# taz.de -- Studie über deutsche Auswanderer: Der Albtraum der Frauke Petry | |
> Viele Deutsche wandern aus, nicht alle kehren wieder zurück. Die meisten | |
> von ihnen wenden sich von ihrer Heimat aber nur auf Zeit ab. | |
Bild: Weit weg: Der gebürtige Pforzheimer Klaus Dihlmann kam Mitte der 1950er-… | |
BERLIN taz | Die Alternative für Deutschland (AfD) ist alarmiert. Mehr als | |
drei Millionen Deutsche hätten seit 1991 ihrem Land den Rücken gekehrt, | |
rechnete AfD-Sprecherin Frauke Petry kürzlich vor. Besonders dramatisch: | |
Allein im vergangenen Jahr seien mehr als 3.000 Mediziner ausgewandert. | |
Deutschland brauche „stärkere Anreize, um hochqualifizierte Deutsche bei | |
uns zu halten“, damit diese „nicht vermehrt durch schwer zu integrierende | |
Wirtschaftsmigranten ersetzt werden“, fordert Petry. | |
Wird dieser „ungebremste Brain Drain“ dramatisch unterschätzt, wie Petry | |
suggeriert? Tatsache ist, dass jedes Jahr mehr deutsche Staatsbürger aus | |
Deutschland fortgehen als wieder zurückziehen – die Differenz liegt bei | |
rund 25.000 Personen pro Jahr. | |
Das geht aus einer Studie hervor, die der Sachverständigenrat deutscher | |
Stiftungen für Integration und Migration (SVR) jetzt vorgelegt hat. Die | |
Forscher bezeichnen diese Netto-Abwanderung allerdings nur als „moderaten | |
Abfluss“ und nicht als „demographische Zeitbombe“ wie die AfD. | |
Die meisten Auswanderer zieht es in europäische Nachbarländer, allen voran | |
in die Schweiz, oder in die USA und Kanada. Und: vor allem junge Menschen | |
und gut Qualifizierte zieht es ins Ausland. Als Gründe für den | |
Tapetenwechsel machten die Forscher ein ganzes Motivbündel aus. | |
Abenteuerlust und Neugier seien „notwendige Voraussetzungen“, sagt Norbert | |
Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in | |
Wiesbaden. | |
## „Die andere Heimat“ | |
Die einen wechseln aus beruflichen Gründen ins Ausland, andere wegen der | |
Familie oder Ehepartnern. Und fast jeder Zweite hofft darauf, im Ausland | |
ein höheres Einkommen zu erzielen. Häufig geht diese Rechnung auch auf. Bei | |
der Rückkehr nach Deutschland müssen manche aber wieder finanzielle | |
Einbußen in Kauf nehmen – vor allem, wenn sie keine Akademiker sind. | |
Insgesamt 1.700 Menschen wurden für die Studie befragt. Zwei Gruppen | |
stachen dabei besonders heraus. Erstens waren Deutsche mit | |
Migrationshintergrund, die sich aus familiären Gründen oder aus | |
Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland in ein anderes Land aufgemacht | |
haben, deutlich überrepräsentiert. Sie zog es aber bei weitem nicht immer | |
in das Herkunftsland ihrer Eltern. Und zweitens waren viele Befragte | |
darunter, die schon mehr als einmal in ein anderes Land gezogen sind. Diese | |
Mehrfachwanderer sind ein neues Phänomen. | |
Deutschland aber war schon immer ein Auswanderungsland. Seinen Höhepunkt | |
erreichte der Exodus aus deutschen Landen in der zweiten Hälfte des 19. | |
Jahrhunderts, als mehr als fünf Millionen Deutsche in die USA emigrierten. | |
An diese Massenauswanderung erinnern heute noch das Auswanderermuseum in | |
Bremerhaven oder Filme wie „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz über | |
deutsche Auswanderer aus dem Hunsrück, die in Brasilien ihr Glück suchten. | |
## Brain Circulation statt Brain Drain | |
Durch die Doku-Soap „Goodybe Deutschland“ hat das Thema zuletzt neue | |
Aufmerksamkeit erhalten. Doch solche Reality-Serien bildeten „nicht das | |
Allgemeine, sondern das Spezielle“ ab, wendet der Wissenschaftler Schneider | |
ein. Deutsche Auswanderer seien jedenfalls in der Regel keine gescheiterten | |
Existenzen, die anderswo auf eine neue Chance hofften. | |
Auch von der Vorstellung, dass die meisten auf Dauer ihre Zelte abbrechen, | |
müssten wir uns verabschieden, meint Schneider. Sein Fazit: „Menschen | |
wandern temporär, nicht auf Dauer“. Weil diese Auswanderung häufig eine | |
Sache auf Zeit sei, pädiert seine Kollegin Cornelia Schu, die Leiterin des | |
SVR-Forschungsbereichs, dafür, sie weniger als Verlust denn als Chance zu | |
begreifen. | |
Statt von „Brain Drain“ solle man auch besser von „Brain Circulation“ | |
sprechen, meint Schu, denn die Rückkehrer kämen meist mit neuem Wissen und | |
mehr Expertise zurück. Ihre interkulturelle Kompetenz sei gut für | |
exportorientierten Wirtschaft wie die deutsche, aber auch für die | |
gesellschaftliche Offenheit insgesamt. | |
Die Forscher empfehlen, diese Kompetenzen stärker zu nutzen. Und sie | |
schlagen vor, den Kontakt mit der Diaspora zu pflegen und Rückkehrprogramme | |
zu entwickeln, um Fachkräfte bei Bedarf wieder nach Deutschland zurück | |
locken zu können. Zumindest der letzte Punkt könnte sogar der AfD gefallen. | |
11 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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