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# taz.de -- Platzmangel bei Flüchtlingsquartieren: Auszug binnen 48 Stunden
> Bis zum Jahresende sollen in Berlin 1.200 geflüchtete Menschen in
> schlechtere Unterkünfte umziehen. Der Flüchtlingsrat kritisiert die
> Umzüge scharf.
Bild: Sozialsenatorin Elke Breitenbach sieht die Bezirke in der Pflicht
Berlin taz | Anas M. sorgt sich, dass er aus seinem Wohnheim ausziehen
soll. Er und viele seiner Mitbewohner bekamen Briefe von ihren Bezirken mit
der Aufforderung, in schlechter gestellte Heime der Bezirke zu ziehen. Der
afghanische Staatsbürger kam 2013 nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde
abgelehnt, er ist derzeit nur geduldet. Aufgrund der neuen Situation in
Afghanistan hat er eine Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde
beantragt. Im Falle eines Umzugs, so seine Sorge, könnte die Antwort der
Ausländerbehörde gar nicht zustellbar sein.
Berlinweit sind 1.200 anerkannte Asylberechtigte oder Geduldete von den
Umzügen betroffen. Bis Jahresende sollen sie aus einem Wohnheim des
Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) umziehen – in
Einrichtungen, die die Bezirke ihnen zuweisen. Das bestätigt
Sozialsenatorin Elke Breitenbach der taz. Jeder Bezirk ist dazu angehalten,
100 Flüchtlinge unterbringen.
Die Bezirke sind laut Gesetz für die Unterbringung anerkannter
Asylberechtigter zuständig, sie machen mehr als die Hälfte der 20.000
Menschen in den Unterkünften des LAF aus. „Wir haben diese Geflüchteten
gern untergebracht, den Bezirken Amtshilfe geleistet und sie unterstützt.
Aber jetzt, wo deutlich mehr neue Asylsuchende und zudem auch aktuell 300
afghanische Ortskräfte untergebracht werden müssen, beginnen wir in
räumliche Not zu geraten. Da nehme ich die Bezirke in die Pflicht.“
Eigentlich wollte Berlin mit den Bezirken die Unterbringung von
Asylsuchenden und Obdachlosen gesamtstädtisch steuern. Da hätten viele
Bezirke nicht kooperiert, kritisiert Breitenbach. Sie hatte vor vier Jahren
alle Bezirke verpflichtet, zwei Grundstücke für den Bau neuer Unterkünfte
auszuweisen. „Das haben die Bezirke nicht getan, diese Plätze fehlen
jetzt.“
## Pingpong zwischen LAF und Bezirken
Seit dem Sommer hat das Land fünf eigentlich stillgelegte Containerdörfer
mit insgesamt 1.100 Plätzen wieder in Betrieb genommen. Eines davon nur
kurz in Pankow, denn auf dem Grundstück wird eine Schule gebaut. „Dafür
bekomme ich Protestbriefe von Bezirksbürgermeistern. Zusammenarbeit sieht
anders aus“, so Breitenbach. Geplant seien weitere Neubauten, denn die
Plätze in Asylheimen werden knapp.
Der Flüchtlingsrat kritisiert die Umzüge scharf. „Es kann nicht sein, dass
die Verantwortung zwischen LAF und Bezirken auf dem Rücken der Geflüchteten
hin und her geschoben wird“ sagt Nora Brezger.
Die Betroffenen würden aufgefordert, binnen 48 Stunden umzuziehen und ihre
vertraute Umgebung zu verlassen. Da sei es zeitlich gar nicht möglich,
einen Antrag auf Übernahme der Umzugskosten zu stellen. „Der Zugang zu
Mietwohnungen für Geflüchtete muss unbedingt Priorität im neuen
Koalitionsvertrag haben.“
Ihr Kollege Georg Classen weist darauf hin, dass die Umzugspraxis das
Gegenteil der vom Land Berlin gewollten gesamtstädtischen Steuerung der
Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen ist. „[1][Angesichts
schwerster Qualitätsmängel in den Unterkünften] der Bezirke muss die neue
Koalition die Zuständigkeit für die Unterbringung aller Wohnungslosen an
das Land übertragen.“ Lichtenbergs Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) sagt
der taz, er mache sich angesichts der Umzüge Sorgen „um den Bestand der
Integrationserfolge der vergangenen Jahre.“
## Nicht glücklich mit der Lösung
Lichtenberg hat zudem Menschen in separaten Etagen eines Seniorenheims mit
einer Tagespflegeeinrichtung untergebracht. Wegen des besonderen
Schutzbedarfs der Senioren vor Corona können die Flüchtlinge nur Besuch zu
empfangen.
Der Bezirk appelliert deshalb an das Land, den Mehrbedarf über die Akquise
neuer Unterkünfte und Wohnungsunterbringung abzufangen. Man merkt
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) an, dass sie mit der Lösung nicht
glücklich ist. Aber sie sieht die Verantwortung bei den Bezirken. Die
hätten in den letzten Jahren eigene Unterkünfte bauen und Geflüchtete in
Wohnungen unterbringen müssen, sagt sie der taz.
Für die Betroffenen haben diese Hauruck-Umzüge zum Teil schwerwiegende
Folgen: Mehrere Betroffene erzählten der taz, dass unter anderem
schulpflichtige Kinder die Schule wechseln müssten. Ganz hart wird es für
anerkannte Asylberechtigte, die Arbeit haben. Für sie würden sich die
Mietkosten so stark erhöhen, dass sich die Arbeit finanziell nicht mehr
lohnen würde. Während in den Wohnheimen des LAF der Eigenanteil an der
Miete moderat ist, werden in bezirklichen Unterkünften 20 bis 30 Euro Miete
pro Tag fällig.
Berlin wird darum wohl in Zukunft etliche Krankenpfleger, Busfahrer oder
Bistroköche verlieren. Hinzu kommt: Die meisten bezirklichen Unterkünfte
arbeiten nicht mit Sozialarbeitern. Und wer bisher in den stabileren und
geräumigeren modularen Flüchtlingsunterkünften, kurz MUFs, wohnte, wo große
Familien wohnungsähnlich wohnen können, muss sich jetzt [2][in bezirklichen
Unterkünften] wieder Küche und Bad mit vielen anderen teilen.
12 Nov 2021
## LINKS
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[2] /Unterbringung-von-Fluechtlingen/!5615624
## AUTOREN
Marina Mai
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Geflüchtete
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