| # taz.de -- Theaterprojekt „Durch das Schweigen“: Vorsichtige Annäherung | |
| > Das Schlosstheater Celle zeigt den Nahostkonflikt durch Dialoge zwischen | |
| > einer Israelin und einem Palästinenser. Entstanden ist ein berührender | |
| > Abend. | |
| Bild: Im Dokutheater-Stil geht es auch um das Displaced Person Camp Bergen-Bels… | |
| Am 7. Oktober 2023 schien das Theaterprojekt gestorben. Der | |
| palästinensische Terroranschlag auf die israelische Zivilbevölkerung und | |
| die folgende Zerstörung Gazas machten es unmöglich, mit gleich | |
| rücksichtsloser Offenheit und emotionaler Subjektivität über den Holocaust, | |
| die Gründung des Staates Israel sowie über die Folgen für die Palästinenser | |
| zu erzählen. Dabei sollten die psychischen Verheerungen des immer neu | |
| eskalierenden [1][Nahostkonflikts] offengelegt werden, so dass beide Seiten | |
| das Leiden der Nachbarn verstehen. | |
| Einen solchen Austausch hat die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron, | |
| Tochter einer jüdischen KZ-Überlebenden, mit einem | |
| israelisch-palästinensischen Journalisten geführt. Er wollte über sie einen | |
| Film drehen, sie über ihn ein Buch schreiben – um friedensaktivistisch | |
| irgendetwas zu bewegen. | |
| Das war für die am Schlosstheater geplante Uraufführung „Durch das | |
| Schweigen“ nicht fortsetzbar. So kam Dorons 2015er-Roman [2][„Who the fuck | |
| is Kafka“] auf die Bühne, der nicht in Israel, aber in Deutschland | |
| erscheinen durfte. Der Film des Freundes konnte nie fertiggestellt werden. | |
| Beide Formate wirkten als Verständigungsversuche inakzeptabel für Juden wie | |
| für Moslems. Doron musste auch Namen und Aussagen fiktionalisieren, um die | |
| Betreffenden vor Repressalien zu schützen. | |
| Der israelische Regisseur Dori Engel besetzt die nun Lilli und Nadim | |
| benannten Rollen mit der Israelin Bahat Calatchi und dem Palästinenser | |
| Khalifa Natour. Sie markieren schonungslos die Konfliktlinien, lassen bei | |
| allem Trennendem aber auch Mitgefühl zu, sodass aus vielfältiger | |
| Verunsicherung eine vorsichtige Annäherung erwächst. Auf Hebräisch, | |
| Arabisch, Englisch – mit Übertiteln. | |
| Für Nadim sind Israeli Besatzer und Unterdrücker, unter deren militärischer | |
| Machtausübung er leidet. Er fragt, was aus Kindern werden soll, die diese | |
| Gewalt miterleben müssen. Für Lilli sind Palästinenser potenzielle | |
| Attentäter. Aus Angst vor Selbstmordanschlägen lässt sie ihr Kind nie mit | |
| dem Bus zur Schule fahren und verlässt sofort Kino oder Restaurant, wenn | |
| ein Araber mit größerem Gepäck eintritt. Und sie fragt, was die alltägliche | |
| Terrorbedrohung mit Kindern macht. | |
| Wenn Lilli auf den NS-Kriegsverbrecher Dr. Mengele zu sprechen kommt, wird | |
| Nadim von seiner todesängstlichen Schwester aus Gaza angerufen, weil ihre | |
| Stadt gerade von der israelischen Armee angegriffen wird. Derart zugespitzt | |
| werden die unterschiedlichen Perspektiven serviert. Immer so, dass beider | |
| Standpunkte verständlich sind. Nur ist Khalifa Natour in seiner | |
| verzweifelten Herzlichkeit der differenziertere und präsentere | |
| Schauspieler, was den palästinensischen Positionen etwas mehr | |
| Sympathiewerte verschafft. | |
| Im Wechsel mit diesem spannend pointierten Zwiegespräch kommt in weitaus | |
| weniger überzeugender Dokudrama-Manier das Displaced Person (DP) Camp | |
| [3][Bergen-Belsen] in den Fokus. Die ehemalige Wehrmachtskaserne, 30 | |
| Kilometer von Celle entfernt, nutzte die britische Armee, um dort bis 1950 | |
| teilweise bis zu 12.000 Juden unterzubringen. | |
| Wie sie eine selbstverwaltete Gemeinschaft entwickelten, sozial, kulturell | |
| und religiös das jüdische Leben wieder lebendig werden ließen und gegen die | |
| Briten ihre Auswanderung nach Palästina erkämpften, dazu führt das Celler | |
| Ensemble in einem Museumszelt ein. Daten, Fakten, Hintergründe werden eilig | |
| berichtet, zum Betrachten historischer Fotos und Relikte ist keine Zeit. | |
| ## Die Inszenierung wirkt überfordert | |
| Das Publikum hetzt weiter in den Malersaal, wo Filmschnipsel zum Schicksal | |
| des Einwandererschiffs „Exodus“ und zum Leben in Palästina vor 80 Jahren | |
| projiziert werden. Schnell weiterhasten in die Turmbühne, dort erklären | |
| Musiker fix den Unterschied zwischen abendländischer und arabischer | |
| Tonleiter. Endlich zur Ruhe kommt der Abend mit Szenen vom „Kazet Theater“ | |
| des DP-Camps. Ausgedacht hat sich die Regie, dass dort auch Lillis Mutter | |
| aktiv ist und sich nun durch einen Gazevorhang mit der Tochter aus dem | |
| anderen Handlungsstrang austauschen kann. | |
| Ansonsten wird viel gesungen, getanzt und Kabarett gespielt. Gemeinsam sind | |
| Erinnerungen an die [4][Shoa] zu teilen – mit Musik und Juxerei auch | |
| Verdrängungsmanöver zu versuchen. Am Ende des fast vierstündigen Abends | |
| stimmen Publikum und Ensemble in Mitklatsch-Fidelität ein jiddisches Lied | |
| an, allseitiges Umarmen, offensiv gefeierte Aufbruchs-Euphorie. Juden | |
| dürfen in die USA, nach Kanada und Israel emigrieren. Nur Nadim, am | |
| Bühnenrand platziert, findet „alles kompliziert“. Nichts wurde, nichts wird | |
| ja auch gerade gut. | |
| Die Inszenierung wirkt etwas überfordert, Geschichten von DPs sowie | |
| transgenerationale Traumata ins heutige Israel zu verfolgen und die | |
| Erinnerungsarbeit als Erklärungshilfe für die schier ausweglose Hoffnung | |
| auf Sicherheit und Frieden anzubieten. Ein etwas überkonstruierter, aber | |
| berührend aktueller Abend. Gerade weil Lillie und Nadim das feindliche | |
| Schweigen so zukunftswillig aufbrechen. | |
| 6 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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| Yael Ronen | |
| Schriftstellerin | |
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