# taz.de -- Rüstungsforschung an der Uni: Ein ganz normaler Auftraggeber | |
> Die Uni Hannover forscht im Auftrag der Bundeswehr. Dies wolle sie nur | |
> für friedliche Zwecke tun. Trotzdem fordern Studierende eine | |
> Zivilklausel. | |
Bild: Die Uni Hannover hat in den letzten vier Jahren so viel Geld aus dem Vert… | |
HANNOVER taz |So ziemlich genau vor einem Jahr veröffentlichte die | |
Wissenschaftsminsterin in Niedersachsen, Gabriele Heinen-Kljajić (Grüne), | |
eine bemerkenswerte Liste. Diese listete auf, in welchem Ausmaß die | |
Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen des Landes | |
Rüstungsforschung betrieben. | |
Heinen-Kljajić’ Mitarbeiter hatten zuvor Briefe verschickt und um | |
Selbstauskunft über alle militärisch relevanten Forschungsprojekte seit | |
2000 gebeten. Damals gab die Leibniz Universität Hannover Details über neun | |
Projekte mit einer Fördersumme von 3.925.438 Euro an. 26 weitere Projekte | |
mit einer Fördersumme von insgesamt 6.928.456 Euro wurden von der | |
Universität jedoch als vertraulich eingestuft. Im Klartext: Was mit zwei | |
Dritteln der Gelder geschah, wurde verschwiegen. | |
## An Waffen wird nicht geforscht – nicht direkt | |
„Das war der Kürze der Zeit geschuldet, in der die Universität diese | |
Anfrage beantworten sollte“, sagt Präsident Barke heute. Dennoch | |
verdeutlicht es, wie wenig Transparenz tatsächlich da ist. Barke ist es | |
wichtig, dieses schwierige Thema etwas differenzierter zu diskutieren. | |
Deshalb lud er die taz auf Anfrage ein, um Projekte vorzustellen, die durch | |
das Verteidigungsministerium an seiner Universität gefördert werden. „An | |
der Universität Hannover wird nicht an Waffen geforscht“, sagt Barke. „Es | |
gibt auch keine Aufträge von Rüstungsfirmen.“ | |
Die Leibniz Universität ist keine zufällig gewählte Universität, sondern | |
diejenige Universität, die bundesweit in den letzten vier Jahren am meisten | |
Geld aus dem Verteidigungsetat erhalten hat. Das wurde im Juli 2014 durch | |
Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung bekannt. Die Recherchen | |
ergaben außerdem, dass es an deutschen Universitäten nicht nur um | |
Grundlagenforschung geht, sondern konkret um Anwendungsmöglichkeiten im | |
Interesse von Marine, Luftwaffe und Bodenstreitkräften. Es ging um | |
Drohnenschwärme, die Feinde verfolgen sollen, um intelligente Munition, | |
Handfeuerwaffen, Funktechnologien, Satellitentechnik, Roboter, tödliche | |
Schusswaffen und Wurfgeräte. | |
In den letzten vier Jahren erhielten deutsche Hochschulen 120 Aufträge im | |
Wert von mehr als 28 Millionen Euro. Der Leibniz Universität Hannover wurde | |
davon etwa ein Fünftel zuteil, nämlich 5,8 Millionen Euro. Die Zuwendungen | |
an die Uni haben sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. | |
## Aufträge für sicherheitsrelevante Projekte | |
„Wir sind ein offenes Buch“, beteuert Jörn Ostermann. Er leitet das | |
Institut für Informationsverarbeitung, ebenjenes, welches die meisten | |
Aufträge vom Verteidigungsministerium bekommt. An der Universität Hannover | |
gebe es derzeit nur ein Projekt, bei dem der Auftraggeber gar nicht genannt | |
werden dürfe, und eines, bei dem der Name erst nach Abschluss öffentlich | |
werde, berichtet Ostermann. „An Geheimhaltung bin ich nicht interessiert, | |
denn die Wissenschaftler sind auf Publikationen angewiesen.“ Gerade bei | |
öffentlichen Auftraggebern sei die Veröffentlichung erwünscht – dazu zähle | |
auch das Verteidigungsministerium. | |
Die Aufträge des Ministeriums an die Uni betreffen computergestützte | |
Fernerkundung,Tracking oder Personenverfolgung. Eines von sechs als | |
„sicherheitsrelevant“ eingestuften Projekte ist die Forschung am Radar mit | |
synthetischer Apertur, Abkürzung SAR. Der Radar wird zur Fernerkundung | |
eingesetzt und liefert dreidimensionale Bilder. An der Universität Hannover | |
wird konkret daran geforscht, wie Bilder, die etwa durch eine Windböe | |
verwackelt sind, mittels Bewegungskompensation so scharf wie möglich | |
gemacht werden können. | |
SAR wird bereits in verschiedensten Bereichen eingesetzt: zur Überwachung | |
und Aufklärung, in der Kartografie oder beim Katastrophenschutz. Mit SAR | |
können beispielsweise bei Überflutungen die Gebiete erkennbar gemacht | |
werden, die mit Wasser bedeckt sind. „Um Ihre Frage vorwegzunehmen, diese | |
Technik kann auch in Drohnen eingesetzt werden“, sagt Barke, also in jenen | |
unbemannten Flugobjekten, die, wenn sie mit Raketen bestückt werden, aus | |
der Luft töten können. Die Zahl der Menschen, die durch den Einsatz von | |
US-Drohnen in Pakistan zwischen 2004 und 2012 starben, wird auf 3.000 | |
geschätzt. | |
## Die Uni meint: Es überwiegt der Nutzen | |
Für Jörn Ostermann, an dessen Institut am SAR-Radar geforscht wird, | |
überwiegt dennoch der Nutzen. „Die Technik dient der Aufklärung und der | |
Sicherheit der Soldaten.“ | |
Zudem ist gerade sein Institut auf Drittmittelforschung angewiesen. Am | |
Institut arbeiten 32 wissenschaftliche Mitarbeiter, von denen viele nicht | |
aus dem Etat der Universität bezahlt werden. Die Liste der Geldgeber von | |
außen ist lang. Das Verteidigungsministerium ist für Ostermann nicht nur | |
ein ganz normaler Auftraggeber, sondern auch einer der besten. Im Jahr 2013 | |
stammte über ein Sechstel der Drittmittel von dort. Ohne dieses Geld hätte | |
Ostermann vier Mitarbeiter weniger. | |
Von dem Vorschlag, zukünftig alle militärisch relevanten Projekte | |
öffentlich und transparent zu machen, hält Ostermann nichts. „Nicht weil | |
etwas verschleiert werden soll, sondern weil ich nicht möchte, dass jeder | |
Wissenschaftler auf der Welt genau sehen kann, woran ich genau forsche“, | |
sagt er. | |
Dennoch sei es nicht so, dass die Universität auf Biegen und Brechen vom | |
Verteidigungsministerium abhängig sei, wendet Barke ein. Militärisch | |
relevante Forschung mache mit 1,3 Millionen Euro nur knapp über ein Prozent | |
aller eingeworbenen Drittmittel aus. | |
Für Barke ist das Thema Rüstungsforschung auch deswegen so schwierig, weil | |
sich der Begriff nicht genau definieren ließe. „Vieles, was militärisch | |
genutzt werden kann, kann auch zivil genutzt werden“, sagt Barke. | |
## Verdeckte Militärforschung | |
Christoph Marischka, Sprecher der Informationsstelle Militarisierung e. V. | |
(IMI), die auch einen Atlas zur Drohnenforschung veröffentlicht, sieht das | |
anders. „Wenn das Verteidigungsministerium als unmittelbarer Geldgeber | |
auftritt, würde ich das als Militärforschung bezeichnen – auch wenn die | |
Ergebnisse später vor allem zivil genutzt werden“, sagt er. Oft wüssten | |
Forscher nicht einmal, dass sie „konkret identifizierte ’Fähigkeitslücken… | |
von Militär und Rüstung füllen sollen“. | |
Ende 2013 wurde beispielsweise bekannt, dass deutsche Wissenschaftler der | |
Uni Marburg in den Jahren von 2008 bis 2011 an einer Studie zur nächtlichen | |
Orientierung von Wüstenheuschrecken arbeiteten. Der Auftraggeber war in | |
diesem Fall nicht das deutsche, sondern das amerikanische | |
Verteidigungsministerium. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich die | |
Tiere bei Nacht orientieren – Grundlagenforschung. | |
Später stellte sich heraus, dass es den Amerikaner vor allem darum ging, | |
herauszufinden,ob die Seheigenschaften der Wüstenheuschrecke auch für | |
Drohnen und zielgelenkte Munition eingesetzt werden können. Die Präsidentin | |
der Philipps-Universität Marburg, Katharina Krause, sagte im Nachhinein, | |
sie hätte davon abgeraten, wenn sie davon gewusst hätte. | |
## Studierende fordern eine Zivilklausel | |
Eine Zivilklausel hätte solche Forschung schon im Vorfeld verhindert. | |
Dennoch wollen die wenigsten Universitäten eine solche einführen. Auch die | |
Universität Hannover hat keine Zivilklausel. „Es wird auch in Zukunft keine | |
geben“, sagt Barke. Aber die Universität hat in ihr Leitbild geschrieben, | |
nur für friedliche Zwecke zu forschen. „Die Freiheit der Forschung ist ein | |
hohes Gut“, meint der Präsident. „Jeder Wissenschaftler muss | |
eigenverantwortlich handeln. Verbote können nicht alles lösen.“ | |
Die Ablehnung einer Zivilklausel mit der Freiheit der Forschung zu | |
begründen kann Marischka jedoch nicht verstehen. „Eine Freiheit der | |
Forschung sollte vor allem als Freiheit von staatlicher Steuerung | |
verstanden werden. Auftragsforschung für oder Stiftungsprofessuren vom | |
Bundesverteidigungsministerium stehen für das Gegenteil.“ | |
Die Studierenden der Universität sehen das ähnlich. Im November reichte der | |
Allgemeine Studierendenausschuss einen Brief an das Präsidium und den Senat | |
ein, in dem er die Einführung eine Zivilklausel fordert. | |
21 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
## TAGS | |
Waffen | |
Wissenschaft | |
Transparenz | |
Forschungsprojekt | |
Rüstungsforschung | |
Bildungsministerium | |
Bundeswehr | |
Zivilklausel | |
Zivilklausel | |
Bildung | |
Bundeswehr | |
DFG | |
Bundeswehreinsatz | |
Sponsoring | |
Drittmittel | |
Transparenz | |
Studierende | |
Universität | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Verteidigungspolitik | |
Rüstung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Förderung der Rüstungsunternehmen: Steuergelder für die Waffenindustrie | |
Das Bildungsministerium fördert Forschungsprojekte der Rüstungsfirmen. | |
Millionen an Steuergeldern fließen an die Waffenindustrie. | |
Hochschule Bremen und Zivilklausel: Uniform im Hörsaal | |
Ein Kooperationsvertrag der Hochschule Bremen mit der Bundeswehr ist nach | |
Monaten zum ersten Mal öffentlich – und erntet Kritik. | |
Bremer Zivilklausel-Streit: Oliv ist keine Grauzone | |
Grauzonen des Dual Use? Rot-Grün macht es sich einfacher: Selbst eine | |
unmittelbare Kooperation mit der Bundeswehr sei okay | |
Militärischer Hörsaal: Ein denkwürdiger Partner | |
Die Hochschule führt einen Studiengang in Kooperation mit der Bundeswehr | |
ein. KritikerInnen sehen einen Verstoß der Zivilklausel | |
Bundeswehr wirbt um Schüler: Karriereberater im Klassenzimmer | |
Die Streitkräfte sind auf Nachwuchssuche. Karriereberater der Bundeswehr | |
erreichten 2013 doppelt so viele SchülerInnen wie im Jahr zuvor. | |
Schulverweis nach Bundeswehrkritik: Bamberg in Aufruhr | |
Der Fall eines Schülers, der den Besuch der Bundeswehr an seiner | |
Wirtschaftsschule kritisierte, schlägt hohe Wellen. Die Schulleitung bleibt | |
beim Verweis. | |
Ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis: Eine reine Männerrunde | |
Der Leibniz-Preis gilt als Deutschlands inoffizieller Nobelpreis. Acht | |
Forscher wurden dieses Jahr dafür auserwählt. Frauen waren nicht dabei. | |
Protest gegen Bundeswehr-Schulbesuche: Kritisches Nachfragen unerwünscht | |
Weil er die Bundeswehr kritisierte, erhielt ein Schüler in Bamberg einen | |
Verweis. Seine „linksorientierte Gesinnung“ bedränge andere, sagt sein | |
Direktor. | |
Stiftungsprofessuren in Deutschland: Die Hochschultrojaner | |
An deutschen Hochschulen gibt es 1.000 Professuren, die von Unternehmen | |
oder privaten Stiftungen finanziert werden. Was bedeutet das für die Unis? | |
Debatte Drittmittel an Unis: Das Geld des Geistes | |
Wer die meisten Drittmittel einwirbt, der forscht und lehrt angeblich auch | |
am besten, heißt es. Doch das Gegenteil ist richtig. | |
Transparente Forschung: Wenn VW die Studie bezahlt | |
Hochschulen in Niedersachsen und Bremen sollen künftig Auskunft über die | |
von Dritten gesponserten Forschungsprojekte geben. | |
Studentische Hilfskräfte protestieren: Sachmittel ohne Streikrecht | |
Über 100.000 Studierende arbeiten als Hilfskräfte im Universitätsbetrieb. | |
Oft werden sie als billige Zuarbeiter ausgenutzt. | |
Anti-Rüstungsforschung an Hochschulen: Friedensbewegung reloaded | |
Aktivisten streiten erfolgreich dafür, dass Hochschulen keine | |
Rüstungsprojekte durchführen. Die Anzahl der Unis mit Zivilklauseln soll | |
verdoppelt werden. | |
Uni Rostock und Spähsoftware: Snowden ehren, Snowden verraten? | |
Der Whistleblower soll von der Universität Rostock die Doktorwürde | |
erhalten. Studenten kritisieren: Ein Institut entwickle Spähsoftware mit. | |
Rüstungsprojekte der Bundesregierung: Wo das Geld verballert wird | |
Seit Anfang Juli durchleuchten Wirtschaftsprüfer die deutschen | |
Rüstungsprojekte. Deren Kosten übersteigen die des Hauptstadtflughafens. | |
Landesministerin über Rüstung und Unis: „Militärforschung schwer abgrenzba… | |
Niedersachsens Wissenschaftsministerin hat keine generellen Einwände gegen | |
militärische Forschung an Universitäten. Aber sie muss transparent sein. |