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# taz.de -- Qualität von Berliner Wohnheimen: Jeder darf sich beschweren
> Bei der „Berliner unabhängigen Beschwerdestelle“ können HeimbewohnerInn…
> Missstände beanstanden. Aber hält der „Heim-TÜV“, was er verspricht?
Bild: Zimmer in einer Modularen Unterkunft für Geflüchtete (MUF) in Berlin-Ma…
Berlin taz | Für Geflüchtete, die in Wohnheimen leben, soll es einfacher
werden, sich über Missstände in ihrer Unterkunft zu beschweren. Anfang des
neuen Jahres wird die Berliner Unabhängige Beschwerdestelle (Bubs) ihre
Arbeit aufnehmen. Dort sollen 15 IntegrationslotsInnen, vorwiegend selber
ehemalige Geflüchtete, Beschwerden von Geflüchteten aufnehmen und an die
betreffenden Behörden, etwa das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten
(LAF), weiterleiten.
„Wir wollen aus den Beschwerden auch ableiten, welche Aspekte bei der
Versorgung verbessert werden können“, erklärt Sybill Schulz, Leiterin der
Koordinierung Flüchtlingsmanagement bei der Integrationsverwaltung. Daher
gehört zur Bubs ein Fachbeirat mit Vertretern der Senatsverwaltung für
Integration und Soziales, von Geflüchteten, LAF, Heimbetreibern und der
Behindertenbeauftragten, der anhand der Beschwerden strukturelle Probleme
bei der Unterbringung und beim Zugang zum Versorgungssystem identifizieren
und Empfehlungen für Verbesserungen erarbeiten soll. Träger der Bubs wird
die Johanniter-Unfallhilfe, die kurz vor Weihnachten im Rahmen einer
europaweiten Ausschreibung ausgewählt wurde.
Eine solche Stelle war der heutigen Integrationssenatorin Elke Breitenbach
(Linke) bereits ein wichtiges Anliegen, als sie noch in der Opposition war.
Im Koalitionsvertrag von R2G heißt es: „Um eine Verbesserung der
Lebensbedingungen der Geflüchteten in allen Berliner
Flüchtlingsunterkünften zu erreichen, verpflichtet sich die Koalition, ein
unabhängiges, effektives, transparentes und nachvollziehbares Beschwerde-
und Kontrollmanagement (‚Heim-TÜV‘) einzuführen.“
Hintergrund waren über Jahre wiederkehrende Beschwerden von Geflüchteten,
aber auch von ehrenamtlichen Helfern oder dem Flüchtlingsrat: etwa zur
Ausstattung und Sauberkeit der Gemeinschaftsküchen und Sanitärbereiche, zur
Qualität des Essens in Erstaufnahmeeinrichtungen, nicht abschließbaren
Zimmern und Schränken oder auch zu unangemessenem Verhalten von
MitarbeiterInnen – um nur einiges zu nennen.
## Nur per Email erreichbar
Nun ist es nicht so, dass Geflüchtete bislang gar keine Möglichkeit hatten,
sich zu beschweren. Die meisten Heime haben „Briefkästen“, auch
kontrolliert das LAF, teils unangekündigt, ob die Betreiber die vertraglich
vereinbarten Qualitätsstandards einhalten. Allerdings reden sie dabei
primär mit Heimleitung und MitarbeiterInnen – und nicht mit den
Geflüchteten selbst, wie diese immer wieder berichten. Es gibt auch eine
Beschwerdestelle beim LAF, aber die ist nur per E-Mail erreichbar. 2019
wurde das Amt auf diesem Weg laut Sprecher Sascha Langenbach 59 Mal
kontaktiert.
An diesem bestehenden System „gibt es mehrere Kritikpunkte“, sagte
Breitenbach im vorigen Jahr bei einer Veranstaltung – vor allem daran, dass
die LAF-Beschwerdestelle „zu nah an der Behörde“ sei, nur per Telefon
erreichbar und nur auf Deutsch ansprechbar ist.
Flüchtlingsinitiativen hatten sich schon lange für eine vom Flüchtlingsamt
unabhängige Beschwerdestelle stark gemacht. Christian Lüder von Berlin
hilft hält die Bubs daher für eine gute Idee. Insbesondere begrüßt er, dass
sie längerfristig auch für Heime der bezirklichen Wohnungslosenhilfe
zuständig sein soll. Dort sind die Zustände zum Teil sehr viel schlechter
als in Flüchtlingsheimen, von denen viele in den letzten Jahren neu gebaut
wurden.
An der konkreten Umsetzung kritisiert Lüder allerdings, dass die Bubs kein
„Durchsgriffsrecht“ bekommt, um im Zweifelsfall die Beseitigung eines
Missstands zu erzwingen. „Was passiert, wenn das LAF oder der Heimbetreiber
eine berechtigte Beschwerde nicht anerkennt? Dann wäre die Bubs
wirkungslos“, sagt er.
## „Bock zum Gärtner gemacht“
Ähnliches befürchtet Diana Henniges von Moabit hilft: „Hier wird der Bock
zum Gärtner gemacht“, sagt sie. Die Bubs sei nicht „unabhängig“, wie ihr
Name sagt, sondern vom Willen des LAF und der Betreiber abhängig, den
Beschwerden abzuhelfen – oder auch nicht. Daher glaube sie nicht, dass die
neue Stelle viel verbessern wird: Die Betreiber würden weiter mauern, das
LAF beklagte Dinge für unabänderlich erklären. „Wir werden uns weiter im
Kreis drehen.“
Die konkrete Ausgestaltung der Bubs ist Ergebnis eines Pilotprojekts, das
2018 und 2019 durchgeführt wurde. Damals gingen ehemalige Flüchtlinge als
LotsInnen in die Heime und befragten BewohnerInnen zu ihren Problemen mit
Unterkunft und sonstiger Versorgung, etwa mit Kitaplätzen. Die Beschwerden
wurden kategorisiert, weitergeleitet, nach spätestens 14 Tagen sollte es
eine Rückmeldung geben an den oder die BeschwerdeführerIn, ob und wie das
Problem gelöst werden kann. Das Ganze wurde von Studierenden der
Alice-Salomon-Hochschule wissenschaftlich begleitet ([1][taz berichtete]).
Dabei stellte sich heraus, dass es für viele BewohnerInnen wichtig ist, das
Gespräch außerhalb ihres Heimes führen zu können – aus Angst, die
Heimleitung könne Wind davon bekommen. Dies wird nun berücksichtigt, die
Bubs bekommt eigene Räume in der Stadt – wo, ist noch nicht klar. Eine
andere Erkenntnis des Pilotprojekts: Viele Geflüchtete hatten zunächst
Bedenken, offen über ihre Probleme zu reden, mit der Zeit konnten die
LotsInnen aber ein Vertrauensverhältnis zu den HeimbewohnerInnen aufbauen.
Wenn sich an deren Problemen durch die Beschwerde jedoch nichts änderte,
ging das Vertrauen in die LotsInnen schnell wieder verloren.
Dieses Grundproblem bleibt wohl bestehen, denn die Bubs soll die
Beschwerden nur aufnehmen, an die zuständige Stelle weiterleiten, die
binnen 14 Tagen antworten soll – selber für Abhilfe sorgen kann sie nicht.
Rechtlich sei dies nicht möglich, sagt Schulz. Da das LAF Vertragspartner
der Betreiber sei, könne auch nur das LAF die Betreiber zur Einhaltung der
vereinbarten Qualitätsstandards „zwingen“. In der Bubs solle aber auch ein
„Begleitgremium“ mit allen relevanten Akteuren installiert werden, das die
Beschwerdeprozesse beobachtet und zur Lösungsfindung unter Nutzung
möglicher Handlungsspielräume beiträgt.
## Keine Angst vor Sanktionen
Letztlich, so Schulz, stehe und falle der Erfolg der Bubs aber vor allem
mit dem Vertrauen, das die Geflüchteten der neuen Stelle entgegenbringen.
„Wir hoffen, dass über die muttersprachlichen Lotsen mit der Zeit ein
Vertrauensverhältnis entsteht und immer mehr Menschen begreifen, dass
Beschwerden keine Sanktionen nach sich ziehen, sondern die Chance auf
individuelle Abhilfe beziehungsweise Verbesserung der bestehenden
Bedingungen eröffnen.“
Der Flüchtlingsrat zeigt sich allerdings „sehr skeptisch, ob die
Beschwerdestelle tatsächlich zu einer realen Verbesserung für die
Bewohner*innen von Sammelunterkünften beitragen wird“, wie Georg Classen
sagt. „Wir fordern statt einer neutralen Vermittlungsstelle zwischen
Bewohner*innen, Betreibern und Behörden eine Anlaufstelle, die parteilich
aufseiten der Betroffenen im Sinne eines Empowerments arbeitet, Beschwerden
auf Wunsch auch anonym und vertraulich entgegennimmt und die Beseitigung
von Missständen auch öffentlich einfordern kann.“
Das mit der Anonymität ist immerhin gewährleistet. Zwar gehe diese
Möglichkeit nicht ausdrücklich aus der Ausschreibung hervor, gibt Schulz
zu, es sei aber dennoch möglich, sich zu beschweren, ohne seine Identität
preiszugeben. „Der/die Beschwerdeführer/in muss lediglich eine valide
Kontaktadresse angeben, da er/sie andernfalls vom LAF nicht über das
Ergebnis der Beschwerdeprüfung informiert werden kann.“ Eine anonymisierte
E-Mail-Adresse wie [email protected] tut es also auch.
30 Dec 2020
## LINKS
[1] /Unterbringung-von-Fluechtlingen/!5615624
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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