| # taz.de -- Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin: „Wir haben es mit Mensc… | |
| > Bei Ausschreibungen für den Betrieb von Flüchtlingsheimen müsste gute | |
| > Arbeit und Erfahrung vor Ort mehr zählen als bislang, sagt Peter | |
| > Hermanns. | |
| Bild: „Herbstgärtnern“ mit Geflüchteten vor dem Container-Wohnheim in Kö… | |
| taz: Herr Hermanns, seit sechs Jahren ist der Internationale Bund (IB) | |
| Betreiber des ersten deutschen Containerdorfs in Köpenick. Jetzt endet Ihr | |
| Vertrag mit dem Landesflüchtlingsamt (LAF) zum 31. März. Warum? | |
| Peter Hermanns: Wir hatten nie einen Vertrag mit dem LAF. Wir befinden uns | |
| gerade in letzten Abstimmungen über einen rückwirkenden Vertrag. | |
| Sie waren sechs Jahre lang fürs LAF tätig ohne Vertrag? | |
| Im Vertragsrecht ist es so: Wenn jemand eine Leistung erbringt und die | |
| vergütet wird, wirkt es im Grunde wie ein Vertrag. Jedenfalls musste nach | |
| europäischem Vergaberecht die Einrichtung ausgeschrieben werden. Vor Kurzem | |
| haben wir erfahren, dass ein anderer Betreiber den Zuschlag erhalten hat. | |
| Begründung? | |
| Wir hatten zwar das beste Konzept eingereicht, aber das wog nicht auf, dass | |
| wir preislich nicht mithalten konnten. | |
| Das verwundert insofern, als Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) immer | |
| gesagt hat, dass bei ihr Qualität vor Preis gehen soll – im Unterschied zu | |
| früher. | |
| Ja. Aber erstens kann ich nicht beurteilen, wie die Qualität des | |
| Nachfolgebetreibers ist. Und zweitens nehme die Senatorin hier aus der | |
| Schusslinie. Die Umsetzung ist nicht ihr Aufgabenbereich. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| De facto sind die Vorgaben für die Konzepte so eng gefasst, dass diese am | |
| Ende sehr ähnlich aussehen. Das LAF erwartet Aussagen, die man manchmal mit | |
| Copy & Paste aus der Leistungs- und Qualitätsbeschreibung einfügen kann. | |
| Das ist ein Papier, das ohnehin für jeden Betreiber verpflichtend ist. Man | |
| könnte es aus der Konzepterstellung herausnehmen. So aber fehlt in der | |
| Konzeption der Platz, auf dem ein Betreiber im Detail schildern kann, was | |
| er wie und warum inhaltlich machen will. | |
| Können Sie das an einem Beispiel erklären? | |
| Man schreibt im Konzept viel über Hygieneplan, Konfliktmediation, | |
| Gewaltschutz – alles wichtige Sachen, aber die stehen in den | |
| Qualitätsvorgaben. Und wir haben es im Alltag nicht damit zu tun, permanent | |
| Konflikte zu lösen oder gegen Gewalt vorzugehen: Das kommt vor, ist aber | |
| nicht unser Hauptthema. Unser Hauptthema ist die Unterstützung derjenigen, | |
| die hier bei uns leben. Dabei waren wir sehr erfolgreich in den vergangenen | |
| sechs Jahren. Aber wir können es im Konzept nicht ausreichend beschreiben, | |
| weil dafür kein Platz ist. Deshalb bekommt der Preis dann doch ein höheres | |
| Gewicht. Dass wir das beste Konzept eingereicht haben, liegt an lediglich | |
| vier Sätzen. | |
| Nämlich? | |
| Wir haben beschrieben, wie wir Frauen und LSBTIQ*-Menschen auf eine | |
| bestimmte Weise unterbringen, damit sie besonders geschützt sind, und wie | |
| wir konfliktbelasteten Zimmersituationen begegnen. Das wurde besonders | |
| gewürdigt. In allen anderen Punkten waren wir gleich gut. | |
| Aber irgendwer war billiger. Wo kann ein Betreiber denn sparen? | |
| Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Jeder Betreiber hat zum Beispiel | |
| unterschiedliche Vergütungssysteme. Festgelegt ist nur der Mindestlohn. Zum | |
| Zweiten kalkuliert man eine bestimmte Auslastung für das Heim. Wenn man | |
| großzügig, also in Richtung 100 Prozent kalkuliert, sinkt der Tagessatz pro | |
| Platz und damit der Preis. Aber gerade kommen nicht mehr so viele Menschen | |
| nach Berlin, die untergebracht werden müssen. Alle Einrichtungen haben | |
| deswegen Überkapazitäten, was uns zu der Überlegung führte, mit einer nicht | |
| ganz so hohen Auslastung zu kalkulieren. Wir sind immer noch mutig daran | |
| gegangen, haben aber auch betriebswirtschaftliche Vorsicht walten lassen. | |
| Jedenfalls ist das ein Punkt, der Einfluss auf den Tagessatz hat. | |
| Gibt es noch andere? | |
| Sie können auch an der Reinigung sparen. Es gibt Beispiele dafür, dass | |
| statt einer Reinigungsfirma eine Hauswirtschafterin beschäftigt wird, die | |
| die Bewohner*innen anleitet, das Haus sauber zu machen. Die machen dann | |
| die Gemeinschaftsflächen sauber, Küchen, Toiletten, Duschen, Flure – auch | |
| für die anderen Bewohner*innen. Das funktioniert vermutlich nicht, das geht | |
| ja schon in der WG selten gut. | |
| Würden Sie sagen, dass sich das Problem des gegenseitigen Unterbietens | |
| verschärft hat dadurch, dass europaweit ausgeschrieben wird? | |
| Grundsätzlich ist es ein Vorteil, wenn ein Betreiber Bezug zum Ort hat und | |
| die Akteure kennt. Das wäre für mich ein ganz wichtiger Punkt bei einer | |
| Ausschreibung. Wenn hier nach sechs Jahren ein neuer Betreiber reinkommt, | |
| wird eine ganze Menge zerstört – an Vertrauen, an sozialen Beziehungen. | |
| Weil dann alle Mitarbeiter*innen mit dem Betreiber wechseln? | |
| Genau. Wir haben sehr viele Kooperationspartner im Bezirk, etwa den Verein | |
| Türöffner, ein Jobnetzwerk für Geflüchtete, das ich selbst mit gegründet | |
| habe. Oder unsere Kooperationen mit dem 1. FC Union. Oder die Degewo, die | |
| sehr viele Menschen mit Wohnraum versorgt hat. Das sind drei Beispiele von | |
| etwa 50. Das wird alles auf null gesetzt, der Neue muss alles neu aufbauen. | |
| Ich fände es angemessen, dass bei Ausschreibungen bestehender Einrichtungen | |
| auch die Vergangenheit bewertet wird: Wie hat der Betreiber gearbeitet, wie | |
| ist er vernetzt, was sagen die Bewohner*innen? Das Problem ist nur, sagen | |
| manche Juristen, dass dies vom europäischen Vergaberecht nicht gedeckt | |
| wäre, weil es eine „Diskriminierung“ gegenüber der anderen | |
| „Marktteilnehmern“ wäre. Aber das ist absurd! | |
| Wieso? | |
| Weil es die „Diskriminierung anderer Marktteilnehmer“ höher gewichtet als | |
| die Aufgabe, die wir wahrzunehmen haben: die Menschen zu unterstützen, | |
| ihnen Schutz zu geben, was nur über Vertrauen funktioniert, das mit einem | |
| solchen Bruch konterkariert wird. | |
| Die Frage ist ja sowieso, warum solche Betriebe alle paar Jahre neu | |
| ausgeschrieben werden müssen. | |
| Das ist im Vergaberecht so geregelt. Aber nichts ist für die Ewigkeit. Bei | |
| Vergaben bestehender Einrichtungen brauchen wir andere Regelungen als bei | |
| Neuvergaben. Wir haben es mit Menschen zu tun und produzieren keine Güter. | |
| Es wäre gut, wenn im Land Berlin eine Diskussion entsteht, welchen Einfluss | |
| das Land nehmen kann und was vor Ort geändert werden kann, damit es mehr um | |
| die eigentliche Aufgabe von Betreibern geht, nämlich Menschen, die neu nach | |
| Deutschland gekommen sind, zu unterstützen, sich in diesem Land ein neues | |
| Leben aufzubauen. Ich habe in den letzten Tagen viel mit Kolleg*innen | |
| anderer Betreiber gesprochen: Alle kennen diese Probleme, alle machen die | |
| gleichen Erfahrungen. Darüber würden wir gerne mit Vertretern des Landes | |
| sprechen. Und ich weiß, dass es im LAF dafür offene Ohren gibt. | |
| 11 Mar 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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| Flüchtlinge | |
| Partizipation | |
| Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
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