# taz.de -- Berliner Theatertreffen: Der Einbruch der Realität | |
> Ein Theatertreffen wird politisch: Der Thementag „Say it loud, say it | |
> clear!“ zu Flucht und Asylpolitik bietet auch illegalisierten | |
> Laiendarstellern eine Bühne. | |
Bild: Während sich die EU abschottet, öffnet sich das Theater einem politisch… | |
„Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen!“ Dies ist der | |
Schlüsselsatz in Nicolas Stemanns Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“ nach | |
Elfriede Jelinek, die das 52. Theatertreffen in Berlin eröffnete. Es ist | |
die Inszenierung der Stunde, eine wütende Abrechnung mit der europäischen | |
Ignoranz gegenüber den Abertausenden Flüchtlingen – und der Hilflosigkeit | |
des Theaters. | |
Der Satz fiel im Haus der Berliner Festspiele, wo am Samstag über Flucht | |
und Asylpolitik diskutiert wurde, sehr häufig. Der Titel des Thementages, | |
„Say it loud, say it clear …!“, ist ein Kampfruf der Flüchtlingsbewegung, | |
die auf ihrem Marsch nach Berlin und in Protestcamps Solidarität | |
einforderte. Eigentlich lautet der zweite Teil des Slogans „Refugees are | |
welcome here“ – doch so ist es eben nicht. Den Wenigen, die hier ankommen, | |
wird das Leben schwer gemacht. | |
In ihrem Eröffnungsvortrag erzählt die Anwältin Berenice Böhlo von der | |
Arbeit mit Geflüchteten zwischen Illegalität und Residenzpflicht und den | |
Versuchen, die Politik zu Veränderungen zu bewegen. „Wir sind damit | |
komplett gescheitert“, sagt Böhlo. Und so kam es zu den | |
Selbstorganisationen und Bündnissen mit Kulturschaffenden, die auch im Haus | |
der Berliner Festspiele präsent sind, „My right is your right!“ etwa oder | |
„borderline europe“. | |
## Was kann das Theater tun? | |
Während also die EU-Grenzen dicht sind, öffnet sich das Theatertreffen | |
einem politischen Diskurs. Was kann das Theater tun? Wie kann es sensible | |
Themen wie Flucht auf die Bühne bringen und die Wirklichkeit der | |
Geflüchteten reflektieren, ohne in den Paternalismus des | |
Repräsentationstheaters zu verfallen? | |
„Die, die auf der Bühne darstellen dürfen, sind nicht die, die dargestellt | |
werden sollen“, sagt Ahmed Shah vom Jugendtheaterbüro in Berlin. Er erzählt | |
von „Letters Home“, einem Theaterprojekt, in dem Geflüchtete aus der | |
Erstaufnahmestelle Motardstraße ihre Lebensbedingungen bearbeiten: Sie | |
drehen den Spieß um und berichteten den Angehörigen von ihrem isolierten | |
Leben in Deutschland. „So zeigen wir den Menschen, dass wir da sind“, sagt | |
Samee Ullah vom Refugee Club. Für ihn ist „Letters Home“ viel mehr als nur | |
Kunst. | |
Orte für solche Inszenierungen gibt es in den Theatern aber kaum. Für | |
Räume, in denen auch Menschen ohne Rechte frei agieren können, plädiert | |
darum Marianna Salzmann. Sie ist eine der ProtagonistInnen des | |
postmigrantischen – Salzmann sagt: „des neuen deutschen“ – Theaters, das | |
sich am Berliner Maxim Gorki Theater etabliert hat. | |
Hier setzt die Inszenierung der „Schutzbefohlenen“ an. Denn auch Jelinek | |
spricht einfach aus der Perspektive der Geflüchteten, nimmt ihnen die | |
Stimme. „Das ist ein blinder Fleck im Text“, sagt Stemann. Auf der Bühne | |
leuchtet er ihn aus und exerziert Darstellungsformen durch: Eingangs | |
rezitieren weiße Darsteller den Text, es kommen schwarze hinzu, | |
„Blackfacing“ wird eingesetzt – erst dann treten Geflüchtete auf, | |
LaienschauspielerInnen. Betroffene. | |
## Das Scheitern der Gesellschaft auf der Bühne | |
Die meisten haben keine Arbeitserlaubnis, ihr Auftritt ist also nicht | |
legal. Eine äußerst prekäre Situation, für die es einige Beispiele gibt. In | |
Hamburg etwa wird gegen die Kampnagel-Intendantin ermittelt, wegen | |
Verdachts auf „Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht für | |
Ausländer“. Amelie Deuflhard hatte in einer Kunstaktion afrikanische | |
Geflüchtete ein 24-Stunden-Winterquartier errichten lassen. | |
Dieser Einbruch der Realität der Marginalisierten macht auch aus Stemanns | |
Inszenierung mehr als ein bloßes Vorführen der gesellschaftlichen Konflikte | |
nach Brecht. Mit den illegalisierten SchauspielerInnen kommt das konkrete | |
Scheitern der Gesellschaft auf die Bühne. Der fundamentale Ausschluss von | |
Geflüchteten. „Das ist Rassismus“, sagt Ahmed Shah. Für die klaren Worte | |
bekommt er Applaus. | |
Eine Erkenntnis dieses Tages ist, wie wichtig die Flüchtlingsproteste | |
waren, um eine Debatte über Repräsentation und Ausschluss zu beginnen. Sie | |
wurde von den Geflüchteten erzwungen. Nicht vom Theater. Nicht von der | |
Gesellschaft. Tatsächlich gibt es immer mehr partizipative Theaterprojekte, | |
Kulturinstitutionen öffnen sich einen Spalt. | |
Diese Entwicklung zeigt sich auf dem Podium, wo VertreterInnen des | |
traditionellen Theaters und der neuen deutschen Szene sitzen. Am Ende | |
resümierte Barbara Burckhardt von der Jury des Theatertreffens, sie sei mit | |
der Frage in die Diskussion gegangen, wie Theater Kunsträume überschreiten | |
könne: „Aber eigentlich müssen die Theater sich öffnen und Platz schaffen | |
für das, was schon da ist.“ Eine späte, aber sehr ehrliche Erkenntnis. | |
3 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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