# taz.de -- Amnesty kritisiert Asylkompromiss: „Das ist ein fauler Kompromiss… | |
> Die von den Grünen mitgetragene Asylrechtsänderung diskriminiert | |
> Flüchtlinge, sagt Selmin Çalışkan von Amnesty International. | |
Bild: Protest gegen die Asylrechtsverschärfung am Freitag vor dem Bundesrat in… | |
taz: Frau Çalışkan, der Bundesrat hat [1][eine Änderung des Asylrechts | |
beschlossen]. Wie stehen Sie zu dem Kompromiss, den die Grünen aus | |
Baden-Württemberg mittragen? | |
Selmin Çalışkan: Es ist ein fauler Kompromiss. Erstens kann kein deutsches | |
Gesetz die Situation beispielsweise für Roma in Serbien „sicher" machen. In | |
diesen Ländern sind Minderheiten strukturell benachteiligt, leben am Rande | |
der Gesellschaft. Dazu kommt, dass die Regierungen sie nicht vor | |
rassistischen Angriffen schützen und Politiker teilweise die Vorurteile | |
gegen sie noch schüren. In der Summe können diese mehrfachen | |
Diskriminierungen - auch nach den strengen Maßstäben des Asylrechts - eine | |
Verfolgung darstellen. Dann haben die Betroffenen das Recht, Schutz zu | |
suchen und zu finden. Auch bei uns. Zweitens ist das Gesetz ein weiterer | |
Schritt zur Aushöhlung des Asylrechts. Das Recht auf eine faire | |
Einzelfallprüfung für jeden Schutzsuchenden aus jedem Herkunftsland ist das | |
Kernstück des Asylverfahrens. Dieses Recht ist für uns nicht verhandelbar. | |
Auch nicht, wenn sich die Lage für Aslysuchende, die bereits in Deutschland | |
sind, verbessert? | |
Wir dürfen Flüchtlinge aus dem Westbalkan nicht gegen | |
Bürgerkriegsflüchtlinge ausspielen. Kriterium muss immer sein, ob der | |
einzelne Mensch Schutz braucht. | |
Aber was halten Sie von den Verbesserungen? | |
Die bekannt gewordenen Zugeständnisse enthalten nur minimale Verbesserungen | |
für Asylsuchende, nicht mal für alle. Das Sachleistungsprinzip auf die Zeit | |
der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen einzuschränken ist nur eine | |
kosmetische Verbesserung. Schon jetzt bekommen die meisten Asylsuchenden | |
außerhalb der Einrichtungen Bargeld. Die anderen Benachteiligungen aus dem | |
Asylbewerberleistungsgesetz werden nicht angetastet. Das | |
Asylbewerberleistungsgesetz muss ganz abgeschafft werden. Dieses Gesetz | |
diskriminiert Asylsuchende. | |
Was sagen sie zur Belastung der Kommunen durch die steigenden | |
Flüchtlingszahlen? | |
Angesichts der vielen Krisenherde weltweit sollte es für Europa | |
selbstverständlich sein, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher. | |
Ein Anstieg der Zahlen war absehbar. Aber statt die Aufnahme von | |
Asylsuchende als gesellschaftliche Daueraufgabe zu betrachten, wurden in | |
der Vergangenheit Kapazitäten abgebaut. Nur deshalb greifen die Kommunen zu | |
Notlösungen wie die Unterbringung in Containerdörfern. Das darf kein | |
Dauerzustand bleiben. | |
Musste die Bundesregierung angesichts steigender Flüchtlingszahlen | |
gegensteuern? | |
Wir müssen auch den Zusammenhang sehen: Weltweit sind derzeit über 51 | |
Millionen Menschen auf der Flucht - das sind so viele wie seit dem 2. | |
Weltkrieg nicht mehr! Der überwiegende Teil der Menschen sucht innerhalb | |
des eigenen Landes Schutz. Etwa 18 Millionen Menschen verlassen ihre | |
Heimat. Die meisten Flüchtlinge kommen aber nicht nach Deutschland oder | |
Europa, sondern bleiben in ihren Nachbarländern. Insgesamt nehmen | |
sogenannte Entwicklungsländer inzwischen 86 Prozent aller Flüchtlinge auf - | |
Tendenz steigend. Mit anderen Worten: Länder wie Pakistan, Iran, Libanon | |
oder Kenia, in denen es viel weniger Ressourcen gibt als bei uns, leisten | |
durch ihre Aufnahmebereitschaft den allergrößten humanitären Beitrag für | |
Flüchtlinge. Auch die Türkei ist hier zu nennen, durch die Aufnahme von 1 | |
Million syrischer Flüchtlinge. | |
19 Sep 2014 | |
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## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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