# taz.de -- Deutsche Asylpolitik: Die Unerwünschten | |
> Seit Herbst gilt Bosnien und Herzegowina als „sicherer Herkunftsstaat“. | |
> Aber was heißt das schon? Besuch in einer Roma-Siedlung. | |
Bild: „Ich war manchmal richtig glücklich“, sagt Zahida über die Jahre, d… | |
SARAJEVO taz | Der etwa dreißig Jahre alte Mann steht am Ufer der Bosna und | |
angelt in der vom Regen getrübten Brühe. Kemal* ist Rom und lebt hier in | |
Kakanj, einem mittelgroßen Städtchen in Zentralbosnien, 45 Kilometer von | |
Sarajevo entfernt. Die Häuser am Fluss, vom Nebel halb verdeckt, gehören zu | |
einer Romasiedlung mit mehreren hundert Bewohnern. | |
Auf die Frage, ob er jemanden kenne, der gerade aus Deutschland | |
zurückgekommen sei und dessen Asylgesuch abgelehnt wurde, zögert Kemal mit | |
der Antwort. In Sarajevo hatte Dervo Sejdic, der bekannte Roma-Vertreter in | |
Bosnien, vorgewarnt. „Die Leute wollen nicht reden, weil sie es nochmal | |
versuchen wollen, nach Deutschland zu kommen.“ | |
Und das, obwohl Bosnien und Herzegowina seit Anfang September als sicheres | |
Herkunftsland gilt und es damit fast unmöglich geworden ist, einen | |
Asylantrag durchzukämpfen. Die vor dem „Ghipsy“, einer Verkaufsbude am | |
Flussufer, stehenden jungen Männer verkrümeln sich, als sie den | |
Journalisten sehen. Es hat sich schon herumgesprochen, was der fragen will. | |
Aber schließlich sagt Kemal doch: „Komm mit in mein Haus, meine Schwester | |
wird mit dir reden.“ | |
Die Familie wohnt inmitten der Siedlung. Die Häuser sind ineinander | |
verschachtelt, der teils schlammige Weg führt durch Hinterhöfe, wo | |
Brennholz für den Winter gestapelt ist. Die aus einem Zimmer, Kochnische | |
und Bad bestehende Wohnung blitzt vor Sauberkeit. Dafür sorgt Zahida. Sie | |
ist jetzt 32 Jahre alt. Ihr kleines Einkommen verdient sie sich als | |
Putzfrau. „Drei Mal die Woche. Meine Brüder machen manchmal | |
Gelegenheitsjobs. Meistens aber nicht. Richtige Arbeit gibt es doch für uns | |
Roma nicht in diesem Land.“ | |
## Geblieben, weil die Familie sie braucht | |
Zahida würde gern in Deutschland leben. Doch die schlanke und umtriebige | |
Frau konnte damals, als es noch leichter war, nach Deutschland zu gehen, | |
nicht zurück in das Land, an das sie gute Erinnerungen hat. Sie ist in | |
Kakanj geblieben, weil ihre Familie sie braucht. Ihre krebskranke | |
70-jährige Mutter Arifa, ihre beiden fast gleichaltrigen Brüder, zwei | |
Cousins, der eine 20, der andere 22 Jahre alt, mit Frau und kleinen | |
Kindern. | |
Vor dem Krieg waren die Roma von Kakanj bekannt wegen ihrer Kupferschmiede. | |
Der Bajramovic-Klan verkaufte seine Produkte bis nach Italien. Die | |
traditionellen, bis zu einem Meter großen Kupferkessel schafften es sogar | |
in einige Museen dort, die Schmiedekunst der Bajramovic war Blickfang in | |
der historischen Altstadt Sarajevos. Damals gab es auch in diesem Viertel | |
von Kakanj einen bescheidenen Wohlstand. „Jeder hatte eine | |
Krankenversicherung, auch Roma bekamen Arbeit, sogar Rente.“ Doch dann | |
brach das Unheil herein, der Staat Jugoslawien zerbrach, es gab Krieg. | |
Zahida war noch ein Kind, als die Familie 1992 nach Deutschland floh. Sie | |
besuchte dort die Schule und spricht immer noch hervorragend Deutsch, | |
obwohl sie schon 1997, kurz nach Kriegsende, mit ihrer Familie und der | |
älteren Schwester nach Bosnien zurückkehrte – zurückkehren musste. | |
Die deutschen Behörden übten Druck aus auf die Kriegsflüchtlinge. Sie | |
hätten ohnehin keine Chance zu bleiben, erklärte man Zahidas Familie, sie | |
sollten die paar tausend Mark Rückführungshilfe annehmen und heimfahren. | |
Vor Ort werde ihnen dann weiter geholfen, hieß es. | |
Auf der Rückfahrt, kurz hinter der kroatischen Grenze bei Bihac, stürzte | |
der Bus einen Abhang hinunter, Zahidas Schwester überlebte den Unfall | |
nicht. „Der alkoholisierte Busfahrer wurde von der Polizei verhört, aber | |
nach drei Stunden wieder freigelassen.“ Die Verbitterung in ihrer Stimme | |
wischt Zahida sogleich weg. Sie darf ihren Gefühlen keinen freien Lauf | |
lassen. „Ich muss immer weiter kämpfen.“ Unglück, Tragödien, ungerechte | |
Behandlung durch Behörden ist sie gewohnt. Die unverletzt gebliebene Zahida | |
übernahm die Rolle ihrer Schwester und packte an. | |
## Hilfsgelder sind versickert | |
„Als wir in Kakanj ankamen, war unser Häuschen verwüstet.“ Die versproche… | |
Hilfe aus Deutschland traf nicht ein – ebenso wenig wie im vergangenen | |
Jahr, als die Bosna über die Ufer trat. Über 80 Zentimeter hoch stand das | |
Wasser im Haus. Von den Hilfsorganisationen ließ sich bei Zahidas Familie | |
niemand blicken, die internationalen Hilfsgelder seien auch dieses Mal | |
bestimmt irgendwo in der korrupten Bürokratie versickert, vermutet die | |
32-Jährige. „Sieh mal, der Boden unter den Fliesen ist immer noch nass, die | |
Feuchtigkeit steigt von unten herauf.“ | |
Eine Krankenversicherung für Roma gibt es nicht, das Geld für die | |
notwendigen Medikamente der Mutter, 50 Euro pro Monat, muss die Familie | |
irgendwie zusammenkratzen. Zahida wird sarkastisch: „Wir Roma werden eben | |
niemals krank.“ | |
Die beiden Cousins leben mit ihrer eigenen Mutter, den zwei Kindern und der | |
Frau des Älteren in dem Häuschen nebenan. Zahidas Familie hat den | |
Verwandten diesen Raum zur Verfügung gestellt. „Die waren obdachlos, hatten | |
gar nichts.“ | |
Zahida hatte deswegen nichts dagegen, als die beiden jungen Männer im | |
Frühjahr letzten Jahres aufbrachen. Die beiden haben versucht, sich nach | |
Deutschland durchzuschlagen. Sie meldeten sich bei einem Sozialamt, | |
verbrachten drei Monate in einem Asylbewerberheim. „Dann sagte man uns, wir | |
sollten sofort nach Bosnien zurückfahren. Wenn wir das nicht täten, dann | |
dürften wir fünf Jahre lang nicht mehr nach Deutschland einreisen“, | |
berichtet der Ältere von Zahidas Cousins. Welche Behörde ihnen dies gesagt | |
hat, bleibt unklar. Man gab ihnen ein Schriftstück, das sie unterschreiben | |
sollten. Was darin stand, wissen sie nicht. Es gab keine Übersetzung und | |
auch keinen Dolmetscher. Sie kehrten zurück. | |
## Die Männer wollen weg | |
Seither denken die beiden jungen Männer nur daran, wie sie es wieder | |
versuchen können. Dass Asylanträge nun keinerlei Chancen mehr haben sollen, | |
wollen sie nicht akzeptieren. Beide lernen jetzt Deutsch. In Kakanj sehen | |
sie keine Zukunft mehr. „Fast alle jungen Männer wollen gehen,“ sagt der | |
Ältere. Weitere Fragen wehrt er ab. Er will sich nur von hinten | |
fotografieren lassen. | |
Das gilt auch für Zahidas Bruder Kemal. Er sagt zwar nicht, dass er es | |
selbst probieren will. Aber er wird es tun. Mit der Visaregelung für | |
Bosnier ist es ihm möglich, als Tourist einzureisen. Genug Geld für die | |
Fahrt hat keiner der drei Männer. „Die Busfahrer helfen uns. Sie nehmen uns | |
umsonst mit, sammeln aber die Pässe ein. Wenn wir dann in Deutschland | |
irgendwie zu Geld kommen, können wir die Pässe bei seiner nächsten Tour | |
wieder auslösen“, erklärt Kemal. | |
Zahida hat inzwischen den Tisch aufgeräumt, dem Hund Wasser gegeben, die | |
Mutter versorgt. Alle schlafen in diesem Raum, die Brüder, die Mutter, sie. | |
An ein eigenes Leben, ein Stück Privatheit ist hier nicht zu denken. Zahida | |
setzt sich neben den Herd. Sie könne doch nicht von hier weg. An eine | |
Zukunft für sie persönlich glaubt sie nicht. Nur einmal habe sie eine | |
schöne Zeit gehabt. Das war, als sie während des Jugoslawienkrieges in | |
Nordrhein-Westfalen war. „Es war so schön, in die Schule zu gehen. Die | |
Leute waren nett, ich war manchmal richtig glücklich.“ | |
Doch mit der Rückkehr waren sie und ihre Familie wieder diskriminiert. Sie | |
blickt auf den Boden, schweigt, doch man spürt, wie sie die persönlichen | |
Herabsetzungen und die Armut bedrücken. „Hoffnung, was ist das?“ Allah habe | |
die Menschen als gleiche geschaffen. „Nur für ihn gibt es keine | |
Unterschiede. Doch für die Menschen leider ja.“ | |
Kemal begleitet die Besucher zurück zum Parkplatz am Fluss. Jetzt sind es | |
mehr als zehn Männer, die trotz des stärker gewordenen kalten Regens im | |
wieder ansteigenden Wasser angeln. „Gestern hatte ich Glück und habe zwei | |
Fische gefangen.“ Er reicht die Hand zum Abschied. | |
* Alle Namen in der Geschichte sind geändert | |
4 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
Sulejman Omerbasic | |
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