| # taz.de -- Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer: Zahl der Toten steigt weiter | |
| > Bei der erneuten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer werden rund 950 | |
| > Tote befürchtet. Hilfsorganisationen und Politiker drängen auf | |
| > Konsequenzen seitens der EU. | |
| Bild: 12. April 2015: Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gekentert sind. | |
| ROM/GENF/RIAD ap/dpa | Bei der vermutlich bisher schlimmsten | |
| Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer haben sich einem Überlebenden zufolge | |
| 950 Menschen auf dem gekenterten Schiff befunden. Rund 300 der Insassen | |
| seien von Schmugglern in den Laderaum des Fischerboots gesperrt worden, | |
| sagte der Mann aus Bangladesch der Staatsanwaltschaft. Mehrere europäische | |
| Staats- und Regierungschefs forderten Konsequenzen. | |
| Die genaue Zahl der Menschen an Bord ist bisher nicht klar. Das Schiff war | |
| auf dem Weg nach Malta vor der Küste Libyens gesunken. Laut Küstenwache | |
| kenterte das Boot womöglich deshalb, weil Flüchtlinge auf eine Seite geeilt | |
| waren, als sie am Samstagabend ein unter portugiesischer Flagge fahrendes | |
| Containerschiff herannahen sahen. Die „King Jacob“ war losgeschickt worden, | |
| um den Migranten zu helfen. | |
| Der italienische Grenzpolizist Antonino Iraso sagte, das Mittelmeer sei am | |
| Unglücksort zu tief für Taucher, wodurch nicht alle Opfer gefunden und | |
| somit womöglich niemals eine endgültige Opferzahl angegeben werden könne. | |
| Vor Libyen ist das Meer bis zu fünf Kilometer tief. | |
| UN-Generalsekretär Ban Ki Moon teilte am späten Sonntagabend (Ortszeit) in | |
| New York mit, die jüngste Tragödie sei eine dringliche Erinnerung „an den | |
| akuten Bedarf an einer robusten Such- und Rettungskapazität im Mittelmeer“. | |
| Das Gebiet sei „die tödlichste Route der Welt, die von Asylsuchende und | |
| Migranten genutzt wird“. | |
| ## Solidarität und mehr Mittel | |
| Nach der Havarie sprach sich der griechische Ministerpräsident Alexis | |
| Tsipras für einen von Renzi vorgeschlagenen EU-Krisengipfel zum Thema | |
| Migration aus. Südliche EU-Länder müssten Vorschläge koordinieren, um | |
| Flüchtlingstragödien zu verhindern, sagte Tsipras. Er forderte europäische | |
| Solidarität. „Unsere Meere können nicht zu Leichendeponien werden“, sagte | |
| Tsipras. | |
| Frankreich, Spanien, Deutschland und Großbritannien forderten eine | |
| einheitliche Reaktion auf das Problem. Europa könne und müsse mehr tun, | |
| sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. „Es ist eine Schande und ein | |
| Armutszeugnis, wie viele Länder vor Verantwortung wegrennen und wie wenig | |
| Geld wir für Rettungseinsätze bereitstellen.“ | |
| Europa müsse mehr Schiffe und mehr Flugzeuge zur Verfügung stellen, sagte | |
| Frankreichs Präsident François Hollande dem Fernsehsender Canal. Nur mit | |
| Worten werde das Problem nicht gelöst, sagte Spaniens Regierungschef | |
| Mariano Rajoy. | |
| Auch CSU-Chef Horst Seehofer hat die Europäische Union zum Handeln | |
| aufgefordert. „Das ist eine ganz, ganz große Tragödie“, sagte der | |
| bayerische Ministerpräsident am Montag am Rande seines Besuchs in | |
| Saudi-Arabien in Riad. „Und ich denke, das führt uns allen vor Augen, dass | |
| sich die internationale Staatengemeinschaft wesentlich intensiver um diese | |
| Problematik kümmern muss als dies in der Vergangenheit der Fall war.“ Das | |
| könne man Italien nicht alleine überlassen, sagte Seehofer mit Blick auf | |
| die Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer. „Sondern für solche Zwecke gibt's | |
| die Europäische Union - und die sollte gemeinschaftlich tätig werden.“ | |
| ## Hilfsorganisationen fordern Hilfe von EU | |
| Auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen verlangen von der EU, solche | |
| Tragödien zu verhindern. Die Hauptforderung von Organisationen wie Human | |
| Rights Watch (HRW), dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) oder der | |
| Internationalen Organisation für Migration (IOM) lautet: Die EU soll die | |
| 2014 von Italien eingestellte Such- und Rettungsoperation Mare Nostrum als | |
| gemeinschaftliche Aktion erneut starten. | |
| „Die EU steht mit verschränkten Armen da, während vor ihren Küsten Hunderte | |
| sterben“, kritisiert die stellvertretende Europa-Direktorin von HRW, Judith | |
| Sunderland. Die Frontex-Mission Triton, mit der Mare Nostrum abgelöst | |
| wurde, habe „viel weniger Schiffe, nur ein Drittel des Budgets und ein | |
| kleineres geografisches Ausmaß“. | |
| „Das Desaster zeigt, wie dringend eine robuste Seerettungsoperation ist“, | |
| sagt UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. Die Europäer müssten sich | |
| aber auch auf ein umfassendes Herangehen verständigen, mit dem „die | |
| tieferen Ursachen angegangen werden, die so viele Menschen in die Flucht | |
| und ein derart tragisches Ende treiben“. Nötig seien zudem legale | |
| Fluchtwege und „humanitäre Visa“. | |
| ## Entschlossenes Vorgehen gefordert | |
| Die Einrichtung sicherer Fluchtkorridore fordert auch IOM-Generaldirektor | |
| William Swing. Zudem müsse Menschen aus Kriegsgebieten wie Syrien sofort | |
| ein zeitweiliger Schutzstatus gewährt werden, sagte Swing im CNN-Interview. | |
| Zugleich fordert er ein entschlossenes Vorgehen gegen alle, die Profite mit | |
| Flüchtlingen machen. „Menschenschmuggler müssen verhaftet und bestraft | |
| werden.“ | |
| Die IOM organisiert derzeit eine globale Konferenz zur | |
| Flüchtlingsproblematik. Alle humanitären Organisationen sind sich jedoch | |
| darin einig, dass die Seenotrettung Vorrang vor Konferenzen hat. „Wie viele | |
| Menschen sollen noch sterben, bevor die EU anerkennt, dass das | |
| Triton-Programm nicht genug ist und durch eine echte Such- und | |
| Rettungsoperation ersetzt werden muss“, heißt es in einer Stellungnahme der | |
| Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften | |
| (IFRC). | |
| 20 Apr 2015 | |
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