | |
Quatsch, wir gehen mit unseren unterschiedlichen Aufgaben sehr | |
professionell um. | |
Sie reden mit Ihrer Partnerin nicht über Ihre Arbeit? | |
Wir nutzen unsere knappe gemeinsame Zeit für unser Privatleben. | |
12 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
Kai Schöneberg | |
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