# taz.de -- IEA-Chefin über Energiewende: „Deutschland ist kein Vorbild“ | |
> Die Chefin der Internationalen Energie-Agentur, Maria van der Hoeven, | |
> kritisiert die deutsche Energiewende. Ein schnelles Ende der | |
> Kohleförderung findet sie unrealistisch. | |
Bild: Produkte der Vergangenheit mit Zukunft: Steinkohlebriketts. | |
taz: Frau van der Hoeven, der UN-Klimarat IPCC fordert, bis 2050 müsse das | |
internationale Energiesystem ohne fossile Energieträger auskommen. Die | |
IEA-Daten dagegen sagen voraus, dass wir noch lange auf Kohle setzen | |
werden. Ist die IPCC-Forderung Wunschdenken? | |
Maria van der Hoeven: Was das IPCC vorgelegt hat, ist ein ambitioniertes | |
Ziel. Aber wie realistisch ist diese Ambition? Unsere Daten zeigen: Wir | |
sind auf dem falschen Weg, wenn wir die IPCC-Ziele erreichen wollen. Wir | |
stoßen immer mehr CO2 aus. Und wir bauen neue Kohlekraftwerke, die lange | |
laufen werden. Auch in Deutschland. | |
Das IPCC fordert 40 bis 70 Prozent weniger Emissionen weltweit bis 2050. | |
Ist das machbar? | |
Kein Land ist zurzeit auf dem richtigen Weg. Wir sehen zwar eine | |
Verdopplung der Kapazitäten bei den Erneuerbaren, das ist eine exzellente | |
Entwicklung und ein Weg zur kohlenstoffarmen Energie. Wir erwarten aber, | |
dass 2035 noch immer 75 Prozent des Energiebedarfs aus fossilen | |
Energieträgern stammen. Deshalb ist es nicht genug, nur auf die | |
Erneuerbaren zu schauen. Wir brauchen neue Technologien, saubere fossile | |
Energien und mehr Energieeffizienz. | |
Der Klimarat fordert auch bis 2050 drei- bis viermal so viel Anteil | |
erneuerbarer Energie an der Versorgung wie heute. Das scheint aber niemand | |
auf der Rechnung zu haben – oder? | |
Wenn es darum geht, das Geld für die Energiewende zusammenzubringen, dann | |
ist das eine politische Entscheidung. Wir haben gesehen, dass Investitionen | |
in Erneuerbare deren Preise drastisch senken können. Aber es reicht nicht, | |
erneuerbaren Strom zu produzieren, er muss auch ins Netz eingespeist werden | |
können. Wenn man nicht in einem System denkt, kann man viel Geld verlieren. | |
Die IEA hat ausgerechnet, dass für echten Klimaschutz etwa zwei Drittel der | |
Reserven an Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben müssten. ExxonMobil hat | |
schon angekündigt, sich darum nicht zu kümmern … | |
Die Steinzeit endete nicht, weil es keine Steine mehr gab. Und die Ära der | |
fossilen Brennstoffe wird nicht enden, weil es keine fossilen Brennstoffe | |
im Boden mehr gibt. Wir müssen aus diesem System herauswachsen. Wenn wir | |
weiter fossile Energien im jetzigen Maßstab nutzen, steuern wir auf einen | |
dramatischen Klimawandel zu. Also müssen die politischen | |
Entscheidungsträger festlegen, was die Welt will – und es auch durchsetzen. | |
Die Technologie muss das unterstützen, aber das hat seinen Preis. Wir sehen | |
das gerade in Europa. Billige Kohle und subventionierte Erneuerbare in | |
Deutschland drücken das Gas aus dem Markt. Das ist das Gegenteil von dem, | |
was die Politiker beabsichtigen. | |
Wie realistisch ist die Hoffnung vieler Europäer auf einen Gasboom wie in | |
den USA? | |
Europa muss seine Gasreserven besser nutzen, und zwar unabhängig von der | |
Situation in der Ukraine. Aber die Situation in den Vereinigten Staaten ist | |
nicht mit Europa zu vergleichen. Der Markt ist anders, das Preissystem, die | |
Eigentumsverhältnisse und die Besiedlungsdichte. Europa hat Gasfelder in | |
Großbritannien, Dänemark und Norwegen. Teil der Lösung können auch | |
Pipelines aus der Türkei und Algerien sein oder neue Terminals für | |
Flüssiggas. | |
Deutschland nennt sich mit der Energiewende gern ein Vorbild für die Welt. | |
Sehen Sie das so? | |
Was wir sehen, ist, dass Deutschland in den nächsten zwei Jahren 10 neue | |
Kohlekraftwerke mit 8 Gigawatt Leistung baut. Es wird mehr Kohle | |
verbraucht, die Emissionen steigen, Gas wird verdrängt. Der Verbrauch von | |
Braunkohle ist so hoch wie 1990. Da ist Deutschland kein Vorbild. Auf der | |
anderen Seite werden viele erneuerbare Kapazitäten gebaut. Also müssen wir | |
die Energiewende in einer Gesamtbilanz sehen. | |
Und wie sieht diese Bilanz aus? | |
Es gibt einen grünen und einen schwarzen Teil der Energiewende. Der grüne, | |
positive sind die Erneuerbaren und die Koordinierung von Energie- und | |
Wirtschaftspolitik in einem Ministerium. Der schwarze, negative sind die | |
neuen Kohlekraftwerke und die Tatsache, dass für die Energiewende auch nach | |
der Reform des EEG vor allem die Verbraucher zahlen und kaum die | |
energieintensive Industrie. | |
Die Renaissance der Kohle ist ja eine Folge des kaum funktionalen | |
europäischen Emissionshandels. Sie kennen die Lage in Europa, waren | |
Wirtschaftsministerin in den Niederlanden. Gibt es überhaupt noch eine | |
einheitliche EU-Politik bei Klima und Energie? | |
Wenn wir hier vorankommen wollen, brauchen wir einen gestärkten | |
Emissionshandel und einen echten europäischen Binnenmarkt für Energie. Das | |
brächte uns mehr Effizienz, und erneuerbarer Strom könnte überall verkauft | |
werden. Im Klima- und Energiepaket 2030 der EU wäre sicherlich mehr | |
Ambition als der geforderte Anteil von mindestens 27 Prozent erneuerbarer | |
Energien am Gesamtenergiemix mit der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen | |
Industrie vereinbar. Eine Rücküberführung der Klima-und Energiepolitik von | |
der EU auf die nationalen Staaten fände ich absolut falsch. Kein Land der | |
EU ist eine Energieinsel. | |
Die UN bereitet sich auf die große Klimakonferenz 2015 in Paris vor. Was | |
braucht es für ein substanzielles Ergebnis? | |
Es ist sehr wichtig, dass sich die politischen Verantwortlichen auf einen | |
allgemeinen Preis für CO2 einigen. Aber sie müssen sich auch klar werden, | |
wie Klimaschutz in den Schwellenländern aussehen soll. Da gibt es einen | |
enormen Bedarf an Energie und Wachstum, um der Armut zu entkommen, der | |
wirtschaftlichen und der Energiearmut. Das muss man akzeptieren. Wichtig | |
sind vor allem vier Dinge: mehr Energieeffizienz, ein Ende der | |
ineffizienten Subventionen für fossile Energien, Schluss mit dem Abfackeln | |
von Methan bei der Öl- und Gasförderung. Und alte Kohlekraftwerke müssen | |
durch effiziente Neubauten ersetzt werden. | |
12 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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