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# taz.de -- Geflüchtete in der Pandemie: Abgehängt
> Beratungsstellen können derzeit nur eingeschränkt helfen. Für Geflüchtete
> wird es so nochmal schwieriger, sich in Deutschland ein Leben aufzubauen.
Bild: Hausaufgaben? Zum Haareraufen. Mit geringen Sprachkenntnissen und ohne Hi…
Hamburg taz | Sheren Mahmed geht jeden Montag zum Mädchentreff von
„Fluchtraum Bremen“, einer Beratungsstelle für Geflüchtete. Sie trifft do…
Freundinnen, macht ihre Hausaufgaben und bekommt Unterstützung durch die
Mitarbeiter:innen und Ehrenamtlichen – so war es jedenfalls vor der
Pandemie.
Der Mädchentreff findet aktuell zwar noch mit Maske und Abstand vor Ort
statt, doch Mahmed kann momentan nur zu einem vorher vereinbarten Termin
gehen. Und nur für ein kurzes Zeitfenster statt für einen ganzen
Nachmittag. Dabei bräuchte sie gerade jetzt mehr Zuwendung.
Denn die Coronakrise macht der 19-Jährigen zu schaffen: Ihr Unterricht
findet jetzt online statt. „Das ist schwer für mich. Ich verstehe nicht
alles“, sagt sie. Sie habe Angst, den Anschluss zu verlieren, weil sie noch
nicht fehlerfrei Deutsch spreche. Mahmed macht eine Ausbildung zur
Kinderpflegerin und kam vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland.
Die Sorgen und Ängste der jungen Frauen seien in dieser Zeit noch
intensiver, sagt auch Hannah Dehning, Leiterin des Mädchentreffs im
Fluchtraum Bremen. Die schlechte Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
sei verunsichernd. „Wir müssen weiterhin offen bleiben“, sagt sie. Für die
jungen Frauen biete man hier einen Schutzraum. „Aber wir haben viele
Anfragen und geringe Kapazitäten.“ Und nicht nur beim Mädchentreff, auch in
den anderen Beratungstreffen werde man „überrannt“. Die Einrichtung
Fluchtraum Bremen hilft bei Jobcenter-Anträgen, Hausaufgaben und dem
Verfassen von Bewerbungen, sie bietet aber auch einen Ort des Austauschs.
## Kein Internet, keine Ruhe beim Lernen
Dehning ist dankbar, dass nun zumindest Tablets für alle Schüler:innen
zur Verfügung stehen. Doch insbesondere in den Geflüchteten-Unterkünften
gebe es kein gutes Internet und keinen Ort der Ruhe.
Auch in Hamburg gestaltet sich das digitale Lernen für geflüchtete
Schüler:innen oft schwierig. Berit Hansen organisiert mit der Initiative
„Kids Welcome“ Freizeitangebote für Kinder, die in Hamburger
Geflüchteten-Unterkünften leben. Ehrenamtliche machen mit den Kindern
Sport, spielen, basteln, helfen bei Hausaufgaben und unternehmen Ausflüge.
„Das ist jetzt natürlich stark eingeschränkt“, sagt Hansen. Im ersten
Lockdown musste man komplett pausieren. Jetzt sei das Programm nach draußen
verlegt. Außerdem versuche man, den Kindern über Whatsapp oder Telefonate
Nachhilfe zu geben. Doch es mangele an Platz, und die schlechte technische
Ausrüstung erschwere das Lernen. „Es macht den Anschein, dass in den
Lösungen für Schulen geflüchtete Kinder oft nicht mitgedacht wurden“, sagt
Hansen.
Mit dem Vergessenwerden haben aber nicht nur die geflüchteten Kinder zu
kämpfen. Weil in den Ämtern der Publikumsverkehr aktuell eingeschränkt ist,
würden viele Anträge nur online bearbeitet, erzählt Muhamed Lakmes. Er lebt
seit fünf Jahren in Deutschland und arbeitet als Fachinformatiker. Der
Syrer war 2018 einer der Mitbegründer des Hamburger Vereins „Angekommen in
Deutschland“. Dort geben die Ex-Geflüchteten ihre Erfahrungen ehrenamtlich
an die neu Ankommenden weiter. „Wir wissen genau, welche Hilfe benötigt
wird und sprechen die Sprachen“, erklärt Lakmes. Er selbst helfe im Projekt
„Go Digital“ mit, das die Medienkompetenz bei den Geflüchteten stärken
soll. „Die Jugendlichen kommen irgendwie klar. Aber bei den Älteren fehlen
oft Grundlagen“, sagt Lakmes. So wird ein virtueller Gang zum Amt schwer.
## Das Telefon allein reicht nicht
Lakmes versuche nun, die Menschen online oder telefonisch zu betreuen und
helfe dabei, E-Mail-Adressen zu erstellen und Bewerbungen zu schreiben.
„Ich habe Hilfe durch Freiwillige bekommen. Jetzt möchte ich das
zurückgeben“, erklärt der 27-Jährige seine Motivation. „Es kann sehr
überfordernd sein, neu in einem Land zu sein“, sagt Lakmes aus eigener
Erfahrung. Hilfsprojekte, die oft durch Ehrenamtliche gestemmt werden,
seien ein wichtiger Hebel, um Geflüchtete schneller in die Gesellschaft zu
integrieren. Denn fehlende Sprachkenntnisse und Isolation könnten den
Integrationsprozess verlangsamen.
Wie wichtig die Hilfen sind, weiß auch Ekkehard Hörner, der sich seit
eineinhalb Jahren bei „Kiel Hilft“ engagiert. Der Verein bot vor der
Pandemie drei Mal wöchentlich Sprachtreffen an. Außerdem gab es eine
Fahrradwerkstatt, Nähkurse und Kochabende. „Der soziale Aspekt steht bei
uns im Vordergrund“, sagt Hörner. Nun ist das Gelände des Vereins
geschlossen, Hilfesuchende können sich per Telefon und Videokonferenz an
die Ehrenamtlichen wenden.
„Vieles haben wir auch ins Private verlegen müssen“, erzählt Hörner. „…
Sommer konnten wir ein Zelt im Hinterhof aufbauen und uns dort mit Abstand
treffen. Das geht jetzt nicht mehr.“ Er treffe sich nur ab und zu noch
persönlich mit den Menschen, die er betreut. „Manche Dinge kann man nicht
am Telefon klären“, sagt er.
Mit Nabil Alim (Name geändert), der seit etwas mehr als einem Jahr in
Deutschland lebt, übt Hörner digital Deutsch. Alim kommt aus dem Jemen und
hat dort als Englischlehrer gearbeitet. Jetzt hofft er auf eine Anrechnung
seines Studiums. „Ich weiß, dass ich zum Unterrichten aber auch gut Deutsch
können muss“, sagt Alim. Gerade bringe er sich mit Hörners Unterstützung
viel selbst bei, da sein offizieller Deutschkurs nicht stattfinde.
Trotzdem verlangsame sich so sein Lernprozess. „Vor der Schließung bin ich
drei Mal die Woche zu den Sprachtreffs von ‚Kiel Hilft‘ gegangen“, erzäh…
Alim. Durch das zusätzliche Sprechen mit Muttersprachler:innen habe er
oft mehr gelernt als im Deutschkurs. Nun befürchtet er, dass er den
Deutschkurs nicht rechtzeitig abschließen könne – und somit weniger Chancen
auf einen Job habe.
Es sei „katastrophal“, dass so viele Hilfen und Beratungsangebote für
Geflüchtete in der Pandemie wegfallen würden, sagt Hörner. Wie so viele
Ehrenamtliche bleibt er aber hartnäckig und unterstützt, wo er kann – und
dass, obwohl er selbst zur Risikogruppe gehöre: „Natürlich ist gerade alles
schwierig. Aber das Zusammenarbeiten mit den Menschen macht mir große
Freude. Ich möchte und kann das nicht missen.“
19 Feb 2021
## AUTOREN
Sarah Zaheer
## TAGS
Geflüchtete
Integration
Flüchtlingshilfe
Bremen
Hamburg
Kiel
Pandemie
Lockdown
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Recherche und Reportage
Partizipation
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Syrische Flüchtlinge
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