# taz.de -- Rüstungsprojekte der Bundesregierung: Wo das Geld verballert wird | |
> Seit Anfang Juli durchleuchten Wirtschaftsprüfer die deutschen | |
> Rüstungsprojekte. Deren Kosten übersteigen die des Hauptstadtflughafens. | |
Bild: Teurer Spaß, diese ganzen Rüstungsprojekte, Frau von der Leyen. | |
BERLIN taz | Es klingt schon nach einem erstaunlichen Zufall: Wenn man den | |
künftigen Berliner Flughafen (BER) momentan überhaupt zu etwas gebrauchen | |
kann, dann für die Ausstellung von Flugzeugen, in denen teilweise noch mehr | |
Geld versickert ist als in dem Pannenprojekt. | |
Rund 3 Milliarden Euro mehr als geplant kostet der Berliner Airport heute | |
schon – und das einzige, was in Betrieb ist, ist das Messegelände | |
ExpoCenter. Im Rahmen der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung | |
ILA präsentieren dort Luftfahrtunternehmen und Rüstungskonzerne seit zwei | |
Jahren ihre neuesten Transportflieger und Drohnen. Vergleicht man aber die | |
Kostendifferenz etwa beim Eurofighter mit der des Flughafens, dann wirkt | |
der Aufruhr um den BER geradezu lächerlich. | |
Viele Minister sind an der Aufgabe gescheitert, die Preisexplosion in den | |
Griff zu bekommen, manche haben es erst gar nicht versucht. Ursula von der | |
Leyen macht einen neuen Anlauf: Sie will das Beschaffungssystem des | |
Verteidigungsministeriums reformieren. | |
Seit Anfang Juli durchleuchten deshalb 30 externe Wirtschaftsprüfer neun | |
Rüstungsprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Dabei geht es um die Fregatte | |
Klasse 125 ebenso wie um den Eurofighter. Den Schützenpanzer Puma sollen | |
die Prüfer aus den Beratungsunternehmen KPMG, P3 Ingenieursgesellschaft und | |
der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing im Detail unter die Lupe nehmen. Drei | |
Monate haben sie dazu Zeit. | |
## Experten sind skeptisch, dass Aufklärung gelingt | |
Die Probleme, die von der Leyen jetzt lösen will, offenbarten sich bereits | |
in den 60er Jahren bei der Beschaffung von Tornado-Kampfjets und U-Booten, | |
die nach Ansicht der Bundeswehr viel zu spät ausgeliefert wurden. In | |
jüngster Zeit hat das Drohnenprojekt Euro-Hawk Steuergelder in | |
dreistelliger Millionenhöhe verschlugen. Im Mai 2013 wurde es wegen | |
Zulassungsproblemen gestoppt. Die Drohnen stehen nun eingemottet in einer | |
Garage im bayerischen Manching. | |
Rüstungsexperten sind skeptisch, was die Chance auf eine gründliche | |
Aufklärung betrifft: „Man kann vermuten, dass bei der Kürze der Zeit, der | |
Schwierigkeit und der Komplexität nicht viel tiefgehend Problematisches | |
herausgefunden werden kann“, sagt etwa Hilmar Linnenkamp von der Stiftung | |
Wissenschaft und Politik. Er weist darauf hin, dass die Prüfer während der | |
Sommerpause in den Dokumenten wühlen, wenn die Ansprechpartner im Urlaub | |
sind. Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum Transatlantische | |
Sicherheit (Bits) erklärt das Projekt gar von vornherein für gescheitert: | |
„Es wird nur die Symptome therapieren.“ | |
Viele Projekte entstehen nicht nur, weil die Bundeswehr ein bestimmtes | |
Waffensystem fordert. Es geht dabei auch um andere, industriepolitische, | |
Interessen: „Die deutsch-französischen Rüstungsprojekte der 60er, 70er | |
Jahre waren dem Wunsch geschuldet, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen | |
und die Luftfahrtindustrie militärtauglich zu machen“, sagt Linnenkamp. | |
Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß habe in | |
Rüstungsprojekte investiert, um den Technologiestandort Bayern zu fördern. | |
Und auch die europäische Drohne wird nicht nur wegen des Militärs | |
entwickelt, glaubt er. Von dem technologischen Fortschritt soll auch der | |
zivile Markt profitieren: Bald sollen Landfahrzeuge ohne Autofahrer fahren | |
und die DHL soll Pakete mit Drohnen ausfliegen. | |
## Drei Player: Bundeswehr, Bundesamt und Industrie | |
Wenn es dann um Aufträge geht, sind drei wichtige Player beteiligt: die | |
Bundeswehr, das dafür zuständige Bundesamt für Ausrüstung, | |
Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und die Industrie. | |
Die Bundeswehr verlangt das Beste, das die Industrie liefern kann – koste | |
es, was es wolle. Der Schützenpanzer Puma beispielsweise fährt genauso | |
schnell rückwärts wie vorwärts. Der Transportflieger A400M startet auch auf | |
einer kurzen Sandpiste – kann aber zur Beladung sein Fahrwerk nicht | |
absenken, was eigentlich nötig wäre, um schwere Fahrzeuge zu | |
transportieren. „Die letzten 10 Prozent Leistungssteigerung sind | |
überproportional teuer und können durchaus 30 Prozent mehr Kosten | |
verursachen“, sagt Nassauer. | |
Das Beschaffungsamt BAAINBw wiederum wählt aus, wer forschen und liefern | |
darf – und weiß, „wie man die Kuh am besten melkt“, sagt Nassauer. 2008 | |
beispielsweise forderte die Marine einen dritten Einsatzgruppenversorger | |
(EGV) an. Das ist ein Schiff, das die Soldaten mit Medikamenten, Material | |
und Nahrung versorgt. Statt ein bereits produziertes Modell aus dem Ausland | |
zu kaufen, schrieb das Beschaffungsamt die Entwicklung einer neuen Stahlart | |
aus. Damit, so heißt es in Berlin, wollte man die hiesige | |
Forschungslandschaft mit Aufträgen versorgen. Von der Ausschreibung | |
profitierte ein Konsortium der Werften ThyssenKrupp Marine Systems, Fr. | |
Lürssen Werft, Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft und die P+S Werften. | |
Diese sollen den Preis mit der Begründung in die Höhe getrieben haben, dass | |
China den Stahlmarkt leergekauft hätte. Klar ist: Das Versorgungsschiff | |
kostete letztendlich 330,5 Millionen Euro – rund 50 Millionen mehr als die | |
beiden EGV zusammen, die man 1996 bestellt hatte. | |
## Jedes Land kämpft für die eigenen Unternehmen | |
In Deutschland sinken die Militärausgaben seit den 90er Jahren: Lag deren | |
Anteil im Jahr 1993 bei 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, waren es | |
2013 noch 1,4 Prozent. Gleichzeitig werden große Rüstungsprojekte zunehmen | |
gemeinsam mit anderen Ländern realisiert. Dabei kämpfen die beteiligten | |
Staaten darum, wie Linnemann beobachtet, dass der Anteil, den sie für ein | |
Vorhaben ausgeben, auch in die heimische Industrie zurückfließt. Eine | |
Kontrolle über die gesamten Ausgaben gibt es nicht – der Bundesrechnungshof | |
etwa kann nur die deutschen Anteile prüfen. | |
Der dritte große Player, die Industrie, macht im Moment besonders Druck. | |
Umschmeichelte Thomas Enders, CEO der Luft- und Raumfahrtfirma Airbus, | |
anfangs noch die Verteidigungsministerin, droht er nun damit, den Standort | |
in Manching zu schließen, wenn sie nicht bald konkret wird bei der | |
europäischen Drohne. 2017/18 läuft die Eurofighter-Produktion aus. Bis | |
dahin müsse ein neuer Auftrag her, sonst würden die hochspezialisierten | |
Ingenieure in die Hamburger Airbus-Zentrale wechseln. | |
Bei solchen Projekten in Milliardenhöhe versucht die Industrie, das Risiko | |
dem staatlichen Auftraggeber zuzuschieben, sagte der ehemalige | |
Verteidigungsminister Thomas de Maizière 2013 im | |
Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss, und dauernd erhöben die Unternehmen | |
finanzielle Nachforderungen. | |
Ein weiterer Grund für rasant steigende Kosten ist die lange Zeitspanne: | |
Der Vertrag für das Transportflugzeug A400M etwa wurde 2002 beschlossen – | |
und bisher 38-mal geändert. Neue Schiffe oder Panzer werden nicht in zwei, | |
sondern in zehn bis dreißig Jahren entwickelt. In der Zwischenzeit | |
verbessert sich der Stand der Technik, die Anforderungen steigen. So wird | |
alles nicht nur teurer, sondern kommt auch später. Der erste A400M sollte | |
schon vor vier Jahren ausgeliefert werden, nun ist von 2015 die Rede. | |
Die Rüstungslobbyisten sitzen nicht nur in Manching und Oberndorf, sondern | |
auch im Bundestag: So verteidigt Volker Kauder, CDU, deutsche | |
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien – in seinem Wahlkreis liegt auch die | |
Waffenschmiede Heckler & Koch. Johannes Kahrs, SPD, erhielt für seinen | |
Bezirk Hamburg-Mitte Spenden aus der Rüstungsindustrie in vierstelliger | |
Höhe. 2009 zögerte er den Kauf von gepanzerten Militärfahrzeugen des Typs | |
Eagle IV aus der Schweiz so lange hinaus, bis die deutsche Industrie ein | |
eigenes Angebot fertig hatte. | |
## Abstrakt-generelle Handlungsempfehlungen | |
Ursula von der Leyen hingegen lässt die Industrievertreter warten. Bevor | |
sie konkret mit ihnen verhandelt, will sie das Ministerium aufräumen. | |
Bereits bei der ersten Sitzung des Rüstungsrats lehnte sie alle 15 | |
Sachstandsberichte zu Rüstungsprojekten ab. Sie feuerte den zuständigen | |
Staatssekretär Stéphane Beemelmans. Agnieszka Brugger, | |
verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, reicht das nicht: „Die | |
Ministerin muss auch jenseits von personellen Konsequenzen Reformen | |
durchführen und ein unabhängiges Controlling auf Leistungsebene einführen“, | |
sagt sie. „Dazu braucht es auch den politischen Willen.“ | |
Die rund 30 Berater der KPMG sollen jetzt für 1,1 Millionen Euro einen | |
neuen Reformplan schmieden. Doch ihr Auftrag ist vage formuliert. Sie | |
sollen eine „Risiko- und Frühwarnanalyse von neun zentralen | |
Rüstungsprojekten“ erstellen und „vertieftes Review des Projektes | |
Schützenpanzer Puma“. Aus beiden Punkten sollen sie „abstrakt-generelle | |
Handlungsempfehlungen für das Projekt- und Risikomanagement in | |
Rüstungsprojekten, für die Zusammenarbeit mit der Industrie sowie zur | |
Steigerung der Transparenz“ ableiten, heißt es in dem Beratungsvertrag. Den | |
Vertrag hat genau die Behörde aufgesetzt, die reformiert werden soll – und | |
somit Teil des Problems ist. | |
6 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Julia Maria Amberger | |
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