# taz.de -- Unterbringung von Geflüchteten in Berlin: „Es gibt ein Zweiklass… | |
> Zwei Jahre nach dem Flüchtlingssommer läuft weiterhin viel schief, sagt | |
> Diana Henniges von „Moabit hilft“. Zudem halte sich Rot-Rot-Grün sich | |
> nicht an Wahlversprechen. | |
Bild: Auf den Flüchtlingssommer folgte ein chaotischer Herbst: Asylsuchende am… | |
taz: Frau Henniges, vor fast zwei Jahren begann die Flüchtlingskrise und | |
„Moabit hilft“ wurde bundesweit bekannt als Helfer in der Not für tausende | |
Flüchtlinge, die vor dem Lageso gestrandet waren. Sind Sie inzwischen | |
arbeitslos geworden? | |
Diana Henniges: Nein, im Gegenteil. Die ganze Szene der Flüchtlingshelfer | |
hat sich professionalisiert, in vielen Organisationen, nicht nur unserer, | |
arbeiten jetzt Leute auf hauptamtlicher Ebene. Wir haben derzeit | |
viereinhalb bezahlte Stellen und acht Bufdis. | |
Was machen die alle? | |
Vieles, das von außen gar nicht sichtbar sind. Wir bereiten Flüchtlinge auf | |
ihre Asylanhörung vor, übersetzen für sie, machen ihre Korrespondenz mit | |
Jobcenter, Ausländerbehörde und anderen Ämtern, wir besorgen Duldungen, | |
schützen vor der Abschiebung, indem wir Perspektiven bieten, etwa helfen | |
eine Ausbildung zu finden oder einen Sprachkurs. Und wir machen immer noch | |
ganz viel Monitoring. | |
Das heißt? | |
Wir gehen in die Unterkünfte und dokumentieren, wie die Zustände dort sind. | |
Dann versuchen wir mit den Betreibern und Helferorganisationen vor Ort die | |
Dinge zu verbessern. Wenn das nicht funkioniert, wenden wir uns ans LAF | |
(Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, Anm.d.Red.), an sein | |
Qualitätsmangement. Das arbeitet allerdings sehr holprig, da die viel zu | |
wenig Personal haben. Wenn das auch nicht funktioniert, wenden wir uns an | |
das Büro von Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Das ganze gestaltet sich | |
aber sehr schwierig. | |
Sie meinen, die Qualität der Unterkünfte zu verbessern? | |
Ja. Das und die fehlende Informationspolitik gegenüber den Flüchtlingen. Es | |
geht immer um die Pflichten der Flüchtlinge, nie um ihre Rechte. Dann | |
bekommen sie Unterlagen, die sie nicht verstehen. Es gibt keine einzige | |
Behörde, die so kommuniziert, dass es verständlich ist für einen | |
Geflüchteten. Das ist Bürokratendeutsch mit katastrophalen Übersetzungen! | |
Und dann bekomme teilweise Iraner eine arabische Übersetzung, Araber was | |
auf Albanisch, alles sehr chaotisch. Ich sehe da zwar schon Verbesserungen, | |
aber es sind noch sehr viele Dinge im Argen. | |
Damals wurde kritisiert, dass die Freiwilligen die Arbeit machen, die | |
eigentlich Sache von Behörden ist. Es klingt, als sei es heute nicht | |
anders. | |
Ja, leider es gibt immer noch Staatsversagen. Auch akut versagt die | |
Senatsverwaltung heftigst. Viele Unterbringungsleistungen sind ungenügend. | |
Und man kann sich nun nicht mehr damit rausreden, dass es nicht genügend | |
Unterkünfte gibt. Man muss die Versorgung in den Heimen natürlich auf | |
Menschenwürde aufbauen. Wenn Betreiber wie ASB, Caritas, AWO sich dazu | |
bekennen, dass sie Leistungen für Geflüchtete aus humanitären Gründen | |
erbringen wollen, dann muss man sich daran halten. | |
Was sind denn die größten Probleme in den Unterkünften? | |
Ein ganz, ganz großes ist Wanzenbefall, den haben wir in vielen | |
Unterkünften. Und es ist sehr teuer, dagegen professionell vorzugehen – | |
also sparen sich das die Betreiber. Man braucht Kältekammern, muss | |
Matratzen austauschen, regelmäßige Hygienekontrollen machen, den ganzen Tag | |
ausreichend Duschen mit heißem Wasser vorhalten. Man weigert sich aber nach | |
wie vor ergänzende Duschcontainer aufzustellen, weil das in der Anschaffung | |
teuer ist. Die Betreiber sagen dann, ach, wir schließen eh Ende des Jahres | |
oder Mitte nächsten Jahres. Die Endlichkeit der Unterbringung führt dazu, | |
dass die Qualität immer weiter herab sinkt. Es fehlt mancherorts an | |
abschließbaren Türen – seit zwei Jahren! Menschen, die eine Chemotherapie | |
bekommen, sind in Notunterkünften, wo sie sich nicht selbst versorgen | |
können und mit sechs Leuten in einem Zimmer wohnen müssen. Geflüchtete mit | |
schweren Traumatisierungen ebenfalls! | |
Es gab zuletzt viele Proteste wegen des Essens. Sehen Sie das auch als | |
großes Problem? | |
Ja. Ich denke, nach zwei, teilweise drei Jahren will keiner mehr aus Folien | |
essen. Das Essen ist größtenteils wirklich schlecht. Viele Caterer bemühen | |
sich zwar redlich, eine bessere Verpflegung zu schaffen. Aber es ist | |
schwierig für 800 Personen gut zu kochen. Und die Qualität der Lebensmittel | |
ist oft schlecht, weil die billigsten Produkte genommen werden – weil die | |
Tagessätze niedrig sind und viele Betreiber zudem eine maximale | |
Gewinnspanne rausholen wollen. Man spart, wo es geht, beim Essen, bei den | |
Matratzen, den Mitarbeitern. Uns fehlen immer noch Kinderbetreuer in ganz | |
vielen Unterkünften. | |
Das Lageso heißt nun LAF. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit des Amtes | |
heute? | |
Nach wie vor arbeiten dort Menschen, die sich extrem Mühe geben, sich ein | |
Bein ausreißen für Geflüchtete. Und dann gibt es die, die Dienst nach | |
Vorschrift machen, für absolute Katastrophen sorgen und kein Interesse | |
haben, mit uns zusammen arbeiten. Auch die neue Präsidentin des LAF, | |
Claudia Langeheine, ist für uns ein Phantom geblieben, wir haben sie nur | |
einmal gesehen, seit sie vorigen August ins Amt kam. Seitens des LAF | |
scheint kein großes Interesse an Zusammenarbeit zu bestehen. Das sagen auch | |
andere Initiativen. Wir würden daher gerne verstärkt mit der | |
Senatsverwaltung für Soziales zusammenarbeiten, die ist ja weisungsbefugt | |
gegenüber dem LAF. | |
Wie finden Sie die neue Sozialsenatorin Elke Breitenbach? | |
Ich muss leider sagen, nach über einem halben Jahr Rot-Rot-Grün und zwei | |
Gesprächen, die wir bislang mit ihrem Büro hatten, sind da sehr viele Worte | |
und Beteuerungen, aber die eigentlichen Ergebnisse enttäuschen uns sehr. | |
Was fordern Sie denn von ihr? | |
Eine unserer Forderungen ist derzeit, dass Menschen aus sicheren | |
Herkunftsländern, wenn sie länger hier bleiben in Gemeinschaftsunterkünften | |
untergebracht werden, nicht in Notunterkünften mit Sachleistungsprinzip wie | |
es die bundesweite Gesetzeslage vorsieht. Frau Breitenbach hat sich dazu | |
mehrfach uns gegenüber schriftlich bekannt, aber dies leider nicht in die | |
Praxis umgesetzt. | |
Menschen aus sicheren Herkunftsländern werden gezielt in Notunterkünften | |
gehalten? | |
Ja. Sie werden separiert, es gibt eine | |
Zwei-Klassen-Flüchtlingsunterbringung. Eine weitere Forderung von uns ist, | |
dass die neue „Flüchtlingsschule“, nur mit Willkommensklassen, in der | |
Schöneberger Teske-Schule nicht realisiert wird. Für die Kinder dort ist es | |
fast unmöglich sich ins Regelschulsystem zu integrieren. Das ist auch ein | |
Armutszeugnis für die Linke, die vor der Wahl ganz klar gesagt hat, dass es | |
mit ihr so etwas nicht geben wird. Hier haben wir schon die erste Wahllüge. | |
Dann fordern wir auch einen Heim-TÜV. | |
Der steht auch im Koalitionsvertrag. | |
Ja, genau. Aber man hat uns gesagt: Ja, wenn erstmal die Verträge mit | |
Betreibern erneuert sind, das könnte ein bis zwei Jahre dauern, dann könnte | |
man anfangen auf dieser Basis einen Heim-TÜV einzuführen. Das heißt im | |
Umkehrschluss: Die Betreiber dürfen nahezu alles machen, was sie wollen, | |
solange sie keinen neuen Verträge haben. | |
Aber für die neuen Unterkünften, die so genannten MUFs und Tempohomes, gibt | |
es doch Verträge. | |
Ja, genau. Aber das hilft natürlich nicht den Leuten, die jetzt in einer | |
Notunterkunft leben. Da gibt es viele Punkte, über die man reden muss, da | |
muss die Sozialverwaltung mehr liefern! Es muss jetzt etwas getan werden | |
für die Unterkünfte ohne Verträge, wenigstens muss das Personal beim LAF | |
für die Kontrollen massiv aufgestockt werden. | |
Wenn morgen erneut ein Flüchtlingsansturm wie 2015 käme – wäre Berlin | |
besser vorbereitet? | |
Auf jeden Fall. Es gibt ein Ankunftszentrum, es gibt frei gehaltene Plätze | |
in Unterkünften und viele Dinge, die heute einfacher wären. Aber die | |
Menschen wären öffentlich nicht mehr zu sehen, anders als damals am Lageso, | |
das wäre ganz schlecht. Weil unterhalb des Radars eben immer noch viel | |
schief läuft, viele gesetzliche Leistungen nicht erbracht werden. | |
Viele Helferorganisationen klagen, die Hilfsbereitschaft der BürgerInnen | |
gehe zurück. Spüren Sie das auch? | |
Wir haben immer noch die stetigen, hartnäckigen Menschen, die kaum Luft | |
holen vor lauter Engagement. Aber auch wir haben ein Problem Leute zu | |
finden etwa für die Kleiderkammer, keiner will mehr Klamotten sortieren. | |
Außerdem sind unsere Arbeitszeiten schwierig, wir haben ja tagsüber auf, | |
das können Arbeitnehmer nicht. Und bei vielen Ehrenamtlichen ist die Luft | |
raus, weil sie sagen, sie haben keinen Bock mehr die Arbeit der | |
Senatsverwaltung zu machen. Viele haben auch keine Kapazität mehr sich so | |
einzusetzen wir vorletztes oder letztes Jahr. Damals haben sie ihren | |
Jahresurlaub genommen um zu helfen, dafür hat heute kein Arbeitgeber mehr | |
Verständnis. | |
9 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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