# taz.de -- Roma-Flüchtlinge in Deutschland: „Mir wird übel“ | |
> Nun gelten die Herkunftsländer vieler Roma-Flüchtlinge als sicher. Der | |
> Vorsitzende des Instituts für Antiziganismusforschung will dagegen | |
> klagen. | |
Bild: Leben mit zweifelhafter Perspektive: Roma auf dem Balkan. | |
taz: In Ihrer Stellungnahme zur Asylrechtsänderung schreiben Sie, dass in | |
der deutschen Politik das Leben eines Syrers mehr wert sei als das eines | |
„Zigeuners“. Lehnen Sie sich damit nicht sehr weit aus dem Fenster, Herr | |
Knudsen? | |
Marko Knudsen: Das ist die Aussage, die Innenminister de Mazière in seiner | |
Rede zur Änderung des Asylgesetzes impliziert: Wenn wir die einen nehmen, | |
können wir die anderen nicht nehmen. Vielleicht ist die Interpretation | |
überspitzt – aber trifft letztendlich doch die Sache. | |
Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind anders als Syrien keine | |
Bürgerkriegsländer. | |
Trotzdem leben die Roma dort unter Bedrohung ihres Lebens durch politische | |
Entscheidungen und politische Ausgrenzung. | |
Es geht also nicht um Einzelfälle, sondern Sie würden das so allgemein | |
formulieren? | |
Ja, sicher. Wie sollte man es sonst formulieren, wenn man in Europa | |
tagtäglich darum kämpfen muss, sein Essen auf den Tisch zu kriegen und | |
seine Kinder nicht in der Kälte schlafen zu lassen. Und daneben haben wir | |
seit Ausbruch der Wirtschaftskrise steigende nationalistische Tendenzen, | |
die in anderen Ländern noch drastischer sind als in Deutschland – wobei ich | |
am Sonntag über Facebook-Kontakte gehört habe, dass in Duisburg gehetzt | |
wurde, rumänische und bulgarische Roma hätten Kinder geklaut. Und plötzlich | |
gehen Fußballhorden auf Jagd nach Roma. | |
Sie haben angekündigt, gegen die Asylrechtsänderung zu klagen. Auf welcher | |
Grundlage? | |
Mir haben inzwischen mehrere Juristen gesagt, dass das Gesetz vermutlich | |
vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird, weil es gegen das Gebot der | |
Gleichbehandlung verstößt. | |
Der Normenkontrollrat erwartet von einer Gesetzesänderung keine deutliche | |
Änderung der Fallzahlen aus den betroffenen Ländern.Wie sehen Sie das? | |
Ich habe da leider keine Kristallkugel. Aber schon heute flieht der | |
Großteil der Roma nicht nach Deutschland, sondern nach Italien, Spanien, | |
Frankreich. | |
Warum halten Sie es für sinnlos, an der Situation in den Herkunftsländern | |
anzusetzen? | |
Weil uns das alles nichts gebracht hat. Wir haben es im Rahmen der | |
EU-Erweiterung versucht, aber außer ein paar schönen Berichten ist bei der | |
Integration der Roma nichts passiert. Da muss man der Europäischen Union | |
vorwerfen, dass sie keine veränderten Strukturen in der Behandlung der Roma | |
als Beitrittsvoraussetzung gefordert hat. Mit Druck auf die Herkunftsländer | |
alleine ist es ohnehin nicht getan: Wir haben ein europäisches Problem – | |
die Feinderklärung der Mehrheitsgesellschaft meinem Volk gegenüber. | |
Und was hilft da, wenn nicht Druck? | |
Wir müssen die Chance kriegen, in den Mehrheitsgesellschaften, in denen wir | |
leben, zu partizipieren. Druck führt nur dazu, dass auf den Balkan | |
abgeschobenen Roma die Pässe abgenommen werden, damit sie nicht noch einmal | |
fliehen können. | |
Bleibt so nicht ewig der Status quo erhalten? | |
Es macht doch keinen Sinn, hier die Panikglocke wegen 15.000 Asyl-Bewerbern | |
zu schwingen, die sowieso nicht bleiben, sondern sich hier nur über den | |
Winter retten wollen. Die meisten Leute haben gar keine Möglichkeit, zu | |
flüchten – auch wenn sie das vielleicht gerne täten. Mir wird bei solchen | |
Entscheidungen ohne jegliche historische Verantwortung übel – und jetzt | |
werden die Grünen für eine Gesetzesinitiative von CDU und SPD an die Wand | |
genagelt. | |
Für die Grünen wollen Sie in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. Ist da | |
das Thema Antiziganismus hilfreich oder hinderlich? | |
Man kommt damit eher voran, weil die Grünen die einzige Partei sind, die | |
sich des Themas überhaupt angenommen haben. | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Roma | |
Asyl | |
sichere Herkunftsländer | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Bosnien und Herzegowina | |
Öffentlicher Nahverkehr | |
Bundesgerichtshof | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlingspolitik | |
Serbien | |
Grüne | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schul-Beauftragter über Antiziganismus: „Viele outen sich nicht“ | |
Als Roma- und Sinti-Beauftragter der Hamburger Schulbehörde kämpft Marko | |
Knudsen gegen Antiziganismus. Er hat noch viel zu tun. | |
Deutsche Asylpolitik: Die Unerwünschten | |
Seit Herbst gilt Bosnien und Herzegowina als „sicherer Herkunftsstaat“. | |
Aber was heißt das schon? Besuch in einer Roma-Siedlung. | |
Diskriminierung von Roma in Italien: Bürgermeister fordert Sonderbusse | |
Ein Stadtoberhaupt möchte nicht länger, dass Roma dieselben Busse nehmen | |
wie die übrige Bevölkerung. Parteifreunde werfen ihm vor, Apartheid zu | |
fördern. | |
Antiziganismus beim Bundesgerichtshof: BGH hetzte gegen „Zigeuner“ | |
Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma erwartet vom | |
Bundesgerichtshof, dass er seine Geschichte aufarbeitet. Der BGH will | |
reagieren. | |
„Sicheres Herkunftsland“ Serbien: An einem gottverlassenen Ort | |
Serbien ist ein „sicheres Herkunftsland“ – aber für wen? Ein Rom aus | |
Belgrad erzählt, wie er zweimal nach Deutschland floh und abgeschoben | |
wurde. | |
Flüchtlinge besetzen DGB-Zentrale: Die Suche geht weiter | |
Flüchtlingsaktivisten halten in Berlin das Gewerkschaftshaus besetzt. Der | |
DGB lässt sie gewähren und will Kontakte zu Politikern vermitteln. | |
Hans-Christian Ströbele über Flüchtlinge: „Wir haben genügend Geld“ | |
150 Millionen Euro für die vernünftige Unterbringung von Flüchtlingen | |
müssten aufzubringen sein. Das findet der Grünen-Politiker Hans-Christian | |
Ströbele. | |
Volker Beck über den Asylkompromiss: „Das schwächt die Menschenrechtler“ | |
Die neu erklärten „sicheren Herkunftsländer“ verletzen Menschenrechte. | |
Besonders für LGBT-Aktivisten und Roma ist die Lage schwer, kritisiert der | |
Grünen-Abgeordnete. | |
Kretschmann empört Grüne: Von der Freiheit, ja zu sagen | |
Weg vom Verbotsimage – das war das Ziel des grünen Freiheitskongresses. | |
Stattdessen tobt die Partei. Und zwar quer durch alle Flügel. | |
Kommentar Reform des Asylrechts: Ein mieser Deal | |
Das Flüchtlingsthema ist zurück und könnte helfen, linke Positionen wieder | |
zu erhärten – und auch den Widerstand gegen Schwarz-Grün. |