# taz.de -- Flucht über das Mittelmeer: Das Geschäft der Schmuggler | |
> Arbeitslosigkeit und Bürgerkriege treiben die Menschen fort. NGOs | |
> schätzen, dass täglich bis zu 700 Migranten die libysche Küste verlassen. | |
Bild: Von der libyschen Küstenwache gerettete Flüchtlinge in Misrata. Ihr Sch… | |
MISRATA/ZUWARA taz | Die Regeln der Schmuggler sind streng. Wer sich über | |
die ständig wechselnden Nummern an die Schmuggler gewendet und die üblichen | |
1.000 Euro im Voraus gezahlt hat, muss sich Tag und Nacht bereithalten. Nur | |
drei Stunden vor der Abfahrt kommt ein Anruf, dann geht alles schnell. | |
Handy abgeben, nur das Nötigste einpacken, Gepäck ist tabu. Mit kleinen | |
Lieferwagen geht es über Feldwege zu entlegenen Strandabschnitten. | |
Manchmal müssen die Gruppen von jeweils zwölf Leuten auch in verlassenen | |
Häusern über Tage auf die Boote warten. Wer gegen das Kommunikationsverbot | |
verstößt, wird hart bestraft, immer wieder werden Leichen mit Folterspuren | |
am Strand gefunden. Die Strände der Berberstadt Zuwara sind ebenso | |
berüchtigt für ihre Schmuggler wie die libysche Kleinstadt Garabuli. | |
Von Letzterer war auch das in der [1][Nacht zum Sonntag verunglückte Boot] | |
gestartet. Die Strände Garabulis sind seit zwei Jahren Ausgangspunkt für | |
Hunderte Boote, die sich auf den Weg nach Lampedusa oder Sizilien machen. | |
Es sind oft kleinere Milizen, die nach den ausbleibenden Zahlungen des | |
Verteidigungsministerium mit dem Schmuggel eine neue Einnahmequelle | |
gefunden haben. | |
Im [2][Chaos des Bürgerkrieges] zwischen den beiden Militärallianzen Fajr | |
Libya und Karama setzen sich immer mehr kriminelle Strukturen und | |
Extremisten durch. | |
## Bürgerwehren gegen Schmuggler | |
Von den Stränden der westlibyschen Küstenstädte Zliten, Khoms, Misrata und | |
Zuwara schickten die Schmuggler im letzten Jahr mehr als 170.000 | |
Flüchtlinge über das Mittelmeer, rund dreimal mehr als vor drei Jahren. | |
Libysche NGOs schätzen, dass zurzeit täglich 300 bis 700 Migranten aus | |
Subsahara Afrika die libysche Küste verlassen. | |
Die Polizei müssen die Schmuggler nicht fürchten, aber die Ablehnung der | |
Öffentlichkeit in ihren Gemeinden. In der Küstenstadt Zuwari versuchen | |
zumindest die sogenannten schwarzen Masken, eine Art Bürgerwehr, die | |
Schmuggler fernzuhalten. Sie nimmt junge Männer aus Zuwara fest, die mit | |
einem Netzwerk von Milizen im Süden kooperieren. | |
„2.000 Euro im Monat kann man nur mit dem Vermitteln ’der Ware‘ verdienen… | |
sagt ein Aktivist der schwarzen Masken. Er vermutet, dass auch in seinen | |
Reihen Schmuggler arbeiten. „Es ist einfach zu viel Geld in kurzer Zeit zu | |
verdienen“, sagt der Ingenieur. | |
Zwei Routen führen durch Libyen: Die Eriträer, Somalis und Sudanesen kommen | |
meist in den Osten Libyens. Ab den Kontrollpunkten in Misrata und Sirte | |
versuchen die Milizen der Brigade 166 die Flüchtlinge zu stoppen und sie in | |
Internierungslager in Misrata zu bringen. | |
## Arbeitsmarkt ist gesättigt | |
Die Hauptroute führt in die libyschen Wüstenoasen Murzuk und Gatru, wo die | |
meisten jungen Männer in zwei Monaten genug Geld für die Weiterfahrt in die | |
libysche Hauptstadt Tripolis verdienen – rund 1.000 Dinar kostet diese. | |
Wer es schafft, sich aus den Milizgefängnissen freizukaufen, fand bislang | |
auf den zahlreichen privaten Baustellen Arbeit. Doch der Arbeitsmarkt ist | |
auch hier gesättigt, immer mehr junge Männer stehen mit Schaufeln, | |
Malerpinseln und Spachteln an den Kreuzungen, um ihre handwerklichen | |
Dienste anzubieten. | |
Nach der [3][Enthauptung ägyptischer Geiseln] waren ägyptische Gastarbeiter | |
aus Libyen geflohen, doch das hat nur kurzfristig Jobs gebracht. Der | |
libysche Staat zahlt nur noch unregelmäßig Löhne aus und 70 Prozent der 6 | |
Millionen Libyer sind öffentliche Angestellte. | |
## Chaos des Bürgerkriegs | |
Seitdem sich der „Islamische Staat“ in Muammar Gaddafis ehemaliger Hochburg | |
Sirte festgesetzt hat und junge Männer rekrutiert, fürchten die Misratis, | |
dass auch die Flüchtlinge in deren Fänge geraten könnten. | |
In den letzten drei Jahren fanden die Flüchtlinge meist gut bezahlte Arbeit | |
in Libyen, mit dem Absturz in den Bürgerkrieg und zwei konkurrierenden | |
Regierungen ohne Budget stehen auch junge Libyer auf der Straße. | |
Der Chef der libyschen Küstenwache, Rida Berissa aus Misrata, kann nicht | |
verstehen, [4][dass Europa vor der Küste Libyens nicht mehr hilft]. Mit | |
zwei Booten überwacht die Marine einen 600 Kilometer langen | |
Küstenabschnitt. Am Wochenende soll sogar ein libyscher Matrose auf einem | |
italienischen Schiff nach Italien verschleppt worden sein. Italienische | |
Fischer werden verdächtigt, den Menschenschmugglern logistisch zu helfen. | |
„Wenn man uns an der Arbeit hindert, hören wir bald auf, die Boote zu | |
stoppen“, warnt Berissa. | |
20 Apr 2015 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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