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# taz.de -- „The Situation“ am Maxim Gorki Theater: Brennende Beziehungen
> Yael Ronen schickt in „The Situation“ am Berliner Gorki Theater sechs
> Israelis, Araber, Palästinenser und Syrer in einen Sprachkurs.
Bild: In Berlin treffen Israelis und Araber aufeinander und müssen mit „The …
Der Palästinenser Amir stammt aus Haifa, sein Pass ist israelisch, sein
Arabisch akzentfrei – das allein reicht für einen biografischen Seiltanz.
Doch Amir, gespielt von Yousef Sweid, gibt im Deutschkurs in jeder Hinsicht
ein gefundenes Fressen ab: Der Sprachlehrer sieht in ihm einen
integrationsunwilligen Araber. Der Syrer Hamoudi wittert einen Verräter,
Kollaborateur, wenn nicht Spion. Und Amirs israelische Frau betont, dass
sie sich aus privaten Gründen scheiden lässt – was natürlich genau die
politischen Gründe meint. Bald diskutiert das Ehepaar hitzig über das
Scheitern der Friedensverhandlungen.
Der Nahostkonflikt bestimmt in Yael Ronens Inszenierung „The Situation“ am
Maxim Gorki Theater Berlin wieder die gegenseitige Wahrnehmung, bringt die
Beziehungen zum Brennen zwischen sechs Darstellern unterschiedlicher
Herkunft. Israelis, Araber, Palästinenser, Syrer stecken zusammen in einem
Sprachkurs. Der Deutschlehrer versucht Ordnung zu schaffen und heizt doch
mit seinen Vermittlungsbemühungen die Konflikte tollpatschig an. Denn das
Reden über „The Situation“, nämlich die unübersichtliche Lage in Nahost,
ist ein rhetorischer Eiertanz.
Jedes noch so kleine Wort kann Sprengstoff sein. „Uhhh“, kommentiert der
Sprachlehrer die Angabe von Israel als Heimatland. Schon entzünden sich
Anschuldigungen, Projektionen, Aggressivität. Wie die Israelin Noa (Orit
Nahmias) losschießt, lässt spüren, wie der politische Konflikt längst auch
in privates Reden eingeflossen ist. Dieses Prinzip hat Regisseurin Yael
Ronen bereits in etlichen Arbeiten erprobt. Zuletzt im gefeierten „Common
Ground“ über eine Generation, die in den Balkankrieg hineingeboren wurde.
Jetzt geht es um die, die mit der Muttermilch die inneren Fronten des
Nahostkonflikts aufsogen; darunter Hipster, die über Kunstprojekte oder
Facebook-Kontakte nach Berlin gekommen sind. Und doch schließt der Abend
indirekt an die aktuelle Flüchtlingsnot an. Der Stadtteil Neukölln wirkt
hier wie ein Katalysator, der Ort, der alle eng zusammenbringt und ein
Nebeneinander erfordert, das ihnen abtrainiert wurde. Noa wurde zu Hause
stets eingeschärft, sich nicht als Israelin erkennen zu geben, wenn man auf
Araber trifft. Explosionsartig holt sie nun die Auseinandersetzung nach.
## Messerscharfe Dialoge
Ronen scheut sich nicht, Verdrängtes und Unerwünschtes anzupacken.
Klischees werden durchlaufen – unverkrampft, mit Witz und Galgenhumor; und
doch mit großer Diskussionsintelligenz, die andere Theaterarbeiten zu dem
Thema mühelos hinter sich lässt. Keiner schafft es im Moment so wie diese
Regisseurin und ihre Spieler, aus kleinen, aber messerscharfen Dialogen die
Nahostproblematik heraufzubeschwören, die anderswo erst umständlich
pädagogisch ausgewalzt wird.
Dicht fügen sich die szenischen Begegnungen, die auf einer quietschgelben
Treppe und an einem Currywurstwagen spielen. Die schwarze Palästinenserin
Laila macht beim Deutschlehrer Stefan die Ansprüche auf das Gästezimmer
geltend, das der Syrer bewohnt. Sie pocht auf ihren Status, Minderheit und
Opfer zu sein. Ungeschönt, aber urkomisch auch Hamoudis Erklärung, warum
Kontakte zum IS hilfreich seien, was sich dann doch nur als Witz entpuppt.
Die Alltagsszenen bohren sich schmerzhaft tief in die Realität, und
biografische Reflexionen verleihen dem Abend Authentizität, ohne in die
Nähe von Dokumentartheater zu geraten. Wenn Dimitri Schad als Deutschlehrer
reflektiert, wie seine kasachischen Eltern mit ihm nach Deutschland
übersiedelten, sind er und seine Rolle nicht mehr zu trennen: Dann fließt
auch des Spielers Biografie mit ein, von wechselnden Gefühlen grundiert.
## Umgang mit Identität
Die Scham über den lügenden, kriminellen Vaters verwandelt sich in Stolz
auf seinen Überlebenswillen. Als Zuschauer kann man sich damit so gut
identifizieren, handelt es sich doch um den Umgang mit Identität, Herkunft,
Konfliktlösungen, der eine breite Mitte betrifft. Darin liegt auch die
besondere Leistung des Maxim Gorki Theaters, an dem Yael Ronen sowieso ein
Aushängeschild ist.
Am Ende schickt einen die Inszenierung sogar in optimistischen Stimmung
nach Hause, da einst die Berliner Mauer fiel, ein Schwarzer als Präsident
der Vereinigten Staaten amtiert und Frauen zur Staatsoberhäuptern gewählt
werden. Alles ist möglich, auch Frieden in Nahost. Die Hoffnung stirbt
nicht.
9 Sep 2015
## AUTOREN
Simone Kaempf
## TAGS
Yael Ronen
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