# taz.de -- Debatte Armutsmigration: Eintrittskarten zu vergeben | |
> Es muss Obergrenzen für die Migration geben dürfen. Aber nur, wenn | |
> gleichzeitig Möglichkeiten der wirtschaftlichen Integration geschaffen | |
> werden. | |
Bild: Willkommenskultur: Zeltstadt für Asylbewerber in Duisburg. | |
Eine Szene in einem Straßencafé in Berlin-Kreuzberg. Ein ärmlich wirkender | |
älterer Mann, den man optisch der Gruppe der Roma zuordnen könnte, geht an | |
einer Krücke zwischen den Gästen umher und bettelt mit einem Pappbecher. | |
„Die Krücke ist bestimmt geliehen, alles nur Show“, flüstert ein Gast und | |
gibt nichts. Einige gucken starr vor sich hin. Die anderen zücken ihr | |
Portemonnaie. Es folgt eine Debatte über Roma, die mit Bettelei angeblich | |
mehr verdienten als mit Arbeit in ihrem Herkunftsland. | |
Die Szene ist typisch für die Misere des linksalternativen Milieus, der | |
Armutsmigration zu begegnen: Es herrscht eine merkwürdige Mischung aus | |
Mitgefühl, schlechtem Gewissen und der Angst, verarscht zu werden. | |
Die Mischung ist explosiver geworden durch drei Faktoren: Zum einen sind | |
die Asylbewerberzahlen zuletzt deutlich gestiegen, Deutschland nimmt | |
derzeit, im europäischen Vergleich gesehen, relativ viele Ankömmlinge auf. | |
Zum Zweiten hat die Armutsmigration innerhalb der EU zugenommen. | |
Zum Dritten aber kommt im medialen Auftritt von Flüchtlingen, die in den | |
Hungerstreik treten, Schulen und Brachen besetzen und öffentlich ein | |
Bleiberecht fordern, ein neues Element in die Debatte auch in | |
linksalternativen Milieus: Man fühlt sich moralisch erpresst, schuldig | |
gemacht, in eine Pflicht genommen, in der man nicht stehen will. | |
## Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien ist moderat | |
In der Gesamtschau sind die Zahlen dabei immer noch lächerlich klein: Im | |
Jahr 2013 lebten in Deutschland 225.000 Asylbewerber, knapp 1,5 Milliarden | |
Euro gab der Staat dafür aus. Zum Vergleich: Knapp zehn Jahre davor waren | |
die Ausgaben für Asylbewerber fast doppelt so hoch gewesen. Die höchsten | |
Anstiegszahlen der Erstanträge im August gab es beim Herkunftsland Syrien, | |
in dem die Kriegssituation eindeutig ist. | |
Auch die Zahlen für die EU-Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien sind | |
vergleichsweise moderat, sie ziehen immer noch häufiger nach Italien und | |
Spanien als nach Deutschland. Doch es sind die Einzelbilder und die | |
Dynamik, die Angst machen. Die Tatsache, dass uns durch die steigende | |
internationale Mobilität die Armut und Gewalt so nahe auf die Pelle rücken | |
und man eigentlich gar nicht so genau vorgeführt haben will, dass man hier | |
auf der Insel der Seligen lebt und doch, bitte schön, was abgeben soll. | |
Hinzu kommen die konkreten Situationen, die so unwürdig sind für alle | |
Beteiligten. Eine Psychologin, die Asylbewerber begutachtet, schildert ihr | |
Dilemma, häufig mit Notlügen konfrontiert zu werden, mit widersprüchlichen | |
Geschichten, weil sich die Ankömmlinge sonst weniger Chancen ausrechnen, in | |
Deutschland bleiben zu dürfen. | |
Unwürdig ist auch die aufgezwungene Untätigkeit in den Asylbewerberheimen. | |
In einem Land, das sich viel zugute hält auf seine Arbeitsmoral, ist es ein | |
Unding, Ankommende über lange Zeit hinweg von Bildung und Arbeit | |
auszuschließen. | |
## Das Humanitäre reicht nicht aus | |
Die ökonomische Einmündung von Leuten, die gekommen sind, um zu bleiben, | |
muss dabei offener debattiert werden, denn nur an das Humanitäre zu | |
appellieren reicht nicht aus, um Akzeptanz zu schaffen. Die Frage lautet: | |
Sollen SteuerzahlerInnen in Deutschland in die Pflicht und in die | |
Mitverantwortung genommen werden, um einer Roma-Frau aus Bulgarien und | |
ihren Kindern, um einem jungen Afrikaner aus dem Tschad bessere | |
Lebenschancen zu bieten? | |
Die Antwort könnte lauten: Ja. Aber nur wenn es auch Integrationshilfen | |
gibt, wenn also für Asylbewerber nicht nur Arbeitsverbote gelockert, | |
sondern auch Sprachkurse und Qualifikationsmaßnahmen bezahlt werden. Das | |
Asylbewerberleistungsgesetz erlaubt ja Beschäftigungsmaßnahmen, nur gibt es | |
diese kaum. | |
Es würde auch Sinn machen, ankommenden arbeitslosen EU-Migranten zumindest | |
ein zeitlich begrenztes Recht auf Arbeitsförderung zu gewähren. Kinder von | |
Zuwanderern integrieren sich überraschend schnell, weil sie durch den | |
Schulbesuch in die Ankunftsgesellschaft eintauchen und so die Sprache | |
lernen. Ähnliche Chancen brauchen auch die Erwachsenen. | |
Natürlich muss die Frage beantwortet werden, wer das bezahlt – und das | |
können nicht nur die Kommunen sein, die in unwilligen Nachbarschaften | |
Asylbewerberheime eröffnen und für Roma-Kinder Willkommensklassen in den | |
Schulen einrichten. Der Bund muss mehr in die Finanzierung einsteigen, | |
genauso wie die Länder. | |
## Eine ernsthafte Armutspolitik | |
Dabei sollten öffentliche Mittel für die Integration von Armutsflüchtlingen | |
allerdings nie als Begründung dafür hergenommen werden, um Sozialleistungen | |
bei anderen Schwachen hierzulande zu kürzen. Es ist ein fatales Signal, | |
wenn die Bezirksverwaltung in Berlin-Kreuzberg jetzt Mittel für | |
Jugendprojekte sperrt mit dem Argument, man hätte schon so viel Geld | |
ausgegeben für die Bewachung und Versorgung der Flüchtlinge in einer | |
besetzten Hauptschule, die geräumt werden soll. So werden Schwache gegen | |
Schwache aufgehetzt. | |
Wer neue Möglichkeiten für eine Armutspolitik eröffnen will, darf daher | |
auch Grenzen setzen. Es ist hinnehmbar, wenn Serbien, Bosnien-Herzegowina | |
und Mazedonien jetzt als „sichere Herkunftsländer“ festgelegt wurden, um | |
Asylverfahren zu beschleunigen. Die Asylanträge aus Serbien waren zuletzt | |
in die Höhe geschossen. | |
Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen dauerarbeitslose | |
EU-Migranten ohne Jobperspektive nach einem halben Jahr ihr | |
Aufenthaltsrecht verlieren und damit den Anspruch auf Kindergeld. Das geht | |
zu weit. Einen Zwang zur Ausreise darf es nicht geben. Aber eine zeitliche | |
Begrenzung des Kindergeldes für EU-Migranten, die hier nie gearbeitet | |
haben, nicht arbeiten werden und auch keine Familienangehörigen von | |
Erwerbstätigen sind, das ist eine materielle Grenze, die moralisch | |
vertretbar ist, auch wenn es EU-rechtlich dabei Probleme geben dürfte. | |
Man muss über Grenzen einer europäischen Armutspolitik genauso reden dürfen | |
wie über das Eröffnen neuer Möglichkeiten, beides gehört zusammen. Dann | |
kann man es auch aushalten, dass Bettler mit Krücken in Straßencafés | |
auftauchen und Geld sammeln. Wie überall auf der Welt. | |
25 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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