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# taz.de -- Middle East Union Festival in Berlin: „In Berlin werden Ideen geb…
> Können Lösungen für den Nahen Osten in Berlin gefunden werden? Das Middle
> East Union Festival antwortet darauf auch künstlerisch, sagt Kurator Mati
> Shemoelof.
Bild: Eden Cami and the KAYAN Project treten beim Middle East Union Festival in…
taz: Herr Shemoelof, Sie leben seit acht Jahren in Berlin und haben hier
den Flüchtlingssommer 2015 miterlebt. Wie hat das die Stadt aus Ihrer Sicht
verändert?
Mati Shemoelof: Ich erinnere mich an eine Party damals auf dem Tempelhofer
Feld. Auf einmal kamen syrische Geflüchteten zu uns und fingen an, Dabke zu
tanzen. Das war wirklich schön. Man hört ständig, dass die EU die Grenzen
dichtmacht, und dann dieser eigentlich unmögliche Moment: offene Grenzen!
Mir hat das viele Möglichkeiten eröffnet. Ich bin in Israel aufgewachsen,
wir konnten keine Syrer treffen, Syrien ist Feindesland. In Berlin konnte
ich meine Nachbarn kennenlernen, ihre Geschichten hören, an ihrem Leid
teilhaben. Aber wir konnten auch darüber sprechen, was alles möglich ist.
Teilen Sie mit syrischen Geflüchteten eine gemeinsame Identität?
Natürlich, ich bin ein syrischer Jude. Und ein nahöstlicher Jude. Und ein
Israeli. Wir haben viel gemeinsam. Syrische Juden waren in Syrien, lange
bevor es Nationalstaaten gab. Und auch die Diaspora-Situation hier in
Berlin ist Teil unserer gemeinsamen Identität. Wir sind alle Ausländer,
auch wenn mir bewusst ist, dass ich als Jude in Deutschland mehr
Privilegien genieße als ein Araber.
Heute beginnt Ihr „Middle East Union Festival“ mit Lesungen, Diskussionen,
Konzerten. Worum geht es?
So etwas hat es noch nie gegeben: eine große Konferenz von Arabern und
Juden, Palästinensern und Israelis, Dichtern, Schriftstellern,
Akademiker*innen und queeren Menschen aus Nahost und Nordafrika, die
zusammenkommen, um gemeinsam zu träumen. Es wird ein utopischer, ein
historischer Moment sein. Später werden wir unseren Enkeln erzählen, dass
wir dabei waren, als man anfing, über die Nahost-Union zu reden.
Was genau soll diese Nahost-Union sein?
Die Idee ist unter anderem beeinflusst durch die Europäische Union: Länder,
die durch Kriege getrennt waren, haben eine Einheit gebildet. In diesem
Sinne sind wir der Idee nachgegangen, dass auch der Nahe Osten vereint
werden kann. Wir imaginieren einen gemeinsamen geografischen, kulturellen
und politischen Rahmen, in dem alle Menschen Freiheiten und Rechte
genießen, mit dem Ziel des gemeinsamen Wohls der Region.
Auf Ihrer Website ist von einer „fantastischen Möglichkeit eines Auswegs“
aus der Situation im Nahen Osten die Rede.
Ich denke, zuerst muss es Frieden zwischen Israel und den Palästinensern
geben, echten Frieden, nicht die Trump’sche Idee von Frieden mit anderen
Staaten wie den Emiraten, Bahrain oder Marokko. Ich bin ein Träumer, ich
glaube wirklich daran, dass wir zusammenleben können. Was alles möglich
ist, werden wir auf unserer Konferenz diskutieren.
Warum machen Sie Ihre Konferenz in Berlin? Muss so ein Impuls nicht von vor
Ort ausgehen, von Damaskus, Jerusalem oder Kairo?
Berlin ist ein Ort mit großer arabisch-jüdischer Diaspora, nicht nur was
die Zahlen angeht, sondern auch die kulturelle Kreativität und die
politisch-intellektuelle Schärfe. Es gibt hier viele Menschen, die nach
Alternativen suchen zu ihren Herkunftsorten. Berlin hat keine feste
Identität oder Essenz, es ändert sich ständig. Uns Ausländern aus dem
Mittelmeerraum gibt die Stadt etwas, aber auch wir haben Handlungsmacht und
gestalten die Stadt. Berlin ist ein Ort der Kreation und Imagination, an
dem Ideen geboren werden durch Kultur, Film, Musik und Theater.
2019 hat der Soziologe Amro Ali einen [1][Essay] veröffentlicht, der in
Berlins arabischer Intellektuellenszene viel beachtet wurde. Er beschreibt
Berlin als arabische Exilhauptstadt, vergleichbar mit dem New York der
1930er Jahren für jüdische Intellektuelle, die aus Europa geflohen waren.
Geht die Idee des „Middle East Union Festival“ darauf zurück?
Als ich Amro Alis Artikel gelesen habe, war ich wirklich erstaunt. Er hat
auf jeden Fall Einfluss gehabt auf uns. Aber die Idee einer Nahost-Union
ist älter und geht auf unsere Wurzeln als arabische Juden zurück. Bevor der
Nahe Osten nach den Vorstellungen der Kolonialmächte zerstückelt wurde, gab
es das Osmanische Reich, das zwar auch gewalttätig und repressiv war, in
dem aber der Raum für Minderheiten und Multikulturalität größer war. Es
erlaubte viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten als die kolonialen und
nationalen Ideen, die später kamen. Die Region war offener. Die Idee einer
Nahost-Union mag modern klingen, aber sie ist gleichzeitig tief in uns
verankert.
Amro Ali beschrieb Berlin als globales Labor für die heutige arabische
Exil-Community. Juden oder Israelis erwähnte er allerdings nicht.
Ich habe ihn damals auf Twitter gefragt, was mit den Juden ist, und er hat
sofort geantwortet, dass er bereits dabei ist, darüber nachzudenken und
Teile neu zu schreiben. Ich freue mich, dass er nun ein Buch schreibt. Er
wird übrigens auch beim Festival dabei sein. Wir wollen Raum schaffen für
alle möglichen Identitäten, nicht-europäische, queere, Arbeiterklasse. Im
Arabischen Frühling ging es ja nicht nur um Demokratie und Menschenrechte,
es ging auch um Klassenkampf. Die Menschen, die hierher kamen, konnten sich
in ihren Heimatländern grundlegende Dinge nicht mehr leisten.
Worauf freuen Sie sich am meisten in den nächsten vier Tagen?
Ich will sehen, wie die Leute reagieren, welche Fragen sie haben, welche
Kritik, welche Ideen! Und natürlich freue ich mich auf die Live-Konzerte.
Die Musiker spiegeln viele der Ideen wieder, die wir eingebracht haben,
etwa [2][Rasha Nahas], Palästinenserin aus Haifa, oder Eden Cami, die aus
einer drusischen Ortschaft kommt und in verschiedenen Sprachen singt. In
der Synagoge am Fraenkelufer haben wir die Pijjutim, jüdische liturgische
Gedichte. Ein aschkenasischer Kantor wird arabisch-jüdische Lieder singen,
begleitet von einem syrischen Oud-Spieler. Ich hoffe, ich kann das alles
genießen und werde als Kurator nicht nur gestresst sein.
12 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.disorient.de/magazin/ueber-die-notwendigkeit-der-arabischen-exi…
[2] /Rasha-Nahas-ueber-Berlin-und-ihr-Album/!5747612
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Naher Osten
Kunst Berlin
Festival
Musiktheater
Frauen im Film
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Yael Ronen
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