| # taz.de -- Musiktheater beim Morgenland-Festival: Der Untergang des Morgenland… | |
| > Eine wortreiche, aber dürftige Handlung: Mit Kinan Azmehs „Songs for Days | |
| > to Come“ scheitert Osnabrücks Intendant Ulrich Mokrusch kläglich. | |
| Bild: Emotionale Klarinette, rollende Augen und viel Bühnennebel ergeben kein … | |
| Osnabrück taz | Es gibt Theaterabende, die enden in einem | |
| Begeisterungssturm. Lobrufe branden auf, das Publikum applaudiert stehend. | |
| Die Premiere von [1][Kinan Azmehs genreübergreifendem Musiktheater „Songs | |
| for Days to Come“], im Theater Osnabrück, am Sonnabend vor Pfingsten, war | |
| einer dieser Abende. | |
| [2][Azmehs aufklärerischer Versuch], in einer Fusion von Oper, Konzert, | |
| Schauspiel und Performance sein von Krieg und Staatsterror traumatisiertes | |
| Herkunftsland Syrien als „Land in der dunkelsten aller Zeiten neu zu | |
| kartografieren“, paart Düsternis mit Hoffnungshelle. Eine Textbasis aus | |
| zeitgenössischer syrischer Lyrik, Gesang auf Arabisch, als Thema Schuld, | |
| Sinnsuche, Seelenqual, Entwurzelung und Tod: Azmeh, als Solo-Klarinettist | |
| selbst einer der Darsteller, tritt an, aus seinen „Songs“ einen „Akt der | |
| Freiheit“ zu machen, universalgültig, und dieser Anspruch verdient | |
| Respekt. | |
| Es gibt allerdings ein Problem: Ethisch mag der Abend wertvoll sein, | |
| inszenatorisch ist er es nicht. Als Nummernrevue hätte Azmehs „Songs“-Idee | |
| funktioniert, für eine Experimental-Oper ist sie zu dünn. Intendant | |
| [3][Ulrich Mokrusch, für die Regie verantwortlich], tut seiner ersten | |
| Spielzeit in Osnabrück mit diesem Abend keinen Gefallen. | |
| Sicher, Azmehs westöstliche Komposition ist suggestiv und lautmalerisch. | |
| Sicher, die 15 Gedichte, die sein fluides Crossover-Stück gedanklich tragen | |
| sollen, sind kraftvoll und wortmächtig, von Ramy al-Asheqs „Mein Vater“ bis | |
| Abdulrahman Khalloufs „Gespannte Ruhe“. Auch dirigiert Daniel Inbal die | |
| Osnabrücker Symphoniker präzise und feinnervig. Und ja, wenn Azmeh | |
| zwischendrin zur Klarinette greift, wird es emotional. Aber das reicht | |
| nicht.Der Abend beginnt in Blauviolett. Ein Mann, von hinten zu sehen, | |
| sitzt vor einer gewaltigen Wand. Nebel wallen. Lange geht das so. | |
| Aus dem Orchestergraben schwillt Azmehs Musik, sonst passiert nicht viel. | |
| Der Mann, der uns den Rücken zukehrt, ist Sami, die Hauptfigur, und laut | |
| Programmheft ist er jung. Aber dem lyrischen Bariton Jan Friedrich Eggers, | |
| der ihn spielt, fehlen nur noch wenige Jahre bis zur 50, und das merkt man. | |
| Eggers ist eine der Schwächen des Abends. Nicht stimmlich; sein Gesang ist | |
| solide. Aber sein schauspielerisches Potenzial ist begrenzt, und das | |
| überdramatische Augenrollen, Herumgetaumel und Zusammensinken, mit dem er | |
| Verzweiflung, Ratlosigkeit und Leid auszudrücken versucht, wirkt | |
| unfreiwillig komisch. Kein Gedanke, den er äußert, wirkt wie wirklich | |
| gedacht. Kein Gefühl, das er zeigt, wirkt wie empfunden. Seine Gestik ist | |
| oft hölzern. Manch Weg, den er auf der Bühne zurücklegt, wenn er gerade | |
| nicht theatralisch ins Leere starrt, ist überflüssig. Mokrusch lässt | |
| Eggers gewähren. | |
| Mokrusch hätte an vielen Stellen eingreifen müssen; er hat es unterlassen. | |
| So tut auch der Chor, was Chöre tun, wenn niemand ihnen schauspielerische | |
| Präsenz und Rollen-Glaubwürdigkeit abfordert: Oft steht er nur als „Volk“ | |
| in den Kulissen herum und die Interaktion zwischen Sängerinnen und Sängern, | |
| die Lebendigkeit signalisieren soll, erschöpft sich in leeren | |
| Wiedergebrauchsgesten. | |
| Wenn Arabisch gesungen wird, werden zuweilen über Monitore deutsche | |
| Übersetzungen eingeblendet, zuweilen nicht. Warum nicht immer, erschließt | |
| sich nicht. Auch die Fotos, die bühnenfüllend projiziert werden, führen zu | |
| Achselzucken. Sie zeigen Menschen, Straßenszenen. Wer da zu sehen ist, was, | |
| warum? Man weiß es nicht. | |
| Überhaupt: Die Rahmenhandlung. So wortreich sie sich bemüht, die | |
| Gesangsparts an einander zu kitten, so nebulös bleibt sie. Es geht um eine | |
| Therapie, Samis seelisches Trauma, das irgendwie für die Verwundung eines | |
| ganzen Landes steht, einer ganzen Gesellschaft, vielleicht der ganzen Welt. | |
| Es geht um eine kafkaeske Behörde, die Schrecken der Macht. Auch um eine | |
| Hochzeit scheint es zu gehen, warum auch immer. | |
| Wir hören Worte wie „Diktator“, „General“ und „Tyrannen“, hören v… | |
| Einsamkeit und Leere, von Reue und Moral, von Klagefrauen und Tagelöhnern | |
| des Todes, hören von Äxten, die Gesichter spalten, und von Säure auf | |
| klaffenden Wunden. Gewalt, signalisiert das, ist die Hölle. Und damit das | |
| auch wirklich jeder versteht, wird es zusätzlich auch noch in Sinnsprüche | |
| gepresst. Das ist Holzhammer-Pädagogik. | |
| Hat Mokrusch wirklich nicht gesehen, dass der Effekt sich schnell | |
| verbraucht, wenn alle paar Minuten die Nebelmaschine angeworfen wird, die | |
| Drehbühne sich dreht? Hat er wirklich nicht gehört, dass die Darsteller, | |
| obwohl durch Mikros verstärkt, phasenweise gegen das kakofonische | |
| Klangfeuer des Orchesters nicht ankommen? | |
| „Songs for Days to Come“ wirkt fehljustiert, unfertig. Jemand schießt sich | |
| mit einer schweren Pistole in den Kopf, ohne Schussknall: Laientheater. | |
| Jemand raucht eine Zigarette, ohne sie anzuzünden: vernünftig, aber albern. | |
| Jemand bückt sich verzweifelt nach einem Toten, rückt dabei aber sorgfältig | |
| seine Bügelfalte zurecht: Rollenbruch.Wie Soldaten sich hier ihre | |
| Kampfstiefel schnüren, ihre Tarnschminke auftragen: ein Witz. Dass | |
| Chormitglieder minutenkurz den Zuschauerraum entern, um zu zeigen, dass die | |
| Zuschauenden nicht nur Zuschauende sind: kindisch. Mitunter ist die Bühne | |
| lange leer. In Reihe 5 wird schon nach ein paar Viertelstunden verstohlen | |
| eine Smartwatch gecheckt. | |
| Ach ja, die Ping-Pong-Bälle. Zu Hunderten kullern sie am Ende über die | |
| Bühne, als Verweis auf die kreative Kraft der Regimegegner. Auch fürs | |
| Publikum gibt’s welche, auf ihnen ein QR-Code, für Zusatzinfos zu Syrien. | |
| Der Code auf dem Ball funktioniert nicht, aber der auf der Verpackung | |
| öffnet einen Link. Das ist fast das Versöhnlichste, das der Abend | |
| bereithält. | |
| 12 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theater-osnabrueck.de/spielplan-detail/?stid=49 | |
| [2] /Syrisches-Musiktheater-in-Osnabrueck/!5854889 | |
| [3] /Spielzeitauftakt-in-Osnabrueck/!5806507 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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