| # taz.de -- Nahost-Buchhandlung in Berlin: Herberge für arabische Literatur | |
| > Bücher aus dem Nahen Osten in Berlin? Gibt es viel zu wenige. Trotz | |
| > Pandemie eröffnete vor wenigen Wochen der Schöneberger Buchladen Khan | |
| > Aljanub. | |
| Bild: Fadi Abdelnour vor dem Buchladen Khan Aljanoub | |
| Wer sich auf die Suche nach Khan Aljanub macht, was man etwa mit „Herberge | |
| des Südens“ übersetzen kann, muss aufpassen, dass er den Eingang in der | |
| lauten Potsdamer Straße nicht übersieht. Einzig ein aufgestelltes Schild an | |
| der Nummer 151 weist einem den Weg zu dem vergangenen Spätsommer eröffneten | |
| Laden. Hat man es entdeckt und die richtige Klingel am Eingang gefunden, | |
| erblickt man eines der versteckten Berliner Hinterhofwunder: einen | |
| feigenbewachsenen Innenhof mit einem gemütlichen Fachwerkhaus. | |
| Fadi Abdelnour, einer der Initiatoren des Buchladens, erklärt die Bedeutung | |
| des Namens: „Das persische Wort Khan bezeichnete ursprünglich eine Herberge | |
| für Handelsreisende. Im Laufe der Geschichte entwickelten sich diese zu | |
| Märkten. Kennt ihr den berühmten Khan-al-Khalili-Markt in der Altstadt von | |
| Kairo in Ägypten? Und das Naguib-Mahfouz-Cafe?“ Wer schon mal in Kairo war, | |
| erinnert sich bestimmt daran – es ist der Zufluchtsort vor Kairos nie enden | |
| wollendem Dauerhupen und Menschengewimmel. | |
| Ein Café ist Khan Aljanub (noch) nicht und auch kein Markt – vielmehr | |
| vereint es all die Bedeutungen eines Khans, ist Buchmarkt und Verweilort | |
| zugleich. Mit Abdelnours Worten: „Ein gemütlicher Ort, wo man gerne sein | |
| möchte.“ | |
| Und so sitzen wir coronabedingt in gebührendem Abstand mit Abdelnour im | |
| Innenhof. Und während wir an einer heißen Tasse Kaffee nippen, merken wir | |
| schnell, dass es einer Menge Mut bedarf, einen Buchladen in Zeiten von | |
| Kindle, Tablets und noch dazu einer Pandemie aufzumachen. Abdelnour aber | |
| schüttelt den Kopf und lächelt. Das E-Book sei auf dem arabischen Markt | |
| nicht so sehr vertreten. Und außerdem: Was er sich in den Kopf setze, ziehe | |
| er auch durch – und seine Kolleg*innen sowieso. | |
| ## Bücher als Mitbringsel | |
| Im besetzten Teil Jerusalems geboren, kam er 2002 nach Berlin und machte | |
| später seinen Abschluss in Kommunikationsdesign in Halle – ein | |
| Herzenswunsch. Seitdem arbeitet er als freier Grafiker und lebt mit Frau | |
| und Kind in Berlin, wo er mittlerweile nicht nur für sich ein Zuhause | |
| gefunden hat, sondern auch für seine Bücher. | |
| Natürlich liegt die Frage nahe, wie er dieses Kleinod in einer Stadt wie | |
| Berlin mit chronischem Wohnungsmangel gefunden hat. „Ich war gerade dabei, | |
| mein Studium zu beenden“, erzählt Abdelnour, und just zur selben Zeit wurde | |
| der ehemalige Besitzer des Fachwerkhäuschens sein Nachbar. Kurz | |
| entschlossen „tauschte“ Abdelnour sein Studio mit ihm. | |
| Es scheint so, als habe er damit genau den Ort in Berlin gefunden, der | |
| seiner Beziehung zu Büchern eine Form gibt. Denn die ist nicht auf die | |
| Literatur an sich beschränkt: „Ich mache auch selbst Bücher. Es ist immer | |
| ein Erlebnis, ein Buch zu gestalten, zu drucken und selbst zu binden“, sagt | |
| der Grafiker. | |
| Doch wie kamen Abdelnour und seine Mitstreiter*innen Rasha Hilwi und | |
| Mohammad Rabie auf die Idee, einen Buchladen aufzumachen? Anfangs teilten | |
| sie sich mit einigen in der Berliner Kunst- und Kulturszene aktiven | |
| Freund*innen die Räumlichkeit. Von dort organisierten sie unter anderem | |
| das jährlich stattfindende [1][arabische Filmfestival Alfilm]. | |
| Nachdem einige von ihnen Bücher aus Beirut mitgebracht hatten, wunderte | |
| sich Abdelnour zum wiederholten Male: „Wieso kann man die hier nirgends | |
| kaufen?“ Man hatte sich schon daran gewöhnt, dass es schwierig ist, in | |
| Deutschland arabische Literatur im Laden zu bekommen, allenfalls illegale | |
| Kopien, die auf kleinen Messen vertrieben wurden, aber keine Originale. | |
| Zwar kann man die in einer Auswahl ausleihen, bei [2][Baynatna], der | |
| arabischen Bibliothek in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Üblich | |
| ist es, sich Bücher aus dem arabischsprachigen Ausland mitzubringen. Doch | |
| nicht alle können einfach reisen. Denn entscheidend darüber, wer sich auf | |
| der Welt wann wohin bewegen kann, ist der richtige Pass, der richtige | |
| politische und ökonomische Status. | |
| Für Abdelnour als Palästinenser ist das kompliziert, denn er kann nicht | |
| direkt über Israel in seine Heimatstadt reisen, sondern muss über Jordanien | |
| einreisen. „Das macht man so alle paar Jahre“, erklärt er. Als seine | |
| Tochter zur Welt kam, wurde das Thema Bücher daher akut. Denn die wollte | |
| nicht jahrelang auf das nächste Buch warten und immer ein und dasselbe | |
| Kinderbuch vorgelesen bekommen. | |
| Ein Klassiker, Eric Carles „Raupe Nimmersatt“ auf Arabisch, fällt einem in | |
| der kleinen Kinderbuchabteilung neben der Spielecke gleich ins Auge. Nicht | |
| nur das Angebot an Kinderbüchern macht das Sortiment bei Khan Aljanub so | |
| vielfältig. Literatur, Kunst und Kultur sind der Schwerpunkt des kleinen | |
| Ladens. Aber auch philosophische Abhandlungen und Sachbücher sind hier zu | |
| finden. Menschen, die kein Arabisch sprechen, werden ebenso fündig: ins | |
| Englische und Deutsche übersetzte arabische Werke sowie zweisprachige | |
| Poesiebücher gibt es hier. | |
| Da es in Deutschland bisher wenig arabische Literatur zu kaufen gibt, wird | |
| bei Khan Aljanub alles direkt importiert. „Die meisten Bücher werden aus | |
| Kairo verschifft“, sagt Abdelnour. Außerdem aus Beirut. Doch die | |
| verheerende Explosion im dortigen Hafen vergangenes Jahr legte die | |
| Buchlieferungen auf Eis. | |
| Beirut und Kairo waren und sind die arabischen Verlagsstädte schlechthin. | |
| Ihren Ursprung haben viele Verlage in den 1970er Jahren. Beirut war damals | |
| eine Stadt, in der Künstler*innen und Intellektuelle, Dichter*innen | |
| und Autor*innen aus unterschiedlichen Gründen zusammentrafen. Manche | |
| zwang die politische Situation in ihrem Heimatland, andere machten sich | |
| wegen des besonderen Beiruter Flairs auf den Weg dorthin. So entwickelte | |
| sich Beirut zu einer Exilstadt des Nahen Ostens. | |
| Der Libanon hatte zu der Zeit keine strenge Zensur, was die Entstehung von | |
| Verlagen und Magazinen begünstigte. Abdelnour hat auch die zeitgenössischen | |
| Kulturmagazine Bidayat aus Beirut und Miraya aus Kairo im Sortiment. Auch | |
| Bidayat ist im Zuge politischer Veränderungen entstanden: Seit Anfang 2012 | |
| gibt es das Magazin. Es ist eine Antwort auf den Arabischen Frühling und | |
| der damit einhergehenden Hoffnung auf Veränderung. | |
| Dabei ist die besondere Beziehung zwischen arabischen Staaten und Berlin | |
| nicht neu. Berlin war zu Zeiten der DDR ein Ort, in der sich syrische, | |
| palästinensische und irakische Autor*innen aufgrund der politischen | |
| Verbundenheit der DDR zu ihren Bruderstaaten wiederfanden. | |
| Berlin sei eine Stadt, die einen unbefangenen Austausch ermöglicht. | |
| Abdelnour berichtet von einer Party, auf der er war: „Dieser Austausch in | |
| derselben Sprache mit Leuten, die mit derselben Musik, denselben | |
| Fernsehserien aufgewachsen sind – das ist für mich und viele andere das | |
| Tolle an Berlin, es gibt viele Ecken, die haben so ein Heimatgefühl.“ | |
| Berlin kann eine Plattform bieten, die persönlichen Austausch jenseits | |
| biografischer und geografischer Hintergründe ermöglicht, was zwischen | |
| vielen arabischen Ländern nur begrenzt möglich ist. Das Umfeld um Khan | |
| Aljanub ist nur ein Beispiel dafür, was aus solchen Synergien entstehen | |
| kann. | |
| Die Palästinenserin Rasha Hilwi ist Autorin, Journalistin, DJ und | |
| Kulturmanagerin, und der Ägypter Mohammad Rabie hat bereits Preise mit | |
| seinem Buch „Kawkab Anbar“ gewonnen. | |
| Mit der untergegangenen DDR gibt es auch keine entsprechenden Bruderstaaten | |
| mehr, doch auch für das heutige Berlin ist die politische Lage im In- und | |
| Ausland prägend. In den letzten Jahren ist die Stadt aufgrund der | |
| politischen Situation vieler arabischer Länder zu einem der europäischen | |
| Zentren arabischer Exilkünstler*innen geworden. | |
| Und dazu wünscht sich Abdelnour, „dass die nächste Generation nicht mit | |
| orientalistischen Stereotypen kämpfen muss und Künstler*innen in | |
| Deutschland nicht nach ihrer Herkunft bemessen und auf Flucht, Religion und | |
| Politik reduziert werden. Dass vielleicht auch für nichtarabisch Sprechende | |
| ein Interesse an arabischer Literatur abseits von Exotik wächst“. | |
| ## Pläne für den Sommer | |
| Und welches Buch würde er zurzeit empfehlen? „Wenn du mich so fragst“, | |
| Abdelnour zeigt auf das Buch im Aufsteller, „das hier: ‚Al-Mawludah‘, Die | |
| Geborene. Ich kenne die Autorin Nadia Kamel. Es ist die Biografie ihrer | |
| Mutter“. | |
| Geboren im Herzen Kairos als Tochter eines jüdischen Vaters | |
| türkisch-ukrainischer Herkunft und einer italienischen Mutter, wächst Maria | |
| in einer religiös und kulturell diversen Gesellschaft auf: Maria ist | |
| Italienerin, Christin, dann Muslimin, Kommunistin mit jüdischer Familie in | |
| Ägypten und Israel. Der historische Roman beherbergt die Erinnerungen einer | |
| Frau und ihr Leben in einer kosmopolitischen Familie in Kairo. Vielleicht | |
| eine zeitlose Geschichte, möglicherweise typisch für viele hier in Berlin. | |
| Wie die Geschichte Khan Aljanubs in einer so unsicheren Zeit weitergehen | |
| soll, das wollen wir auch wissen. Da schwärmt Abdelnour von den Ideen, die | |
| er, Rasha und Mohammad haben. Von Lesungen im Innenhof, | |
| Übersetzungstreffen, einem Buchclub für Kinder. Gerne würden sie auch | |
| Literatur in Sprachen mit aufnehmen, die in Deutschland weniger vertreten | |
| ist, beispielsweise Amazigh oder Kurdisch. | |
| Und um das Verweilen noch einfacher zu machen: „Im Sommer, bei gutem | |
| Wetter, werden wir einen kleinen Cafébetrieb probieren“, sagt Fadi | |
| Abdelnour. Wohlfühlen soll man sich hier. „Diese warme Atmosphäre, das ist | |
| unser Ansatz. Nicht steril und kein Ort, wo man so ein ‚Bahnhofsgefühl‘ | |
| hat.“ | |
| 31 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Filmfestival-in-Berlin/!5710884 | |
| [2] https://www.zlb.de/service/community-projekte/baynatna.html | |
| ## AUTOREN | |
| Marianne Sievers | |
| Bri Anne Schröder | |
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