# taz.de -- Hans-Christian Ströbele über Flüchtlinge: „Wir haben genügend… | |
> 150 Millionen Euro für die vernünftige Unterbringung von Flüchtlingen | |
> müssten aufzubringen sein. Das findet der Grünen-Politiker Hans-Christian | |
> Ströbele. | |
Bild: Unwürdig: Kommunen müssten mehr Geld bekommen, um Flüchtlinge unterzub… | |
taz: Herr Ströbele, ist Deutschland angesichts der ansteigenden Zahlen von | |
Flüchtlingen überlastet? | |
Hans-Christian Ströbele: Nein. Natürlich sind es viele Flüchtlinge und für | |
die Kommunen ist das ein Problem. Trotzdem sind es nicht zu viele | |
Flüchtlinge. Anfang der 90er Jahre gab es viel höhere Zahlen als jetzt, | |
rund 400.000 Menschen wurden aufgenommen. Angesichts der schrecklichen | |
Kriege in Syrien und im Irak müssen wir mehr tun und viel mehr Menschen | |
Schutz gewähren. | |
Wie viele Flüchtlinge sollten wir aufnehmen? | |
Es macht wenig Sinn, jetzt über [1][Zahlen und Obergrenzen] zu diskutieren. | |
Angesichts des relativen Wohlstands in Europa und vor allem in Deutschland | |
können wir nicht nur Gedenkstunden abhalten, wenn wieder Hunderte Menschen | |
im Mittelmeer ertrinken. Das Mindeste ist, dass diejenigen, die in Europa | |
ankommen, hier unter humanen Bedingungen leben können. | |
Der jüngste Beschluss, Serbien, Bosnien und Mazedonien zu sicheren | |
Herkunftsländern zu erklären, geht aber in die Gegenrichtung. | |
Ja. Es handelt sich im Kern um ein Anti-Roma Gesetz. Es ist makaber, dass | |
wir ein Denkmal für die während des Holocausts ermordeten Sinti und Roma | |
vor gar nicht allzu langer Zeit unweit des Brandenburger Tors eingeweiht | |
haben. Doch stehen sie vor der Tür, geht es nur noch um die Frage: Wie | |
werden wir sie wieder los? Roma und Sinti werden in den genannten Ländern | |
ganz schlecht behandelt. Das ergeben alle Berichte. | |
Wie kommen wir zu einer humanen Flüchtlingspolitik? | |
Die EU muss einen Schlüssel entwickeln, der die EU-Länder gemäß ihrer | |
finanziellen Stärke in die Pflicht nimmt. Zudem muss den Menschen, die in | |
Griechenland oder Italien ankommen, klar gesagt werden, wo und wie sie Asyl | |
oder Aufenthalt beantragen können. Sie ohne Informationen weiterzuschicken | |
und froh zu sein, wenn sie jenseits der Alpen irgendwie verschwinden, ist | |
keine Lösung. Auch die Bundesregierung muss viel mehr tun, viel mehr | |
Flüchtlinge aufnehmen und so behandeln, dass die eingesessene Bevölkerung | |
nicht darunter leidet. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Dass man erheblich mehr Geld in die Hand nimmt, um die Kommunen in die Lage | |
zu versetzen, die Leute anständig unterzubringen und zu versorgen. | |
Das hat man aber nicht vor. Stattdessen gehen die Anstrengungen dahin, dass | |
weniger Leute nach Deutschland kommen und die Anträge weniger werden. | |
Das ist die Malaise. Man zwingt Menschen, in unwürdigen Unterkünften zu | |
leben, nicht zu arbeiten, und dann regen sich manche Deutsche darüber auf, | |
dass diese Menschen Schmutz verursachen und auf ihre Kosten nur in der | |
Gegend herumstehen. | |
Der von dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann | |
ausgehandelte Deal will hier abhelfen: Wir lassen noch weniger Leute rein, | |
aber die drin sind, behandeln wir besser. | |
Das reicht aber doch überhaupt nicht aus! Hier ist kein Durchbruch für | |
vernünftige Unterbringung und Behandlung erzielt worden. | |
Hätten die Grünen das Votum von Kretschmann verhindern können? | |
Wir können doch niemanden zu etwas zwingen, schon gar keinen | |
Ministerpräsidenten. | |
Viele auch im linken Milieu halten die Konfrontation mit Armut genauso wie | |
eine gesteigerte Finanzierung von Flüchtlingen für inakzeptabel. | |
Ich war bei den protestierenden Flüchtlingen in Berlin-Kreuzberg dabei und | |
habe noch in letzter Minute einen Kompromiss ausgehandelt. Es gab dort viel | |
Solidarität unter den Anwohnern. Das Problem ist, dass Bevölkerungsgruppen | |
gegeneinander ausgespielt werden. | |
Inwiefern? | |
Weil zu wenig Geld da ist, steht zum Beispiel der Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg nun vor der Wahl, entweder Programme für | |
Flüchtlinge oder für Jugendliche oder Bildung zu finanzieren. Natürlich | |
bringt das die Berliner auf. Die Kommunen brauchen mehr Geld für | |
Flüchtlinge, Jugendliche und Bildung. Dann würde sich viel von dem Unmut in | |
der Bevölkerung legen. | |
Wenn aber selbst die Linksliberalen kein Geld für Flüchtlinge ausgeben | |
wollen, woher soll dann der Druck auf die Politik kommen? | |
Das darf doch nicht sein, dass Jugendprojekte gegen humane Behandlung von | |
Flüchtlingen ausgespielt werden! Es geht doch nicht um riesige Summen. | |
Gerade Deutschland hat viel Geld für alles Mögliche, da müssten 150 | |
Millionen für die Unterbringung von Flüchtlingen aufzubringen sein. Es gibt | |
kein finanzielles Problem. | |
Es geht also allein um den politischen Willen? | |
Ja. | |
Gibt es eine Entwicklung in Deutschland hin zu weniger Hilfsbereitschaft? | |
Nein. Im Vergleich zu den frühen 90er Jahren, als gegen den Willen der | |
Grünen das Asylrecht massiv eingeschränkt wurde, gibt es heute eher ein | |
Verständnis für die Notlage der Flüchtlinge. Das liegt ja auch nahe. Wenn | |
man abends die schrecklichen Bilder von den Hunderttausenden Flüchtlingen | |
im Irak und Syrien sieht, und in Berlin geht es dann um einen angemessenen | |
Umgang mit 400 Menschen, dann ist jeder vernünftige Mensch dafür. | |
Sie sind sehr optimistisch. | |
Natürlich ärgern sich Leute, wenn es Probleme mit Polizeieinsätzen gibt und | |
Straßensperren. Aber das sind alles hausgemachte Probleme. Wie gesagt: Mit | |
etwas Geld lässt sich das vermeiden. | |
Wie ist Ihre Prognose? | |
Es werden noch sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. | |
Deshalb werden Anträge fleißig negativ beschieden. Nur für Syrer macht man | |
noch eine Ausnahme. | |
Wenn wir die Kriege im Irak, in Syrien oder Libyen beklagen, dann können | |
wir nicht sagen: Ja, der Westen hat mitgeholfen, dort Krieg zu führen – | |
aber jetzt müsst ihr wieder nach Hause. Das geht nicht. | |
Müsste die Regierung nicht dabei helfen, dass die Herkunftsländer | |
tatsächlich sicherer werden? Auf die Balkanländer kann Deutschland Einfluss | |
nehmen. | |
Natürlich. Im Kosovo, von wo viele Roma auch nach Deutschland flohen, ist | |
die Nato stationiert, um für eine multiethnische Gesellschaft zu sorgen. | |
Trotzdem ist die Situation für Roma dort katastrophal, ihre Häuser wurden | |
und werden angezündet, sie werden vertrieben und beleidigt. Das gilt auch | |
für EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Rumänien. Deutschland müsste hier | |
auf das Einhalten der Antidiskriminierungsverträge drängen. Bislang steht | |
das aus. | |
25 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] /!146551/ | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Flüchtlingspolitik | |
Asylsuchende | |
Migration | |
Hans-Christian Ströbele | |
Sinti und Roma | |
Syrien | |
Denkmal | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Schengen-Raum | |
Flüchtlinge | |
Mittelmeer | |
Armutsmigration | |
Abschiebung | |
Roma | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Antiziganistischer Anschlag in Berlin: „Eine abscheuliche Tat“ | |
Unbekannte haben in Berlin ein Denkmal für Sinti und Roma geschändet. Der | |
Zentralrat erstattet Strafanzeige, der Staatsschutz ermittelt. | |
Bürgerinitiative für Flüchtlinge: Reich und Arm verwoben | |
Basteln, backen, reden, helfen. Viele Menschen in Balingen wollten | |
Flüchtlingen helfen – ganz pragmatisch. Sie haben ein Asylcafé gegründet. | |
„Sicheres Herkunftsland“ Serbien: An einem gottverlassenen Ort | |
Serbien ist ein „sicheres Herkunftsland“ – aber für wen? Ein Rom aus | |
Belgrad erzählt, wie er zweimal nach Deutschland floh und abgeschoben | |
wurde. | |
Polizeikontrollen in Zügen: Die Flüchtlingsfänger | |
Ihre Aufgabe ist es, irreguläre Migration zu bekämpfen. Stichprobenartig | |
kontrollieren Bundespolizisten Reisende im Zug. Ein heikler Job. | |
Flüchtlinge an Europas Grenzen: Totschwarzes Mittelmeer | |
Mehr als 3.000 Menschen sind in diesem Jahr auf der Flucht über das | |
Mittelmeer gestorben. Nirgends kommen mehr Flüchtlinge ums Leben. | |
Flüchtlinge im Mittelmeer: Gerettet vom Kreuzfahrtschiff | |
Fast 350 Flüchtlinge werden nach drei Tagen auf offener See gerettet. Doch | |
als sie in Zypern wieder von Bord sollen, weigern sie sich – bis die | |
Polizei eingreift. | |
Debatte Armutsmigration: Eintrittskarten zu vergeben | |
Es muss Obergrenzen für die Migration geben dürfen. Aber nur, wenn | |
gleichzeitig Möglichkeiten der wirtschaftlichen Integration geschaffen | |
werden. | |
Mehr Sicherheit für Flüchtlinge: Niedersachsen will weniger Abschiebungen | |
Rot-Grün zementiert den Kurswechsel: Innenminister Pistorius verbietet das | |
Auseinanderreißen von Familien und nächtliche Abschiebungen. | |
Asyl: Vom Oranienplatz in Abschiebehaft | |
Ein Mann aus Mali soll nach Italien abgeschoben werden – obwohl sein | |
Verfahren auf der Grundlage des Oranienplatz-Papiers noch läuft. | |
Roma-Flüchtlinge in Deutschland: „Mir wird übel“ | |
Nun gelten die Herkunftsländer vieler Roma-Flüchtlinge als sicher. Der | |
Vorsitzende des Instituts für Antiziganismusforschung will dagegen klagen. |