| # taz.de -- Einwanderungsgesetz für Deutschland: Die Besten sind willkommen | |
| > Die SPD möchte ausländische Spezialisten mit einem Punktesystem nach | |
| > Deutschland locken. Doch die Union zweifelt an den Plänen. | |
| Bild: Der Palästinenser Haythem Masry kam ohne Punktesystem nach Deutschland. | |
| BERLIN taz | Thomas Oppermann hat sein Besuch in Kanada offenbar nachhaltig | |
| beeindruckt. Erst Mitte Februar war der SPD-Fraktionschef nach Toronto und | |
| Ottawa gereist. Er traf den Einwanderungsminister, sprach mit Neukanadiern | |
| und kehrte begeistert zurück. Ein Punktesystem für die Einwanderung wie in | |
| Kanada, lobte er damals, könne er sich in Deutschland auch vorstellen – und | |
| stellte ein Konzept in Aussicht. | |
| Am Dienstag hat der SPD-Mann in Berlin den Vorschlag seiner | |
| Bundestagsfraktion präsentiert. Auf sechs Seiten skizziert das | |
| Positionspapier, wie Deutschland in Zukunft um hochqualifizierte Fachkräfte | |
| aus dem Ausland werben könnte. „Wir schlagen vor, ein flexibles | |
| Punktesystem zu entwickeln, um Einwanderer nach Deutschland zu locken“, | |
| sagte Oppermann. Die Debatte über ein Einwanderungsgesetz habe Fahrt | |
| aufgenommen. „Und ich will den Fahrtwind nutzen.“ | |
| Die SPD macht eine einfache Rechnung auf. Der deutsche Arbeitsmarkt | |
| benötige jährlich 300.000 bis 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland. Momentan | |
| werde der Bedarf gedeckt, da wegen der Wirtschaftskrise in anderen | |
| EU-Staaten viele Menschen in Deutschland arbeiten wollten. Dieser Effekt, | |
| so Oppermann, sei nicht von Dauer. Wenn die Nachbarstaaten sich | |
| wirtschaftlich erholen, würden viele Menschen zurückkehren. | |
| Dann wäre da noch die Demografie. Deutschland werde in den kommenden zehn | |
| Jahren durch die Alterung der Bevölkerung bis zu 6,7 Millionen | |
| Erwerbstätige verlieren. Dem entgegenzuwirken sei „eine der größten | |
| Herausforderungen unserer Volkswirtschaft“, sagt Oppermann. | |
| ## Über das Bewertungssystem herrscht noch Unklarheit | |
| Das Konzept der SPD-Fraktion ist allerdings schwammig. Wie genau das | |
| Punktesystem aussehen soll, welche Kategorien etwa für Bewerber gelten, | |
| blieb unklar. Oppermann betonte, die derzeitigen Regeln seien „zersplittert | |
| und kompliziert“, es gebe allein 50 verschiedene Aufenthaltstitel. Eine | |
| Bündelung würde „ein starkes Signal“ an junge, gut ausgebildete Menschen … | |
| aller Welt senden. | |
| Mit dem Vorstoß positioniert sich die SPD-Fraktion in einer Debatte, die | |
| seit Monaten geführt wird. Die Grünen haben bereits Anfang Februar einen | |
| Antrag für „ein modernes Einwanderungsgesetz“ in den Bundestag eingebracht. | |
| Darin ist zwar nicht von einem Punktesystem die Rede, aber die Ideen liegen | |
| nahe an denen der SPD. | |
| Auch aus einem Bundesland kommt eine Initiative. Rheinland-Pfalz bringt am | |
| Freitag einen Entschließungsantrag in den Bundesrat ein, der über die | |
| Vorschläge der SPD-Fraktion hinausgeht. Die rot-grüne Landeskoalition will | |
| nicht nur Hochqualifizierte nach Deutschland einladen, sondern auch „andere | |
| Qualifikationsniveaus“ berücksichtigen. Asylbewerber, die eine | |
| Ausbildungsstelle vorweisen können, sollen befristet in Deutschland bleiben | |
| dürfen – und später die Chance zur Jobsuche erhalten. | |
| Sicher scheint allerdings: Trotz der Vielfalt der Vorschläge wird | |
| Deutschland so bald kein neues Einwanderungsgesetz bekommen. Das liegt an | |
| der zweiten Regierungspartei, der Union. Sie ist in der Frage gespalten. | |
| Mehrere junge CDU-Abgeordnete um den Gesundheitspolitiker Jens Spahn und | |
| Generalsekretär Peter Tauber plädieren für ein neues Einwanderungsgesetz. | |
| Ein erster Vorstoß Taubers im Januar stieß parteiintern jedoch auf Kritik. | |
| CDU-Spitzenpolitiker wie Volker Kauder oder Innenminister Thomas de | |
| Maizière halten eine Neuregelung für überflüssig. | |
| Um die Deutungshoheit wird in der Großen Koalition deshalb an zwei Fronten | |
| gekämpft: innerhalb der Union und zwischen Union und SPD. Innenminister De | |
| Maizière lud Journalisten gestern kurz nach Oppermanns Termin spontan zu | |
| einer eigene Pressekonferenz ein, um sein Nein zu konkretisieren. | |
| ## Oppermann fordert Signale | |
| Mit dem geltenden Rechtssystem könne man im Grundsatz alle Fragen, die | |
| aufgeworfen würden, beantworten, sagte de Maizière. Kanada habe sich sogar | |
| an das deutsche System angepasst. „Die Zuwanderer vor Ort werden keine | |
| Gesetzestexte lesen, sondern brauchen Zuwanderungsbedingungen.“ | |
| In der Tat ist es für hochqualifizierte Ausländer bereits jetzt möglich, in | |
| Deutschland zu leben und zu arbeiten. EU-BürgerInnen steht der hiesige | |
| Arbeitsmarkt durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit offen. Und gut | |
| ausgebildete Menschen aus Staaten jenseits der Europäischen Union können | |
| seit 2011 die EU-Bluecard nutzen. Sie erlaubt das Arbeiten in Deutschland, | |
| wenn man ein bestimmtes Gehalt oder einen Hochschulabschluss vorweisen | |
| kann. | |
| Die Befürworter eines Einwanderungsgesetzes verweisen allerdings auf die | |
| geringe Bekanntheit dieser Regeln. Es gebe kein Marketing bei der Bluecard, | |
| kritisierte SPD-Fraktionschef Oppermann. Lediglich 24.000 ausländische | |
| Spezialisten hätten von ihr seit 2012 Gebrauch gemacht. So gesehen wäre ein | |
| Gesetz auch eine Werbekampagne für Deutschland – auch wenn sich faktisch | |
| wenig ändert. | |
| Ob sich die Reformer in den Parteien durchsetzen, hängt maßgeblich davon | |
| ab, wie Angela Merkel die Sache sieht. Die Kanzlerin hält sich bisher | |
| zurück. Sie müsse sich erst ein Urteil bilden, sagte Merkel gestern. „Das | |
| was drängender im Augenblick ist, ist die Frage der sehr vielen | |
| Flüchtlinge, die wir haben.“ | |
| 3 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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