# taz.de -- Syrisches Musiktheater in Osnabrück: Saat für eine bessere Zukunft | |
> Der syrische Klarinettist und Komponist Kinan Azmeh hat für das | |
> Osnabrücker Morgenland Festival ein Musiktheater mit rund 100 Beteiligten | |
> verfasst. | |
Bild: Einer, der Verbindungen herstellt, musikalisch wie geografisch: Kinan Azm… | |
OSNABRÜCK taz | Kinan Azmeh versucht es immer wieder: arabische und | |
europäische Klänge zusammen zu bringen. Das ist schon mal mühsam, denn die | |
arabische Maqam-Musik nutzt Viertel-, Achtel-, Sechzehntel-Tonabstände, die | |
europäische tut das so gut wie nicht. So bedeutet diese musikalische | |
Begegnung immer auch eine Horizonterweiterung, eine Reise hinaus aus der | |
Enge des hiesigen Halb- und Ganztonsystems. Die aber fällt nicht immer | |
leicht. Wenn Azmeh etwa in „Uneven Sky“ – auch auf CD erschienen – übe… | |
Deutschen Symphonie-Orchester Berlin her improvisiert, und -balanciert, die | |
Klarinette zur Stimme werden lässt: Das Orchester bringt sich zögerlich, | |
fast schüchtern ins Klanggeschehen ein, sucht seinen Platz und findet ihn | |
auch – manchmal. | |
Das ist ja die Kunst: Die [1][Begegnung zum echten Dialog zu machen,] das | |
westliche Klassik-Orchester nicht aufs Begleiten zu reduzieren, sondern es | |
herauszufordern. Nicht gerade zur Improvisation, dafür ist der Klangkörper | |
doch zu groß. Wohl aber zum mal schnellen Tonartwechsel oder dem | |
plötzlichen Hochstimmen der Cellosaiten um einen Viertelton. | |
Beim ersten Schritt auf die Bühne das Publikum einfangend, beim Solo eher | |
tänzelnd als dozierend: Im Auftreten ist dieser Kinan Azmeh quasi das | |
syrische Pendant zum israelischen Klarinettisten Giora Feidman – der | |
allerdings nicht auch noch komponiert. Lange vor Ausbruch des syrischen | |
Bürgerkriegs ist Azmeh zum Studium in die USA ausgewandert und wandelt | |
seither musikalisch wie geographisch zwischen den sprichwörtlichen Welten: | |
Regelmäßig hält er sich in Damaskus auf, regelmäßig spielt er in | |
westlich-klassischen wie auch in arabischen Ensembles. Aber er spielt auch | |
Jazz und hat neben den Berliner Symphonikern etwa auch für das Seattle | |
Symphony Orchestra und die Hamburger Elbphilharmonie komponiert. | |
## Verschränkung der Kulturen | |
„Musik ist für mich ein Kontinuum“, hat er einmal gesagt „und alles, was | |
ich erlebt habe, fließt in die Musik, die ich schreibe“. Oft tritt er | |
zusammen mit der Sängerin Dima Orsho auf, die er seit Kindertagen kennt; | |
auch sie ist schon vor vielen Jahren in die USA emigriert. In Azmehs „Suite | |
für Orchester und einen improvisierenden Solisten“, entstanden 2017 für das | |
[2][Festival „Salam Syria“] in Hamburgs Elbphilharmonie, trat Orsho mit | |
einem deutschen Bass in Dialog, wobei sie die Stimmlagen über Kreuz | |
tauschten – er stieg hinauf, sie herab – eine gekonnte Verschränkung der | |
Kulturen. | |
In einen Dialog auf Augenhöhe sollen die arabischen und europäischen | |
MusikerInnen auch in Azmehs frisch komponiertem Musiktheater „Songs for | |
Days to Come“ treten. Es wird in dieser Woche in Osnabrück uraufgeführt und | |
ist sein bislang wohl größtes Projekt. Azmeh selbst wird dabei sein, ebenso | |
Sängerin Orsho; dazu das Osnabrücker Orchester, der Chor und einige | |
SchauspielerInnen des örtlichen Theaters. | |
Das Morgenland Festival, das dafür den Rahmen stiftet, hat im Jahr 2005 der | |
Gitarrist, Musikverleger und -kurator Michael Dreyer gegründet. Der | |
profunde Kenner der nahöstlichen Musikszene hat Musikprojekte in Damaskus | |
betreut und gemeinsam mit dem niederländischen Filmemacher Frank Scheffer | |
die Musik des Iran sowie des kurdischen Dreiländerecks Irak-Türkei-Syrien | |
erkundet. Da ist beinahe selbstverständlich dass er für Osnabrück [3][kein | |
Klischees reproduzierendes Folklore-Festiva]l ersonnen haben kann. „Sie | |
glauben gar nicht, wie viele Nächte ich mir den Kopf zerbreche, um etwas zu | |
zeigen, das nicht folkloristisch ist“, hat er einmal gesagt. Aber natürlich | |
dürfe es spezifisch, eigen, „typisch“ sein, „und das geschieht schon dur… | |
die Instrumentierung“, sagt er: „Die Oud etwa bringt ihre ganz eigene, | |
wundervolle Klangfarbe ein.“ | |
Der Auftrag für Kinan Azmeh entstand quasi am Küchentisch:„Als Kinan, mit | |
dem ich seit über zehn Jahren zusammen arbeite, 2020 für einige Konzerte | |
aus den USA nach Osnabrück kam, hat er seine corona-bedingte Quarantäne in | |
meiner Wohnung verbracht“, erzählt Dreyer. Reiner Zufall, dass ein lange | |
geplantes Treffen zwischen Dreyer und dem neuen Osnabrücker | |
Theaterintendanten Ulrich Mokrusch genau in diese Zeit fiel. Dieser wollte | |
künftig alljährlich ein Partnerland küren, erzählt der Festivalchef. „Und | |
das erste solle Syrien sein. Er fragte, ob ich jemanden wüsste, der für das | |
Ende der Spielzeit ein Musiktheaterstück schreiben könne. Ich sagte, der | |
sitzt bei mir zuhause. Am nächsten Tag war der Kompositionsauftrag | |
erteilt.“ | |
Azmeh, der wegen der Proben derzeit schwer erreichbar ist, suchte dann 15 | |
zeitgenössische syrische Gedichte aus, um einen multiperspektivischen Blick | |
auf sein Land zu gewinnen. Zu einer Handlung verwoben es zwei syrische, in | |
Berlin lebende LibrettistInnen, und seit April laufen in Osnabrück die | |
Proben. Insgesamt seien rund 100 Personen an dem Stück beteiligt, „und es | |
ist ein beglückendes Beispiel dafür, was zwei Institutionen, statt zu | |
konkurrieren, gemeinsam stemmen können“, sagt Dreyer. „Allein hätten wir | |
das personell, finanziell und logistisch nicht geschafft, mit aufwendigem | |
Bühnenbild und all dem.“ | |
Und worum geht es darin nun? Die Handlung wird noch nicht verraten, nur so | |
viel:„Das Stück basiert zwar auf einer wahren Begebenheit während des | |
syrischen Bürgerkriegs, aber es ist kein eng politisches Stück“, sagt | |
Dreyer. „Es ist keine Oper über den syrischen Krieg. Kinan hat gesagt, er | |
wolle etwas Universelles, Menschliches tiefer behandeln in einem Zeitalter | |
riesiger Fluchtbewegungen.“ Demnach handelt das Stück von Trauma, Flucht, | |
dem Ankommen in der Fremde. Begleitet werde das Ganze wie in der antiken | |
griechischen Tragödie vom Chor – der auf Arabisch singe. Dima Orsho | |
wiederum singt auch Deutsch; kulturelle Annäherung aus beiden Richtungen. | |
Das Stück werde nachdenklich sein, „aber es ist trotzdem kein dunkles, | |
depressives Stück geworden“, sagt Dreyer. Schließlich hieße es „Songs for | |
Days to Come“ und lasse immer ein Fenster offen zum Licht. Es transportiere | |
die Hoffnung, dass die erwähnten Gedichte eine Saat für eine bessere | |
Zukunft legen und irgendwann, in helleren Zeiten, gelesen werden könnten. | |
„Zum Beispiel“, sagt Dreyer, „von Kinans jetzt ein Jahr und zwei Monate | |
altem Sohn“. | |
13 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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