| # taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Der Preis der Verrohung | |
| > Menschenrechte sind nicht billig. Der Preis für eine menschenverachtende | |
| > Asylpolitik wird aber noch viel höher sein. | |
| Bild: Menschen zahlen mit ihrem Leben (Streetart in Bamberg). | |
| Innenminister brauchen Feinde. Wie sonst können sie sich als Schutzpatrone | |
| inszenieren? Terroristen eignen sich prima für dieses Theater, | |
| gegebenenfalls tun es auch Linke, notfalls müssen unpolitische Kriminelle | |
| herhalten. Thomas de Maizière nun hat sich eine neue Berufsgruppe | |
| ausgesucht: Die Schlepper. | |
| Das ist ungewöhnlich, aber zeitgemäß. Immerhin machen ertrinkende | |
| Flüchtlinge neuerdings Schlagzeilen, und der Innenminister muss sich fragen | |
| lassen, was er gegen das Massensterben im Mittelmeer zu unternehmen | |
| gedenkt. | |
| Seine Antwort zwischen den Zeilen lautet: Nichts. Gut vernehmlich sagt er: | |
| Wir stecken in einem Dilemma. Denn wir können die Menschen nicht einfach | |
| ertrinken lassen. Doch wenn wir sie alle retten, dann hilft das vor allem | |
| den „kriminellen Schleppern“. Die verdienen Tausende Dollar damit, Menschen | |
| auf unsicheren Booten nach Europa zu bringen. Das müsse ein Ende haben, | |
| weshalb ein neues Seenothilfeprogramm nicht infrage komme. | |
| Im Moment finden Tausende von Menschen den Tod. Weswegen in der Presse | |
| vielfach von einer „Tragödie“ gesprochen wird. Doch dieser Begriff geht | |
| fehl. | |
| ## Kein unausweichliches Schicksal | |
| So ist Tatsache, dass in den ersten vier Monaten dieses Jahres bereits | |
| schätzungsweise 900 Menschen ertrunken sind – im letzten Jahr waren es im | |
| selben Zeitraum 50 –, kein unausweichliches Schicksal. Es ist das Ergebnis | |
| einer politischen Entscheidung, nämlich der, das europäische | |
| Rettungsprogramm „Mare Nostrum“ einzustellen. „Mare Nostrum“ war von | |
| Oktober 2013 bis Oktober 2014 aktiv und rettete in dieser Zeit rund 100.000 | |
| Vertriebenen das Leben. Man kann dieses Programm jederzeit wieder | |
| aufnehmen. | |
| Das aber wollen Europas Sicherheitspolitiker nicht. Und de Maizière als | |
| Sprachrohr der deutschen Konservativen will es schon gar nicht. | |
| Schließlich: Wenn die Leute nicht ertrinken, stellen sie in Europa | |
| Asylanträge, zum Beispiel in Deutschland. Darauf ist die deutsche | |
| Verwaltung nicht eingestellt (auch ein Ergebnis einer politischen, nämlich | |
| personaltechnischen Entscheidung). | |
| Blöd nur, dass mangels Kapazitäten und Kompetenzen darüber diskutiert wird, | |
| Flüchtlinge nicht nur in Containern, sondern auch in ehemaligen KZs | |
| unterzubringen. Das übersteht kein guter Ruf unbeschadet. Also schien es | |
| opportun, das Programm zur Rettung durch eines zur Kontrolle zu ersetzen: | |
| „Triton“ (passenderweise heißt so ein griechischer Meeresgott) soll daher | |
| nicht mehr Leben, sondern EU-Außengrenzen schützen. | |
| Über diese Fakten aber geht de Maizière hinweg. Und der ihn zur jüngsten | |
| Katastrophe interviewende ZDF-Journalist trägt sie auch nicht an ihn heran. | |
| Weshalb der Minister unwidersprochen Flüchtlingshelfer zum eigentlichen | |
| Problem erheben kann. | |
| ## Die wirklichen Kosten | |
| Ohne diese Helfer also blieben die jungen Männer und die vielen Kinder in | |
| Syrien oder in Libyen? Auch dafür fehlt dem Minister der Beleg. Doch wieder | |
| muss er keine Nachfrage befürchten. Weshalb er nahtlos zur Schelte der | |
| EU-Länder übergeht. | |
| Sein Ärger, dass Frankreich oder England so gut wie niemanden aufnehmen, | |
| ist aber natürlich berechtigt. Doch würde das mächtige Berlin auf eine | |
| menschenwürdige Flüchtlingspolitik dringen, würde diese auch auf den Weg | |
| gebracht. Das tut Berlin aber nicht. Denn: Was ist mit den Kosten? Und es | |
| stimmt ja: Menschenrechtsschutz sind nicht billig. Trotzdem ist der | |
| eigentliche Preis der Verrohrung ein anderer, und er ist höher. | |
| Eine EU, die es zulässt, dass Tausende vor ihren Küsten ertrinken, wird | |
| sich auch intern der grassierenden Menschenverachtung nicht erwehren | |
| können. Der Aufstieg der Rechten (wie hierzulande der AfD) ist Vorbote | |
| einer solchen Entwicklung. Was nämlich könnte ein de Maizière der | |
| Fremdenfeinden entgegenhalten? Nichts. Genau. Eine gerechte | |
| Flüchtlingspolitik ist daher vor allem eine Frage des Selbstschutzes. | |
| 17 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
| ## TAGS | |
| Triton | |
| Mittelmeer | |
| Thomas de Maizière | |
| Flüchtlinge | |
| EU | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Jacques Derrida | |
| Theater | |
| Joachim Gauck | |
| Flüchtlinge | |
| Mittelmeer | |
| UNHCR | |
| Frontex | |
| Günther Jauch | |
| Küstenwache | |
| Asylrecht | |
| CSU | |
| Wahlkampf | |
| Initiative | |
| Schiffsunglück | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Frontex | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Flüchtlingshelfer auf dem Land: Gegen die Angst | |
| Nach den rassistischen Vorfällen der letzten Wochen haben nicht nur | |
| Flüchtlinge, sondern auch deren Helfer Angst. Das hat auch etwas Gutes. | |
| Faire Produkte aus dem Kriegsgebiet: Turnbeutel aus Syrien | |
| Die deutsche Unternehmerin Lanna Idriss lässt in Syrien Accessoires | |
| herstellen. Damit schafft sie Jobs für Frauen, die so ihre Familie ernähren | |
| können. | |
| Essay zu Flüchtlingspolitik: Aufklärung vor Europäern retten | |
| Nicht nur Geflüchtete sind in Gefahr. Auch die Ideale des Kosmopolitismus | |
| und Humanismus müssen vor der EU-Migrationspolitik gerettet werden. | |
| Berliner Theatertreffen: Der Einbruch der Realität | |
| Ein Theatertreffen wird politisch: Der Thementag „Say it loud, say it | |
| clear!“ zu Flucht und Asylpolitik bietet auch illegalisierten | |
| Laiendarstellern eine Bühne. | |
| Kolumne Der rote Faden: Humanitäre Fähren für Europa | |
| Die EU-Chefs werden einen Teufel für die ertrinkenden Flüchtlinge tun. Sie | |
| wollen wiedergewählt werden und die Rechten sitzen ihnen im Nacken. | |
| Zunahme von Asylbewerbern in Berlin: Ausländer überfordern Behörde | |
| Wegen Überlastung schickt die Ausländerbehörde Flüchtlinge weg. Der | |
| Innensenator sei untätig, kritisieren Polizeigewerkschaft und Grüne. | |
| Syrien ist Gedöns: Kommt nicht in den Emohaushalt | |
| Syrer, ihr gehört einfach nicht zu uns. Wir haben uns längst entschieden | |
| und wir leben länger. Ihr nervt. Geht sterben, aber leise. | |
| UNHCR über Flüchtlinge in Libyen: „Die Lage wird immer prekärer“ | |
| Es ist schwer, ein Mindestmaß an Versorgung für die Flüchtlinge in dem | |
| zerfallenden Staat zu leisten, sagt die UNHCR-Mitarbeiterin Sarah Kahn. | |
| Flucht über das Mittelmeer: Das Geschäft der Schmuggler | |
| Arbeitslosigkeit und Bürgerkriege treiben die Menschen fort. NGOs schätzen, | |
| dass täglich bis zu 700 Migranten die libysche Küste verlassen. | |
| TV-Talk Günther Jauch: Wenn man keine Ahnung hat, … | |
| … einfach mal die Klappe halten. Ihren stärksten Moment hatte die | |
| Jauch-Sendung vom Sonntag in der einen Minute, in der absolute Stille | |
| herrschte. | |
| Kommentar Seenotrettung: Massengrab Mittelmeer | |
| 700 tote Flüchtlinge: Europa muss sich auf das Machbare konzentrieren – und | |
| von der Illusion verabschieden, es könne die Flüchtlinge fernhalten. | |
| Seenotrettung im Mittelmeer: Rund 30 Cent pro EU-Bürger | |
| Nach der Einstellung der Marinemission Mare Nostrum wird die Zahl der Toten | |
| wohl steigen. Wie könnte eine neue Seerettungsmission aussehen? | |
| Selbstanzündung wegen Abschiebung: Über den Notruf angekündigt | |
| Ein Flüchtling in Niedersachsen hat sich mit Benzin übergossen und | |
| angezündet. Die CSU fordert derweil eine konsequentere Umsetzung von | |
| Abschiebungen. | |
| Im Wahlkampf mit der CDU: Aufmarsch der starken Männer | |
| Zur Unterstützung ihrer Parteifreunde karrt die CDU ihre sämtlichen | |
| Innenminister nach Bremen, ins gut gesicherte Atlantic Grand Hotel. | |
| Hotline für Flüchtlinge in Seenot: Druck für mehr Verantwortung | |
| Wohl dank des „Alarm-Phones“ wurden vor kurzem 600 Flüchtlinge vor der | |
| libyschen Küste gerettet. Eine Initiative will das Sterben auf See beenden. | |
| Flüchtlinge an Europas Außengrenze: Erneut Tote im Mittelmeer | |
| 40 Menschen sollen beim Untergang eines Flüchtlingsschiffs umgekommen sein. | |
| Auf einem anderen Schiff soll ein religiös motivierter Streit Todesopfer | |
| gefordert haben. | |
| Migration und Rassismus: Sind die neunziger Jahre zurück? | |
| Auch wenn sie jetzt wieder Flüchtlingsheime anzünden und Flüchtlinge | |
| angreifen – das Deutschland von einst kriegen die Rassisten nicht zurück. | |
| Flüchtlinge im Mittelmeer: Katastrophe vor Libyen | |
| Überlebende und die Hilfsorganisation Save the Children berichten vom | |
| Untergang eines Flüchtlingsschiffes im Mittelmeer: mehr als 400 Tote. |