# taz.de -- Flüchtlingskinder im Homeschooling: Digitales Lernen ausgeschlossen | |
> Homeschooling ist für Flüchtlingskinder besonders hart: Nur wenige haben | |
> Computerzugang, viele Heime noch immer kein oder zu schwaches Internet. | |
Bild: Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) präsentiert einen der Schul-Lapt… | |
BERLIN taz | Homeschooling ist für viele Eltern und Kinder eine enorme | |
Belastung. Umso mehr gilt dies für Familien, die nicht einmal die | |
elementaren Voraussetzungen für einen gelingenden digitalen Unterricht | |
haben: schnelles Internet und die passende Hardware. Viele Geflüchtete | |
können ein Lied davon singen. Denn auch zehn Monate nach Beginn der | |
Pandemie gibt es in vielen Gemeinschaftsunterkünften kein ausreichendes | |
WLAN, berichten FlüchtlingshelferInnen der taz. | |
„Nach unserer wie auch der Erfahrung anderer Initiativen reicht das | |
Internet in den meisten Heimen noch immer nicht aus, um von den | |
Bewohnerzimmern aus digitalem Unterricht zu folgen – ganz abgesehen von der | |
Schwierigkeit, sich in einem Zimmer zu konzentrieren, in dem man keinen | |
Arbeitsplatz hat und die kleinen Geschwister um einen herum spielen“, sagt | |
Amei von Hülsen-Poensgen von der Initiative Willkommen im Westend. | |
Christian Lüder von Berlin hilft ergänzt: „Dazu hat kaum ein Kind bisher | |
ein versprochenes mobiles Endgerät tatsächlich erhalten. Infos zu | |
besonderen Angeboten der Schulen für benachteiligte geflüchtete Kinder | |
werden entweder gar nicht oder nicht in Übersetzungen kommuniziert. Damit | |
werden Integration und Beschulung massiv verhindert und eine ohnehin | |
benachteiligte Gruppe wird weiter abgehängt.“ | |
Schon im ersten Lockdown hatten Flüchtlingsinitiativen die mangelnde | |
Internetausstattung von vielen Unterkünften des Landesamts für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) beklagt. Dieses hatte dann die Betreiber | |
„mit der temporären Ausweitung des WLAN-Empfangs auf die Wohnräume | |
beauftragt“, erklärt Sprecher Sascha Langenbach. Inzwischen seien 60 von 78 | |
Unterkünften mit WLAN auf den Zimmern der BewohnerInnen ausgestattet. | |
Abgesehen davon, dass damit immer noch knapp ein Viertel der rund 20.000 | |
BewohnerInnen von LAF-Heimen kein WLAN hat und man sich dort mit Sticks | |
behelfen muss, die teils privat von BewohnerInnen gekauft werden müssen und | |
nur begrenztes Datenvolumen haben (Zoom-Konferenzen „fressen“ bekanntlich | |
viel): Die ehrenamtlichen HelferInnen überzeugt das nicht. „Selbst wenn | |
sich das LAF und der Betreiber bemühen, genügt oft die Bandbreite des WLAN | |
nicht für alle BewohnerInnen oder alle Gebäude“, sagt Ines Stürmer von | |
Pankow hilft, ähnliches berichtet Lüder. | |
## Neubauten mit Stahlbeton | |
Besonders bestürzend ist die Neuigkeit, dass ausgerechnet die Neubauten des | |
LAF hier Probleme machen. Laut Felicitas Karimi, Beraterin für Geflüchtete | |
beim Verein Mittelhof in Zehlendorf, gibt es in der Gemeinschaftsunterkunft | |
Beelitzhof in Zehlendorf (480 Plätze), die erst voriges Jahr eröffnet | |
wurde, kein WLAN für die BewohnerInnen, da keine leistungsfähige | |
Datenverbindung nach außen vorhanden ist. Auch in der Leonorenstraße in | |
Steglitz (449 Plätze, 2019 bezogen) habe die Verbindung eine so niedrige | |
Leistung, dass das WLAN immer wieder ausfällt. | |
Beide Gebäude seien aus Stahlbeton und daher so abgeschirmt, dass ein | |
Internetempfang auch per Handy kaum möglich sei. „Im Lockdown beraten wir | |
die Geflüchteten per Telefon, Email und Videochat. Ohne Handyempfang und | |
Internet ist jedoch sowohl die Beratung als auch das Homeschooling sehr | |
schwierig“, erklärt sie. Zwar gebe es in beiden Heimen je einen | |
Gemeinschaftsraum mit Computerarbeitsplätzen – aber dies sei viel zu wenig | |
für Dutzende Kinder, die online lernen und sich die Geräte mit den | |
Erwachsenen teilen müssen. | |
In dem Spandauer Heim, wo Familie S. wohnt, ist der Gemeinschaftsraum wegen | |
Corona ohnehin geschlossen. Die Familie wohnt zu siebt in zwei kleinen | |
Zimmern, in dem einen Eltern und der 3-jährige Sohn, im anderen vier | |
Mädchen. „Ich mache meine Arbeit mit dem Handy auf dem Bett“, sagt Sara. | |
Die achtjährige geht in die Grundschule, ihre drei älteren Schwestern in | |
Willkommensklassen. Und die 16-jährige Aya erzählt: „Mit einem Computer | |
könnte ich besser arbeiten, gerade wenn wir viele Hausaufgaben haben. Und | |
wir lernen alle in einem Zimmer, da ist es schwierig sich zu | |
konzentrieren.“ Immerhin gibt es in ihrem Heim WLAN, sie können mit ihren | |
Handys gucken, welche Aufgaben sie in den Heften bearbeiten müssen. Ihre | |
Antworten fotografieren sie und schicken diese den LehrerInnen. | |
Aber auch Nachhilfe findet, wo es sie gibt, dieser Tage online statt und | |
braucht entsprechende Ausstattung. Das Landesjugendwerk (LJW) der | |
Arbeiterwohlfahrt Berlin bietet seit dieser Woche, wie schon im ersten | |
Lockdown, online-Nachhilfe durch Ehrenamtliche in einem Lichtenberger Heim | |
an. Den Stick fürs Internet habe man selbst gekauft, erzählt | |
Projektleiterin Anna Lenk, ebenso ein Tablet – keines von den knapp 200 | |
Schulkindern im Heim habe eines. Mit einem Endgerät könne aber immer nur | |
ein Kind Nachhilfe bekommen. „Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen | |
Stein“, so Lenk. | |
## Wenig Tablets von den Schulen angekommen | |
Auch Petra Becker vom Verein Back on Track weiß, wie schwierig bis | |
unmöglich lernen ohne Computer jetzt ist. Ihr Verein organisiert seit 2016 | |
Nachhilfe auf Arabisch, zu den samstäglichen Lerntreffen im Kultur- und | |
Begegnungshaus Ulme35 in Charlottenburg kamen vor Corona 120 bis 150 Kinder | |
und Jugendliche. Durch die Umstellung auf Online-Unterricht seien viele | |
Kinder erstmal weggeblieben, mit dem Handy sei es eben sehr mühsam, so | |
Becker. Mit ihrem Verein hat sie versucht, für Familien beim Jobcenter | |
Computer zu beantragen. „Die Anträge wurden aber immer abgelehnt mit dem | |
Argument, dafür seien die Schulen zuständig.“ | |
In der Tat sollen inzwischen rund 51.000 Tablets über die Schulen verteilt | |
worden sein. Viele Flüchtlinge hätten aber noch keines erhalten, sagt | |
Christian Lüder. Felicitas Karimi berichtet, dass manche Schulen zunächst | |
eine Ablehnung vom Jobcenter sehen wollen, bevor sie – wenn überhaupt – | |
Tablets herausgeben. Im Beelitzhof hätten viele Kinder Tablets von ihrer | |
Schule bekommen – nur fehlt dort ja das Internet. Das ist auch die | |
Erfahrung von Amei von Hülsen-Poensgen aus Charlottenburg. „Ich kenne | |
Kinder, die Tablets von der Schule bekommen haben. Aber was nützt das ohne | |
WLAN?“ | |
15 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) | |
Homeschooling | |
Digitales Lernen | |
Flüchtlinge | |
Integration | |
Ausschreibung | |
Geflüchtete | |
Wlan | |
Berlin-Schöneberg | |
Homeschooling | |
Homeschooling | |
Gewerkschaft GEW | |
Geflüchtete | |
Die Linke Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Integration von geflüchteten Kindern: Sprachförderung ist der Knackpunkt | |
Wie gut gelingt die Integration von seit 2015 in Deutschland lebenden | |
Geflüchteten? Nun liegen erste Ergebnisse einer Langzeitstudie vor. | |
Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin: „Wir haben es mit Menschen zu tun“ | |
Bei Ausschreibungen für den Betrieb von Flüchtlingsheimen müsste gute | |
Arbeit und Erfahrung vor Ort mehr zählen als bislang, sagt Peter Hermanns. | |
Geflüchtete in der Pandemie: Abgehängt | |
Beratungsstellen können derzeit nur eingeschränkt helfen. Für Geflüchtete | |
wird es so nochmal schwieriger, sich in Deutschland ein Leben aufzubauen. | |
Überall in Berlin nur lahmes WLAN: Besser technisch aufrüsten | |
Im Shutdown sitzen die Berliner:innen alle zuhause. Und sind online. | |
Das macht das WLAN lahm. Kann man dagegen etwas tun? Und ob. Eine | |
Anleitung. | |
Nahost-Buchhandlung in Berlin: Herberge für arabische Literatur | |
Bücher aus dem Nahen Osten in Berlin? Gibt es viel zu wenige. Trotz | |
Pandemie eröffnete vor wenigen Wochen der Schöneberger Buchladen Khan | |
Aljanub. | |
Homeschooling im Homeoffice: Hausgemachter Wahnsinn | |
Homeschooling ist hart – für Kinder und Eltern. Inzwischen hat wohl jedeR | |
die eine Geschichte darüber zu erzählen. Ein „Best of“ aus der Redaktion. | |
Geflüchtete und Homeschooling: Am falschen Ende gespart | |
Der Senat will benachteiligte Kinder beim Homeschooling unterstützen. Dazu | |
bräuchte es als erstes Internet in allen Flüchtlingsheimen. | |
Gewerkschafterin über Bildungschancen: „Viele Kinder leiden psychisch“ | |
Der Fokus muss auf Kindern liegen, die von Schulschließungen besonders | |
benachteiligt sind, fordert Ilka Hoffmann. Lehramtsstudierende könnten | |
helfen. | |
Geflüchtete in Corona-Krise: Integration unmöglich | |
Beratungsangebote und Sprachkurse fallen aus, Arbeitsverträge werden | |
gekündigt: Die Krise macht es Geflüchteten schwer, Fuß zu fassen. | |
Linkspartei-Chefin über Homeschooling: „WLAN und Computer für alle“ | |
Beim Heimunterricht darf keiner benachteiligt werden, sagt Katina Schubert. | |
Das Land müsse Internet und Rechner für alle Kinder zu Hause bereitstellen. |