| # taz.de -- Kommentar Reform des Asylrechts: Ein mieser Deal | |
| > Das Flüchtlingsthema ist zurück und könnte helfen, linke Positionen | |
| > wieder zu erhärten – und auch den Widerstand gegen Schwarz-Grün. | |
| Bild: Überall kann es zu Verfolgung kommen: Frau von der Minderheit der Roma i… | |
| Es geht nicht nur um Farbspiele – wer Schwarz-Grün will, bekommt eine | |
| Politik, die sich im Zweifel gegen Menschenrechte wendet. | |
| Nachts um zwei Uhr morgens kippte Baden-Württembergs grüner | |
| Ministerpräsident Winfried Kretschmann den bis dahin einstimmigen Beschluss | |
| seiner Partei, im Bundesrat gegen die Reform des Asylrechts zu stimmen. | |
| [1][Nun können CDU und SPD Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu | |
| sicheren Herkunftsstaaten erklären] und damit verhindern, dass Roma | |
| weiterhin in Deutschland um Asyl ansuchen. Für die Koalition ist damit das | |
| „Flüchtlingsproblem“ gelöst. Für die Grünen beginnt eine haarige | |
| Identitätsdiskussion mit offenem Ausgang. | |
| Zunächst scheint die Begründung der Konservativen sogar einzuleuchten: Die | |
| Anträge von Roma würden so gut wie immer abgelehnt. Wozu also der | |
| Papieraufwand und die Kosten für die Unterbringung bis zur fast sicheren | |
| Ablehnung? Besser kümmere man sich um die wirklich Verfolgten. Ungeniert | |
| spielt Innenminister de Maizière (CDU) Bevölkerungsgruppen gegeneinander | |
| aus: „Wir können mehr Verfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger | |
| Nichtverfolgte zum Beispiel aus Serbien zu uns kommen.“ Das individuelle | |
| Schicksal spielt keine Rolle mehr. Das ist mies, grundsätzlich mies. | |
| Das Asylrecht aber verlangt eine Einzelfallprüfung, denn es kann auch in | |
| demokratischen Staaten zu politischer Verfolgung kommen. Edward Snowden ist | |
| dafür nur das prominenteste Beispiel. Die Regelung der „Sicheren | |
| Herkunftstaaten“, damals von Schwarz-Rot durchgesetzt, ist also ein | |
| massiver Angriff auf genau dieses Grundrecht. Der wird mit dem nun | |
| verabschiedeten Gesetz, das faktisch eine Lex Roma ist, weiter ausgedehnt. | |
| Und apropos Syrer, erinnern wir uns kurz: Angesichts von geschätzten 3,5 | |
| Millionen Syrern auf der Flucht, rang sich die Republik schließlich ein | |
| Kontigent für 10.000 von ihnen ab. Also selbst bei den zweifellos | |
| Verfolgten ist das hiesige humanitäre Bemühen sehr überschaubar. Dass | |
| Frankreich oder Spanien sich noch weniger mit Ruhm bekleckern, rechtfertigt | |
| die deutsche bis zur Menschenverachtung reichende Knausrigkeit nicht. | |
| ## Flüchtlinge dürfen wieder Menschen sein | |
| Die hiesige Flüchtlingsverwaltung kollabiert, weil in den letzten zwanzig | |
| Jahren massive Einsparungen vorgenommen worden sind. Dass politische Fehler | |
| revidiert werden können, macht nun ausgerechnet die CDU vor. Sie wird im | |
| Gegenzug der Gesetzesreform die katastrophale Lebenssituation von | |
| Flüchtlingen verbessern. Diejenigen, die es doch irgendwie hierher | |
| geschafft haben, sollen endlich für sich selbst sorgen dürfen. Genau das | |
| hatte die CDU zwanzig Jahre lang verhindert. Jetzt aber ist Schluss mit der | |
| Residenzpflicht, es gibt eine Arbeitserlaubnis schon nach drei Monaten und | |
| auch ein bisschen Geld statt Sachleistungen. Flüchtlinge dürfen wieder | |
| Menschen sein – zumindest auf Probe. Die Regelung ist auf drei Jahre | |
| befristet, steht also bei der nächsten Bundestagswahl wieder zur | |
| Disposition. | |
| Die gute Nachricht bei alledem: Endlich ist das Flüchtlingsthema als | |
| Politikum wieder auf dem Tisch – weswegen weiter Druck auf den Bund | |
| ausgeübt werden muss. Länder und Kommunen brauchen mehr Geld, um die | |
| Ankommenden nicht nur in Zelte und Container zu pferchen, sondern | |
| menschenwürdig zu behandeln. | |
| Zudem: Roma kamen hierher, obwohl ihre Chancen auf Aufnahme gen Null | |
| gingen. Warum sollte sich das jetzt drastisch ändern? Entspannen wird sich | |
| die Lage nur, wenn die Bundesregierung ihre politische und finanzielle | |
| Macht nutzt, um die Situation in den Heimatländern zu verbessern. | |
| Ein Land, das problemlos 556 Millionen Euro für flugunfähige Drohnen namens | |
| „Euro-Hawk“ in den Sand setzen kann, ohne dass ein Bundesbürger deshalb | |
| Schaden nimmt, sollte sich überlegen, ob es Geldgründe ernsthaft als | |
| Argument gegen humanitäre Hilfe bemühen will. | |
| 19 Sep 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neue-Asylregeln-fuer-Balkanlaender/!146265/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
| ## TAGS | |
| Flüchtlinge | |
| Serbien | |
| Mazedonien | |
| Flüchtlingspolitik | |
| Asyl | |
| Asylrecht | |
| Winfried Kretschmann | |
| Bosnien und Herzegowina | |
| sichere Herkunftsländer | |
| Balkanstaaten | |
| Syrischer Bürgerkrieg | |
| Bosnien-Herzegowina | |
| Residenzpflicht | |
| Wirtschaft | |
| Roma | |
| Flüchtlinge | |
| Asylrecht | |
| Cem Özdemir | |
| Serbien | |
| Katrin Göring-Eckardt | |
| Flüchtlingspolitik | |
| Asylrecht | |
| Flüchtlinge | |
| Asylpolitik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wirtschaft will Flüchtlinge als Fachkräfte: Perspektive Arbeit | |
| Spätestens ab dem sechsten Monat sollten Asylsuchende arbeiten dürfen, | |
| fordert die Wirtschaft. Pro Asyl will, dass Deutschland mehr Flüchtlinge | |
| aus Syrien aufnimmt. | |
| Roma-Flüchtlinge in Deutschland: „Mir wird übel“ | |
| Nun gelten die Herkunftsländer vieler Roma-Flüchtlinge als sicher. Der | |
| Vorsitzende des Instituts für Antiziganismusforschung will dagegen klagen. | |
| Rechtliche Hintergründe zur Asyldebatte: Gesetz mit dem 10-Minuten-Effekt | |
| Die Einstufung von Balkanstaaten als „sicher“ wird nicht zur schnelleren | |
| Abschiebung von Flüchtlingen führen. Die Verfahrensdauer wird kaum | |
| verkürzt. | |
| Katrin Göring-Eckardt über Kretschmann: „Den Grünen geht es nicht um Macht… | |
| Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verteidigt den Stuttgarter | |
| Regierungschef, obwohl sie seine Meinung in der Asylfrage nicht teilt. | |
| Partei vor der Zerreißprobe: Grüne spielen Schwarzer Peter | |
| Kretschmann, die Parteichefs oder die Umstände? Die Grünen streiten, wer | |
| Schuld hat, dass sie beim Asylstreit zwei Meinungen haben. | |
| Volker Beck über den Asylkompromiss: „Das schwächt die Menschenrechtler“ | |
| Die neu erklärten „sicheren Herkunftsländer“ verletzen Menschenrechte. | |
| Besonders für LGBT-Aktivisten und Roma ist die Lage schwer, kritisiert der | |
| Grünen-Abgeordnete. | |
| Kretschmann empört Grüne: Von der Freiheit, ja zu sagen | |
| Weg vom Verbotsimage – das war das Ziel des grünen Freiheitskongresses. | |
| Stattdessen tobt die Partei. Und zwar quer durch alle Flügel. | |
| Protest gegen die Asylrechtsreform: Verschenkte Menschenrechte | |
| Flüchtlinge und Unterstützer versammelten sich vor dem Bundesrat. Sie | |
| demonstrierten gegen die Erleichterung von Abschiebungen und gegen die | |
| Grünen. | |
| Amnesty kritisiert Asylkompromiss: „Das ist ein fauler Kompromiss“ | |
| Die von den Grünen mitgetragene Asylrechtsänderung diskriminiert | |
| Flüchtlinge, sagt Selmin Çalışkan von Amnesty International. | |
| Neue Asylregeln für Balkanländer: Grüne erleichtern Abschiebungen | |
| Der Bundesrat hat der Asylrechtsreform zugestimmt. Das grün-rot-regierte | |
| Baden-Württemberg trug den Kompromiss mit. Die Grünen sind gespalten. | |
| Kommentar „Sichere Herkunftsländer“: Gute Menschen, schlechte Menschen | |
| Asyl für Balkan-Flüchtlinge? Die Grünen müssen entscheiden, ob Bosnien, | |
| Serbien und Mazedonien sicher sind. Deals sind fehl am Platz. |