# taz.de -- Reaktionen Katastrophe im Mittelmeer: Sogar de Maizière gibt sich … | |
> Außen- und Innenminister diskutieren in Brüssel. Die Linke will Frontex | |
> abschaffen, die Grünen fordern sichere Fluchtwege nach Europa. | |
Bild: „Die Seenotrettung muss erheblich verbessert werden“, forderte der Mi… | |
BRÜSSEL/BERLIN taz | Bisher war fast alles tabu, nun scheint plötzlich | |
vieles möglich: Nach den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer mit | |
mehr als 1.000 Toten kam am Montag Bewegung in die festgefahrenen Fronten | |
in Deutschland und Europa. In Berlin begann eine Debatte über einen | |
Richtungswechsel in der Flüchtlingspolitik. In Luxemburg hielten die | |
EU-Außen- und Innenminister eine Krisensitzung ab; einen Sondergipfel in | |
Brüssel setzte EU-Ratspräsident Donald Tusk für Donnerstag an. | |
Ein solches Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs hatte schon am | |
Wochenende Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi gefordert. Sein Land sei | |
von der EU zu oft allein gelassen worden, nun müssten endlich alle | |
gemeinsam handeln. „Der Status quo ist keine Option mehr“, pflichtete | |
Kommissionschef Jean-Claude Juncker bei. | |
„Der Nobelpreisträger EU ist der tödlichste Hotspot für Flüchtlinge | |
weltweit – Europa muss endlich handeln“, forderte die grüne | |
Europaabgeordnete Ska Keller. Nötig seien eine europäische Seenotrettung | |
sowie eine legale und sichere Zugangsmöglichkeit für Flüchtlinge nach | |
Europa. Doch so weit wollen die meisten EU-Politiker (noch) nicht gehen. | |
Die EU müsse vor allem gegen Schlepper vorgehen, so das konservative | |
Mantra. | |
Beim Treffen der Außen- und Innenminister in Luxemburg lagen alle Optionen | |
auf dem Tisch: Von einer gemeinsamen Seenotrettungsmission über eine | |
verstärkte Kontrolle der Küste Libyens bis hin zu stärkerem Druck auf | |
Drittstaaten wie Ägypten reichte die Palette. | |
## Fluchtgründe und Menschenhändler | |
Sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gab sich plötzlich | |
liberal: „Die Seenotrettung muss erheblich verbessert werden, sie muss | |
schnell organisiert und europäisch finanziert werden“, forderte der | |
Minister. Damit Schlepperbanden dies nicht ausnutzten, müssten die | |
EU-Staaten gleichzeitig gegen Menschenhändler vorgehen. | |
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief dazu auf, „die | |
Fluchtgründe an der Wurzel zu bekämpfen“. Der Blick müsse sich auf die | |
Krisenherde vor Ort richten, insbesondere auf Libyen. Allein in Libyen | |
warten nach Angaben von de Maizière rund eine Million Flüchtlinge auf die | |
Überfahrt in die EU. | |
Die Grünen-Spitze forderte die Bundesregierung auf, sofort wieder ein | |
Seenotrettungsprogramm zu starten. „Das Argument der Bundesregierung, die | |
Seenotrettung würde bloß den Schlepperbanden in die Hände spielen, ist an | |
Zynismus nicht zu überbieten“, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. Die | |
Bundesregierung müsse sich für sichere Fluchtwege in die EU einsetzen. Die | |
Grünen-Fraktion beantragte eine aktuelle Stunde im Bundestag. | |
Der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, rief die Große Koalition auf, | |
die EU-Grenzschutzagentur Frontex abzuschaffen. Der | |
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), | |
schlug ein „humanitäres Visum“ für Bürgerkriegsflüchtlinge vor. Dadurch | |
würden diese einen legalen Zugang nach Europa bekommen, sagte er im WDR. | |
## Die Bekämpfung von Schlepperbanden | |
Gemischte Signale kamen aus dem Bundeskanzleramt. Der Sprecher der | |
Kanzlerin versicherte, Angela Merkel sei „erschüttert“ über die Katastrop… | |
im Mittelmeer. Die Unglücksserie mit Flüchtlingsschiffen sei „ein Zustand, | |
der Europas nicht würdig ist“. Allerdings warnte er davor, auf „einfache | |
Antworten“ zu hoffen. Neben der Rettung von Menschenleben und der | |
Bekämpfung von Schlepperbanden müsse es auch darum gehen, die Lage in den | |
Herkunfts- und Transitländern zu stabilisieren. | |
Merkel hatte bisher alle Versuche blockiert, die Flüchtlingspolitik der EU | |
humaner zu gestalten. Insbesondere hatte sie eine neue Lastenteilung nach | |
dem Schiffsunglück vor Lampedusa vor zwei Jahren verhindert. Damals waren | |
mehr als 360 Flüchtlinge ums Leben gekommen. Italien reagierte damals mit | |
der Hilfsaktion „Mare Nostrum“, stellte sie aber wegen mangelnder | |
EU-Unterstützung wieder ein. Seither häufen sich die Unglücke auf dem | |
Mittelmeer. | |
20 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
Astrid Geisler | |
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